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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Zeit über sie kam. Ein schönes dunkles Frauenantlitz schwebte ihr in unbestimmten Formen vor den Augen, die spanische Mantille über dem Kopf, mit hohem Kamme aufgesteckt, die Granatblüthe hinter dem Ohr, und sie hörte die helle Stimme der Baronin: „Sind Sie nicht eifersüchtig, Frau Jussnitz, gar nicht?“

Dann schüttelte sie den Kopf, als verjage sie ein widriges Insekt, und seufzte auf. Nein, das war undenkbar, wohin verirrte sie sich. Und laut sagte sie: „Wenn ihm doch das neue Bild gelänge, wenn er Anerkennung fände! Ich glaube, daß es einen großen Einfluß hätte auf seine Stimmung. Meinen Sie nicht auch, Herr Doktor?“

„Ganz sicher!“ erwiderte dieser.

„Ich hätte eine Bitte an Sie,“ begann sie nach einer Pause, und ihr Gesicht leuchtete wie das eines Menschen, dem plötzlich ein guter Gedanke gekommen ist.

„Befehlen Sie über mich, gnädige Frau!“

„Sie sollen mir helfen, Leo gesund machen.“

„Mit Vergnügen!“

Sie faltete die Hände über ihrer Arbeit und sah ihn ernsthaft an mit den schimmernden Augen. „Darf ich auf Ihr Schweigen rechnen?“ fragte sie.

„Sicher, Frau Jussnitz.“

„Sie sind genau in Berlin bekannt. Haben Sie noch Beziehungen daselbst?“

„Gewiß!“

In einer Kunsthandlung dort steht ein Bild von Leo zum Verkauf – ich möchte es erwerben. Verstehen Sie, er darf es nie erfahren, es muß von irgend einem Engländer erstanden sein – Sie können das gewiß leicht vermitteln? – Bitte, Herr Doktor, sagen Sie nicht ‚Nein!‘ sprach sie angstvoll weiter, als er schwieg, „Sie glauben nicht, wie viel mir an dem Gelingen meines Planes liegt.“

„Und wenn Leo das jemals erführe?“

„Er darf es nicht erfahren,“ drängte sie, „und wenn – dann trifft mich allein die Schuld. Ich bitte Sie –“

„Ich werde es thun, wenn Sie es für gut halten.“

„Ich danke Ihnen!“ Sie griff nach seiner Hand und drückte sie leise. „Ich weiß, Leo wird erstarken an diesem Bewußtsein.“

Dann stand sie auf, ging zu dem Schreibtisch und entnahm ihm eine kleine silberne Sparbüchse. Sie erglühte wie eine Rose, als sie, wie sie glaubte, ungesehen, dieselbe um eine ganze Anzahl Goldstücke erleichterte. „Leo ist nicht allzubillig,“ sagte sie zurückkehrend mit verlegenem und doch glücklichem Lächeln. Und sie schob die blinkenden Münzen in eine kleine grünseidene Börse von Häkelarbeit und überreichte sie Maiberg, der sie mit abgewandtem Gesichte empfing. Er wußte, sie hatte die Sparbüchse der Kleinen geplündert, denn er hatte Leo gestern abend, als er verlor, zu seiner Frau sagen hören: „Hast Du noch Kasse?“ Und als sie den Kopf schüttelte, hatte Leo nur das eine Wort gesprochen: „Mutter!“ Dann war Antje gegangen und mit dem Gelde wiedergekommen.

Maiberg empfahl sich rasch unter dem Vorwande, sogleich einen Brief in dieser Angelegenheit absenden zu wollen. Ein trauriges Lächeln auf den Lippen, trat er in sein Zimmer, und dieser Ausdruck verschwand erst, als er die Feder eintauchte, um einem alten Freunde zu schreiben, der den Kauf des Bildes vermitteln sollte. Er wäre am liebsten hundert Meilen von hier gewesen. Sie wollte ihren Gatten die Kränkung vergessen machen, sie wollte ihn sich retten, sich und dem Kinde, und da meinte sie, es auf diese Weise zu können. Was mochte sie schon alles versucht haben, ihn herüber zu ziehen zu sich! Er haßte Leo in diesem Augenblick.

Und da drüben in der bunten Kinderstube herzte die junge Frau das Kind und sprach mit ihm. „Du bekommst etwas Besseres dafür, Maus, Du bekammst einen guten lustigen Papa, sei Deinem Mütterchen nicht böse. Sieh, wir haben ja kein Glück ohne den Papa, nicht wahr, Maus?“ Und sie faltete der Kleinen die Händchen zwischen den ihren und ließ sie beten, daß dem Papa sein neues Bild gelingen möge, daß es sehr schön werde und allen gefalle, und daß er – sie wurde glühend roth, während sie das sprach, und schaute an dem Kinde vorüber – daß er recht bald damit fertig werde.




