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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

hier ist ein stetes Kommen und Gehen. Will man ruhig seine Zeitung lesen oder ein Spielchen machen, so geht man in die anstoßenden, mit vornehmer Pracht ausgestatteten Säle.

So hat sich neben dem Neuen, Eleganten, Stilvollen auch überall das Alte zu behaupten gewußt, welches durch den Schimmer von Behaglichkeit, durch den patriarchalischen Ton und das traditionelle Festhalten am Hergebrachten nicht nur auf die absterbende Generation, sondern auch auf das jüngere Geschlecht seinen Reiz ausübt. Mit großer Zähigkeit behaupten sich daher neben den neuen prunkvoll eingerichteten Restaurants die alten, gemüthlichen, gutbürgerlichen Gasthäuser, welche zum Theil einen Jahrhunderte alten Ruf genießen. Das Michaeler Bierhaus, der „Lothringer“, das alte „Blumenstöckl“, der „Kühfuß“, das Winterbierhaus, das „Reichenbergerbeisl“, die Weinstuben von Zett, „Zu den drei Mohren“, „Bei den Schotten“, dann die verschiedenen Weinkeller, unter denen der „Esterhazy-Keller“ mit seiner mehr als dürftigen Einrichtung eine große Volksthümlichkeit genießt – nicht zu vergessen den Methkeller zum „süßen Löchl“ –, haben aus alter Zeit ihren guten Ruf und ihren Kundenkreis sich zu erhalten gewußt.

Die Herrengasse mündet auf die Freiung, einen stattlichen, geschichtlich merkwürdigen Platz mit lebhaftem Marktgetriebe, der Schottenkirche im Vordergrund und einer Reihe von Palästen und Zinsburgen als malerischer Umrahmung. Die gegenüber der Schottenkirche einmündende Teinfaltstraße zeigt neben der Kärntnerstraße und den Stadttheilen am Salzgries und an der Ausmündung der Rothenthurmstraße das langsam fortschreitende zielbewußte Wirken der Stadterweiterungskommission, welche an Stelle des Winkelwerks und der finstern, krummen Gäßchen breite, schöne und lichtdurchströmte Verbindungslinien schafft. Wie die jungen lichtgrünen Triebe an einen alten Tannenbaum setzen sich diese Neubauten mit ihrer heiteren prunkliebenden Architektur in das Gefüge der alten Straßenzüge ein, dem Verkehre bequeme Wege bahnend. Mit Wehmuth sieht der alte Wiener manche traute Stätte freundlicher Erinnerungen, manch denkwürdigen und künstlerisch werthvollen Bau diesem Bestreben zum Opfer fallen, und nicht immer erstehen an seiner Stelle Werke, welche dem Kenner und Schätzer des liebgewordenen Alten als würdiger Ersatz gelten können.

Der Stock im Eisen.

Durch die Färbergasse und Schwertgasse gelangen wir zur altberühmten stilvollen Kirche „Maria am Gestade“, einem herrlichen gotischen Baudenkmal aus dem zwölften Jahrhundert. Von gleich hohem Werthe und geschichtlichem Interesse ist das uralte Salvatorkirchlein. Hier umfängt uns Alt-Wien mit seinen engen finsteren Gassen und Winkeln und dem ehrfürchtigen Schauer einer nach vielen Jahrhunderten zählenden Vergangenheit. Am „Salzgries“, bei „Maria am Gestade“ und an der Fischerstiege vorbei floß vor Jahrhunderten der Donaustrom, dessen Bett jetzt weit von jener Stelle zurückgetreten ist. Wer einen Begriff von dem mittelalterlichen Wien erhalten will, der besuche diese Gäßchen mit den verwitterten Häusern, deren Fronten so enge aneinandergerückt sind, daß infolge der ewigen Dämmerung in den Geschäftslokalen den ganzen Tag Licht gebrannt werden muß: das enge Rothgäßchen mit seinem lebhaften Verkehr, die Judengasse mit ihren Trödlerläden und ihrem Straßenhandel, die Rosmaringasse und die merkwürdige Fischerstiege.

