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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

schlafende Dienstmädchen Johanne Pasche mit dem Ausrufe weckte, seine Frau liege drunten in der Gaststube in ihrem Blute. Es sei Ihr die Hirnschale eingeschlagen. Die Magd, später auch Frenzel, sowie andre Hausbewohner gehen hinunter und finden in der Wirthsstube die Frau Ziethen am Boden liegen. Sie hatte eine große klaffende Wunde an der Stirn, die Kniee waren hinaufgezogen, die Kleider in Unordnung, die Zöpfe lagen abgerissen auf der Diele. Auf dieser war eine große Blutlache sichtbar, in welcher der zerbrochene Aufsteckkamm der Frau lag.

Frenzel nahm den Kopf der Frau in die Arme; sie röchelte schwer, war aber noch am Leben; Ziethen selbst eilte auf Veranlassung der Anwesenden zum Doktor und zur Polizei. Auf die von dem hinzugekommenen Wachtmeister an die Frau gerichtete Frage, wer sie geschlagen habe, nannte sie erst den Färber Roßbach, dann aber bezeichnete sie wiederholt ihren Mann als den Thäter. Auch als man sie ins Krankenhaus schaffte, wo sie noch bis zum dritten Tage, in einem schlafähnlichen Zustande lebte, nannte sie auf Befragen immer ihren Mann als den Thäter. Von Ziethen war es bekannt, daß er seine Frau, die ein sanftes versöhnliches Wesen besaß, vielfach körperlich mißhandelt hatte und ihr ein keineswegs treuer Ehegatte war. So hatte er auch einem Mädchen die Ehe versprochen, eben jener, welche er am Nachmittag des 25. Oktober in Köln besucht hatte. Der Verdacht gegen ihn war also nahestehend und dringend, und man nahm ihn in Haft. Ziethen leugnete aber hartnäckig, die Frau gemordet zu haben. „Wenn ich verurtheilt werde“, erklärte er, „so werde ich unschuldig verurtheilt, meine Unschuld muß sich herausstellen. Ich habe nur einen Zeugen, das ist die Uhr, die muß es bekunden, daß ich’s nicht gethan habe?“

In dieser Beziehung ergab nun die Beweisaufnahme folgendes: Ziethen war mit dem Kölner Abendzuge angekommen. Ein Zeuge hatte ihn auf dem Bahnhof gesehen, wie er raschen Schrittes nach Hause lief. Der Zug hatte an dem Tage fünf Minuten Verspätung, war also 11 Uhr 8 Minuten angekommen. Die Entfernung vom Bahnhofe nach Ziethens Behausung betrug acht Minuten. Ziethen wäre also gegen 11 Uhr 16 Minuten zu Hause eingetroffen, hätte sonach zur Ausführung des Verbrechens nur 4–5 Minuten gebraucht.- Ein Zeuge will ihn sogar 11 Uhr 20 Minuten schon wieder auf der Straße gesehen haben.

Wenn man aber auch einige Minuten noch zugiebt, was mußte in dieser Kürze nicht alles geschehen sein! Zeugen aus der Nachbarschaft hatten gehört, daß schon kurz nach 11 Uhr die Pumpe in dem Ziethenschen Hofe zweimal gezogen wurde. Ferner fand man Tags daraus in der Wirthsstube den Hammer, mit dem der Mord nach dem Befunde der Wunde offenbar verübt worden war, in einer Schublade liegen. Der Hammer war gereinigt, der Stil abgeschabt, die blutigen Spähne lagen noch auf der Erde. Sonach mußte Ziethen gleich bei seiner Nachhausekunft mit der Frau angebunden, sich mit ihr in einen Kampf eingelassen – es lagen außer den Zöpfen noch die Geldtasche der Frau und einige Markstücke am Boden – dann sie mit dem Hammer wiederholt den Kopf geschlagen, sich und den Hammer an der Pumpe gereinigt, den Stiel des Hammers mit einem Messer abschabt – so später konnte er’s nicht thun, da er noch an dem Abende verhaftet wurde –, dann sich in das obere Stockwerk und von da wieder zurückbegeben haben! Die Geschwornen legten indeß diesem Alibibeweis kein Gewicht bei. Ziethen wurde am 2. Februar 1884 des Gattenmordes für schuldig erklärt.

Gleichzeitig mit Ziethen war aber dessen achtzehnjähriger Lehrling August Wilhelm wegen Betheiligung an dem Verbrechen mit in Haft genommen worden. Derselbe war an jenem Abende, als der Polizeiwachtmeister seinem Lehrherrn das Verbrechen auf den Kopf schuld gab, aus erster Ecke, in welcher er unbeachtet kauerte, aufgesprungen Und hatte ausgerufen: „Wie können Sie das wagen, Ziethen war der Mörder nicht!“ Auch hatte die Frau Ziethen mit einer Handbewegung angedeutet, daß Wilhelm beim Mord zugegen war. Er wurde indeß freigesprochen, da ja für ihn jeder Beweggrund, an dem Morde theilzunehmen, zu fehlen schien.