Es war am Heiligen Abend. Durch die Straßen Dresdens tobte ein wahrer Orkan, der duftige Flimmer des Schnees war von den Dächern, Statuen und Baumästen geschüttelt, und einzelne schwere Regentropfen fuhren, vor dem Winde hergetrieben, durch die Luft; die Wege überzog ein breiiger Schmutz, der bis auf die Dächer der Equipagen und auf die Hüte der Menschen spritzte. Es sei ein schlechtes Weihnachtswetter, meinten die Leute. Die großen Regentropfen schlugen auch klatschend gegen die Scheiben des Jussnitzschen Ateliers in der stillen Vorstadtstraße, aber es war darum nur behaglicher in dem großen gut durchwärmten Raum, der dem Nichtkenner sehr einfach erscheinen mochte. Die mit blaßgelber billiger Papiertapete bekleideten Wände waren hie und da mit Nachahmungen irgend eines berühmten alten Gobelins geziert; dazwischen standen riesig große Chinavasen und hingen einzelne Waffen. Den Fußboden bedeckte ein täuschend nachgemachter alter orientalischer Teppich, in dem selbst Flecken und Löcher nicht fehltet. Die Möblirung war sparsam; ein mit einer Smyrnadecke belegtes Ruhebette, einige sehr tiefe behagliche Fauteuils, mit Kameeltasche bezogen, ein Tischchen vor dem Ofen, das war alles! An diesem Tischchen, das noch die Reste eines Frühstücks trug, saß Tante Polly auf einem echten Renaissancestuhl, bedächtig eine Kaviarsemmel verzehrend, während ihre Augen unausgesetzt die Nichte oder Herrn Jussnitz beobachteten.

Hilde stand seitwärts von der Staffelei in einem Kostüm aus gelbem Brokat mit schwarzen Spitzen; vom Hinterkopf fiel die Mantille herunter über den schönen Nacken, die rechte Hand hielt den Fächer, die linke hatte in die schweren Falten des Röckchens gegriffen und zerdrückte das Gewebe; sie stand da, als sei sie der Sache überdrüssig und habe die größte Lust, fortzulaufen.

„Weiß der Himmel,“ rief Jussnitz, das Mädchen betrachtend. „Sie bringen es fertig, jeden Tag anders auszusehen! Heute machen Sie ein Paar Augen, daß ich Ihnen statt des Fächers lieber einen Dolch in die Hand geben möchte. Trinken Sie ein Glas Sherry, Hilde, es fröstelt Sie, und seien Sie nicht so schrecklich ungeduldig, Ihre Qualen sind ja bald vorüber.“

Hildegard von Zweidorf lachte ganz kurz und hart auf. „O ja,“ sagte sie, „es wird Zeit, und Tante dankt auch Gott, wenn sie erlöst wird – nicht wahr, Tante?“ Sie drehte den Kopf so heftig herum, daß die großen goldenen Ohrringe mit den beweglichen Sternchen daran blitzten, und sah die kleine Dame finster an, indem sie ihr einen aufmunternden Blick zuwarf, der deutlich sprach: „Wirst Du gleich Ja sagen!“

„Ja,“ sagte Tante Polly, „meine Wirthschaft wird besser dabei wegkommen, wenn ich wieder mehr zu Hause bleiben kann.“

„Und ich,“ setzte Hilde mit zuckenden Lippen hinzu, „ich gehe wahrscheinlich auf einige Zeit nach Hause.“

Leo hatte an dem Haar gemalt, und zwar so eifrig, daß er diese Erklärung überhörte.

„Ich gehe wahrscheinlich nach Hause auf einige Wochen,“ wiederholte sie und schlug den Fächer auf und zu.

„So?“ fragte er nun, „wie kommt das? Für Ihre Studien wird es nicht gerade vortheilhaft sein.“

Sie sah mit eigenthümlichen Augen zu ihm hinüber, Augen, in denen es von unterdruckten Thränen flimmerte. Aber sie lachte wieder. „Nun, ich frage Sie ja auch nicht, weshalb Sie über Weihnachten auf das Land gehen!“

Er antwortete wieder nicht; er war zurückgetreten und schaute das Bild an. „Kommen Sie einmal her, Hilde, sehen Sie sich das Gesicht hier an, und dann betrachten Sie das Ihre in dem Spiegel! Sind beide noch dasselbe?“

„Nein!“ erwiderte sie kurz, ohne sich zu rühren.

„Ich möchte wirklich wissen,“ fuhr er fort und blickte sie jetzt mit einem Zug von Besorgniß in seinem hübschen kecken Gesicht an, „was es mit Ihnen ist. Sie sollten einen Arzt fragen, Hilde; ich fürchte fast, ich muß mir Vorwürfe machen, daß ich –“

„Sie?“ unterbrach sie ihn mit einem schrillen gezwungenen Ton der Verachtung. „Nein, da beruhigen Sie sich, bitte – mir fehlt nichts, gar nichts!“

„Sie sind heute schlechter Laune, Hilde, und verderben mir die Stimmung mit,“ rief er und stellte den Malstock in die Ecke, „ich kann die paar Kleinigkeiten auch ändern ohne Ihre Gegenwart; das Kleid werde ich der Puppe anziehen. Hoffentlich sind Sie in der nächsten und letzten Sitzung etwas gnädiger gestimmt.“

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