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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


sich eine rege Bauthätigkeit bemerkbar macht; namentlich sind es zahlreiche Einfamilienhäuser einfacher Art, welche der so geschaffenen bequemen und zweckmäßigen Verbindung ihr Entstehen zu danken haben. Daß sich in ähnlicher Weise auch bei uns die Umgebungen der größeren Städte anbauen möchten, ist der lebhaft geäußerte Wunsch aller Sozialpolitiker; hier sehen wir ihn in die Praxis übergeführt, durch einen Neuling – die Druckluft; eilen wir, denselben auch bei uns in Deutschland als einen überall dienstfertigen Geist und guten Gesellen heimisch zu machen!




Truggeister.

Roman von Anton von Perfall.
(6. Fortsetzung.)
4.

Das war eine schwere Trennung von dem lieben Schönau! Der alte Herr fühlte erst jetzt die unzähligen Saugwurzen seines Herzens, die in diesen Boden sich senkten.

Ein Möbelwagen faßte alles, was von dem heiligen Besitz ihm blieb.

Die Einrichtung des Rokokozimmers, des Jagdsaals, das spärliche, schadhafte Mobiliar der übrigen Räume, die Bilder, die Waffen, das Spinett, alles verschluckte das grüne Ungethüm, und noch immer hatte es den weiten Rachen offen; ganz Schönau schien ihm nicht zu groß. Man stopfte es zu guterletzt mit den alten zerbrochenen Statuen aus dem Park voll, mit all dem vielgestaltigen Gerümpel, das Christian aus seiner hundertjährigen Staubdecke auf dem Dachboden erlöste und in seinem Seelenschmerz des Mitnehmens für werth hielt – Rahmen ohne Bilder, Bildern ohne Rahmen, unbestimmbarem, ineinander verworrenem Eisenzeug, alten Vogelbälgen u. s. w. u. s. w.

Als endlich der Rachen zuklappte, war ganz Schönau sauber ausgeweidet, nichts mehr übrig als nackte Wände, zerrissene Tapeten, blinde Fensterscheiben. Auf dem grünen Wagen aber, der langsam der Stadt zurollte, drang bei jedem Stoße ein geisterhaft klingender Ton heraus, das Klagelied des alten gebrechlichen Spinetts.

Theodor hatte bereits für eine passende Wohnung gesorgt. Papa sollte sich sofort heimisch fühlen, er selbst wandte ja nicht den Kopf mehr zurück nach Schönau. Aber das Mobiliar nahm sich gespensterhaft unheimlich aus in der neuen Wohnung, und Christian erschrak jetzt selbst über die Armseligkeit; gerade so mußte sich ja auch sein langer kaffeebrauner Rock, mußte sich der ganze Christian ausnehmen in dieser Umgebung.

Es entging ihm nicht die spöttische Miene des Mannes, welchen ihm Theodor als „Hausherr“ vorstellte, und bei dem Worte „Hausherr“ zuckte ihm das Herz. Er, geboren auf seinem altererbten Besitz, grau geworden darauf als Fürst seines Bodens, hatte jetzt einen „Hausherrn“. Die Diele, auf die er trat, der Ofen, der ihm Wärme spendete, die Decke über seinem Haupt war nicht sein, geliehen, kündbar – Christian fühlte sich bettelhaft gegen früher, trotz der halben Million.

Ueber jeden Gegenstand, den die Packer heraufbrachten, mußte er sonderbarerweise lachen. Die verschnörkelten Schränke und Kasten sahen so komisch aus, die zersprungenen, verblaßten aber nachgedunkelten Ahnenbilder in den großen Perücken und blitzenden Halskragen blickten so dumm erstaunt aus ihren zerstoßenen Rahmen, das Spinett jammerte so drollig die Treppe herauf. Er wußte, daß, wenn er über diese Dinge lachte, er damit über seine ganze Vergangenheit, über sein ganzes Leben lachte, und doch konnte er nicht anders, obgleich es so weh that. Theodor hatte ganz recht, eine neue, der Zeit und ihren jetzigen Verhältnissen entsprechende Einrichtung mußte gekauft werden.