Wollzeile und Schulerstraße sind zwei äußerst lebhafte Verkehrsadern, in denen sich die Expeditionen und die Administrationen fast sämmtlicher Wiener Zeitungen angesiedelt haben. Von der Wollzeile gelangt man durch einen Schwibbogen auf den Universitätsplatz. Hier steht das alte, nun verlassene Universitätsgebäude und die Universitäts- oder Jesuitenkirche. Im Jahre 1365 unter Rudolf IV. gegründet, erfuhr die Universität im Jahre 1623 durch die Jesuiten eine gründliche Umgestaltung. In dieser Gestalt blieben die Gebäude fast unverändert bis in unsere Zeit. Im Jahre 1848 war der Universitätsplatz ein wichtiger Versammlungsort der akademischen Legion, und mancher geschichtlich denkwürdige Vorgang des großen Freiheitsjahres spielte sich in diesem Raume ab. Jetzt ist der Platz verödet; das Studentengewimmel und der lebhafte Verkehr in den angrenzenden Straßen hat mit der Verlegung der Universität in das neue Prachtgebäude auf dem Franzensringe sein Ende gefunden.

Der „hohe Markt“, ein schon zu Römerzeiten bekannter uralter Platz (forum altum) mit lebhafter Gewerbstätigkeit und regem Markgetriebe, war im Mittelalter der Ort, wo die Urtheile vertündet und vollzogen wurden (Gerichtsschranne). Eine prächtige von Karl VI. errichtete Denksäule ziert den Platz. Von hier gelangen wir über den „Lichtensteg“ in die Rothenthurmstraße und weiter über den Stefansplatz in die vom lebhaftesten Verkehr durchfluthete Kärntnerstraße, den Sitz des größten Geschäftsbetriebes mit prunkvollen Schauläden und wohlbekannten Geschäftshäusern.

Von der Kärntnerstraße biegen wir rechts ab und gelangen nach wenigen Schritten auf den „neuen Markt“, im Volksmunde noch immer „Mehlmarkt“ genannt, da in ältester Zeit hier der Sitz des Mehlhandels gewesen ist. Der „neue Markt“ gehört zu den geschichtlich denkwürdigsten Plätzen der Stadt. Hier ist die schmucklose Kapuzinerkirche und das Kloster mit der hochberühmten Kapuzinergruft, welche seit Matthias die kaiserliche Familiengruft des habsburg-lothringischen Herrscherhauses bildet. Das Mausoleum der Kaiserin Maria Theresia und ihres Gemahles Franz I. ist das hervorragendste, durch seine ergreifende Symbolik bedeutsamste Kunstwerk darin. Alljährlich zu Allerseelen werden diese Räume dem Publikum erschlossen. Der schönste Schmuck des Platzes ist aber der herrliche Monumentalbrunnen Rafael Donners, eine Schöpfung von vollendeter klassischer Schönheit, klar und einfach im leitenden Gedanken, von unsagbarer Anmuth und Schlichtheit in der Durchführung. Die Figuren, ursprünglich aus Blei, wurden erst im Jahre 1872 in Bronze abgegossen und dadurch eines der edelsten und formvollendetsten Kunstwerke aller Zeiten dauernd erhalten.

„So,“ sagte Herr Hainfelder zu seinem Schützling, „jetzt hätten wir einen flüchtigen Ueberblick von dem, was die innere Stadt bietet. Sie werden schon müde sein. Wollen Sie gut soupiren, so gehen Sie mit mir zu ‚Sacher‘ oder ins Hotel zur ‚Stadt Frankfurt‘ oder zu ‚Meißl‘. Da erzähl’ ich Ihnen dann von den guten alten Zeiten, die ich noch als Knabe und Jüngling gesehen; von den Basteien und Stadtmauern, vom Paradiesgärtchen und Wasserglacis, von Strauß und Lanner und den gemüthlichen, patriarchalischen Wienern, die ich noch gekannt habe, und die jetzt leider immer weniger werden. Und morgen, wenn Sie nichts anderes vorhaben, hol’ ich Sie ab zu einem Spaziergange über die Ringstraße.“




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_127.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)