Ueber sein Verhalten an jenem Abende wurde übrigens noch folgendes festgestellt: Um zehn Uhr abends begab sich das Dienstmädchen Pasche zur Ruhe. Da waren im Gastraume noch die Frau Ziethen, Wilhelm und der jüngere Lehrling August Volherg anwesend. Der letztere forderte Wilhelm, mit dem er zusammen in einer Kammer schlief, auf, ebenfalls zu Bett zu gehen, aber Wilhelm erklärte, er wolle erst noch einmal ausgehen. Nach zehn Minuten kehrte er zurück, und nun gingen beide hinauf in ihm Kammer. Während Volberg rasch einschlief, schlich Wilhelm sich wieder fort, denn er erschien ein Viertel nach zehn Uhr in der Wohnung einer Frau Kesting, mit deren Tochter er ein Verhältnis hatte. Da das Mädchen aber nicht zu Hause war, entfernte er sich nach fünf Minuten wieder. Um halb elf Uhr betrat er die Wirthschaft von Wilhelm Faßbender und ließ sich einen Cognak geben, wobei dem Wirthe das aufgeregte Wesen des jungen Menschen auffiel; auch das Dienstmädchen Pasche hatte schon bemerkt, daß er angetrunken war. Nachdem er den Cognak rasch getrunken hatte, entfernte er sich wieder und kehrte in die Schlafkammer zurück. Gegen drei Viertel auf elf Uhr erhob er sich dort abermals und ging hinab in die Wirthsstube, in welcher sich die Frau Ziethen nach Schluß der Gastzeit ganz allein befand. Ein Viertel nach Elf hörte die neben der Kammer der Lehrlinge wohnende Frau Romann, die um elf Uhr zu Bett gegangen, aber noch nicht eingeschlafen war, wie die Treppe knarrte und jemand in Strümpfen heraufkam und in die Kammer trat. Es war Wilhelm, die Zeugin hörte, wie er seine Stiefel hinsetzte. Nicht lange danach hörte sie, daß Ziethen die Magd rief. Sonach wäre festgestellt, daß Wilhelm sich in der Zeit von drei Viertel auf elf Uhr bis ein Viertel nach elf Uhr mit der Frau Ziethen allein in der Wirthsstube befunden hat. Weiter ist der Umstand zu erwähnen, daß der Lehrling Volberg, als er infolge des Rufs seines Herrn aufstand, um hinunter zu gehen, das Taschenmesser des Wilhelm offen auf dessen Koffer liegen sah. Er knickte es zusammen und nahm es mit, um es später dem Wilhelm wieder zu geben. Das Messer ist aber in Verlust gerathen und daher nicht untersucht worden.

Die erkannte Todesstrafe wurde an Ziethen nicht vollstreckt, sondern in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt. „Von dem Tage seiner Verurtheilung an“ – wir lassen jetzt Dr. Friedmann in dem angezogenen Aufsatze in „Nord und Süd“ selbst reden – „hörte Ziethen nicht auf, in jedem Briefe, welchen er aus dem Zuchthause heraus an seine in Berlin lebenden Verwandten, einen hochbetagten Vater und einen Bruder richtete, seine Unschuld zu betheuern und dieselben immer wieder anzuspornen, alles aufzubieten, um sie zu beweisen.

„Der freigesprochene Lehrling hatte in den nächsten Jahren als Barbiergeselle Deutschland durchzogen und war schließich in Berlin angekommen; er war aus mehreren Stellen seines ausschweifenden Lebenswandels halber entlassen worden. Zur bessern Legitimation führte er einen mit ,Albert Ziethen’ unterzeichneten, höchst lobenden, natürlich von ihm gefälschten Lehrlingsschein bei sich, aber, sonst sprach er nicht gern von jener Zeit, veränderte auch seinen Vornamen und blieb unstet.

„Da, im Juni 1887, trat er mit dem Geständnisse hervor, er habe Frau Ziethen ermordet, sein früherer Meister wisse nichts davon. In Berlin von seinem Prinzipal, dem Kriminalkommissar, dem Richter verhört, blieb er zunächst bei seiner Aussage, dann aber, nach Elberfeld überführt, widerief er vor dem dortigen Untersuchungsrichter das Geständniß, um es bei einer abermaligen Vernehmung zu erneuern und ins einzelste auszumalen, wie er die seine Zärtlichkeiten abwehrende Frau kurz vor Ziethens Heimkehr erschlagen habe. Seine Bekundung, daß er den bei dem Morde benutzten Hammer gegen elf Uhr zu reinigen gesucht habe, dann nach seiner Lagerstelle geschlichen sei, um schließlich der unglaublichen Verhaftung des Meisters beizuwohnen, deckte sich völlig mit den Zeugenbeobachtungen. Ein hervorragender Berliner Kriminalbeamter wurde ausdrücklich beauftragt, sorgfältige Erhebungen darüber anzustellen, ob sich irgend welche Anhaltspunkte für eine etwaige Bestechung Wilhelms durch Ziethensche Verwandte oder Gönner ergäben. Aber der Bericht dieses Beamten spricht unumwunden aus, daß nichts dergleichen vorläge, daß aber zahlreiche noch unerhobene Beweise auf Wilhelms Schuld und jetzige Wahrhaftigkeit deuteten.“

Auf Grund des neuen Materials beschloß im Oktober 1887 die Strafkammer des Landgerichts zu Elberfeld die Wiederaufnahme des Verfahrens. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde indeß der Beschluß wieder aufgehoben. Man hielt die Selbstbezichtigung des Wilhelm für erlogen und nicht für beweistüchtig.

Ein neues Gesuch des Vertheidigers, die Wiederaufnahme des Verfahrens herbeizuführen, welches Gesuch sich auf eine Darlegung des Vorlebens und Charakters des Wilhelm stützt, wurde ebenfalls,

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