Jetzt, da Christian einmal in der Residenz war, sah er auch ein, daß er seine Kreise wenigstens formell aufsuchen, sich vorstellen und Gegenbesuche empfangen müsse, das war er seinem Namen schuldig und vor allem seinem Sohn, dessen Vorwärtskommen jetzt sein einziges Lebensziel sein mußte. Christian zitterte davor, denn er fühlte sich längst nicht mehr salonfähig, war es eigentlich nie gewesen, immer ein rauher Landjunker geblieben. Er wußte, sie würden ebenso über ihn lachen wie er selbst über sein Mobiliar, aber das Pflichtbewußtsein mußte über all das weghelfen. Nur einige Wochen Zeit bat er sich bei seinem Sohne aus, bis er sich einigermaßen von dem eben erlebten Umschwung der Verhältnisse erholt habe.

Stefanelly verlor den Alten nicht aus dem Auge. Das Geschäft mit Schönau war trotz des hohen Preises vortrefflich. Er hatte damals schon die Gründung einer Aktiengesellschaft im Sinne und wußte, daß er beruhigt den Grundkomplex um hunderttausend Mark höher, als er ihn gekauft, der Gesellschaft anrechnen könne.

Außerdem war der alte Brennberg, nun einmal losgerissen von seinem Grund und Boden, ein knetbarer Stoff, das wußte Stefanelly aus Erfahrung.

Den Jungen hatte er nicht zu fürchten, wenn dieser nur immer Mittel hatte, seinem Vergnügen nachzugehen, und dafür wollte er schon sorgen.

Die halbe Million durfte nicht aus dem Gesichte verloren werden.

Der Alte, welcher sich in der Miethwohnung unglücklich fühlte und sich auch nie daran gewöhnen würde, der eigensinnige, verknöcherte Edelmann, war für Stefanelly bereits zu einem neuen Geschäfte reif; was er verloren. wollte Stefanelly ihm schon wieder verschaffen, er sollte wieder Herr werden in seinem Hause.

Stefanelly hatte Häuser auf Lager für jeden Geschmack, für alle Verhältnisse, er kannte alle die Schwächen und Eitelkeiten seines Publikums. Häuser mit überladenen aufgeputzten Fronten, Karyatiden, reichen Gesimsen, im Innern billige Massenarbeit; schmucklose Miethkasernen, nach Schachtelsystem gebaut; niedliche kleine Häuschen, idyllisch, gemüthlich, mit Gärtchen daran; einfach vornehme, aristokratische, mit einer Säulenhalle aus Sandstein; alterthümlich ritterliche mit Erkern und Thürmchen, Wappen und Fähnlein; das letzte Muster war für den alten Brennberg recht, das mußte ihm in die Augen stechen. Das wirklich aristokratische mit den Säulenhallen verstand er nicht, ihm mußte er schon mit gröberer Zeichnung kommen. Er hatte eben ein solches burgartiges Ding fertig, ziemlich weit draußen vor der Stadt in seinem neuen Viertel, gegen Haching zu, aber das machte nichts, der Alte liebte ja die Landluft.

Für Christian hatte das Anerbieten, das Stefanelly ihm machte, wirklich etwas Verlockendes, und mit einer Kühnheit, die ihn fast selbst wunderte, ging er darauf ein.

Als ihm Stefanelly das schöne Gebäude zeigte. war er gerührt.

Das war ja ein Herrensitz, gegen den Schönau nicht aufkommen konnte, das war kein Haus wie die andern alle umher! Ueber dem gothischen Thor das Brennbergsche Wappen, auf dem Thurm die Flagge, die Jahrhunderte auf Schönau geweht – herrlich!

Da paßten auch die alten lieben Möbel hinein, die alten Herren in den Allongeperücken; und dabei lag es doch fernab von dem nervösen Gewühl der Großstadt, Ackerluft umgab es, und frei schweifte der Blick hinaus, sogar bis hinüber nach dem Schönauer Park, aus dem nach das Dach des alten Schlosses hervorleuchtete.

Christian verlor vor Freude alle nöthige Vorsicht des Käufers, und der Preis, den Stefanelly forderte, schien ihm wirklich nicht zu hoch. Der kühne Bauunternehmer hatte offenbar eine besondere Vorliebe für ihn, den alten Herrn von Brennberg – ja, ein guter alter Name that doch trotz aller Aufklärung und allen Fortschritts noch immer seine Wirkung!

Der Kauf war rasch abgeschlossen und damit ein Bruchtheil der halben Million schon wieder zurückgekehrt zu ihrem früheren Besitzer.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_112.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)