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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

heutiges Geschlecht ist nicht mehr naiv genug zu solch allgemeiner, rückhaltloser Hingabe an die tolle Lust der närrischen Tage; nur einige vereinzelte Bezirke haben sich ihren alten Karneval mit all seinem urwüchsigen Humor als örtliche Merkwürdigkeit erhalten - und auch dort hört man die Klage: „Es ist nicht mehr wie einst!“ Auch die polnische Fastnachtsfeier, die unser Bild vorführt, kämpft um ihr Dasein. Doch wird sie noch immer da und dort in herkömmlicher Weise begangen. Es ist der „Kulig“, eine Festfahrt und ein Festball in Kostüm, der sich in die äußeren Formen einer Hochzeit kleidet. Wenn es gegen den Schluß der Faschingszeit geht, da sucht sich der reichste Glutsbesitzer der Gegend zwei schmucke junge Männer, die zugleich tüchtige Reiter sind, verabredet sich mit ihnen, daß er den „Kulig“ auf seinem Gute halten will, und beauftragt sie mit dem Laden der Gaste. Die zwei Vertrauensmänner lassen sich das nicht zweimal sagen; sie miethen sich eine Musikbande, wie sie fast in allen polnischen Städten zu haben ist, setzen sie auf einen Schlitten und fahren mit ihr beim ersten der zu Ladenden vor. Hier ein lustiges Gelage - dann ziehen Wirth und Gäste zum zweiten, dritten, vierten; überall wird gegessen, getrunken, getanzt - dann geht's weiter. Immer länger wird der Zug, immer mehr Schlitten folgen, oft bis zu vierzig oder fünfzig. Das schönste Paar der Gesellschaft wird für Braut und Bräutigam erklärt und spielt die vornehmste Rolle, vorn bei dem Musikschlitten reiten die zwei Festordner. Endlich trifft die Kavalkade auf dem Gute des Reichsten ein - und nun beginnt erst die richtige Faschingslust, die fortgeht, bis der Aschermittwoch mit seinen grauen Schatten heranbricht.

Das Duell. Gezeichnet von F. Stuck.

Das Kloster St. Bartholomä am Königssee. (Zu dem Bilde auf S. 93) Ein herrliches Fleckchen Erde, jener eigentümliche Zipfel an der südöstlichen Ecke des bayerischen Oberlandes! Wir brauchen nur Namen zu nennen: Reichenhall, Berchtesgaden, Watzmann, Königsee! Der Königssee! Tiefgrün, in wunderbarer Klarheit liegt dieses „Auge des Gebirgs“ zwischen seinen gewaltigen, bis zweitausend Meter hohen Felswänden eingebettet, ein Seebild von so erhabener landschaftlicher Schönheit, wie es im Deutschen Reiche wohl ein zweites nicht giebt, dessen gleichen vielleicht nur der Gosau-See zu Füßen des Dachsteins bietet. Am Westrande des Königssees, wo seine Ufer am nächsten zusammentreten liegt auf grünem Vorland das Kloster St. Bartholomä von dem der See auch den Namen „Bartholomäussee“ hat. Ein Heiligthum stand dort nach der Sage schon in den ältesten Zeiten da das Christenthum einzog in den deutschen Landen, aber der Bau, der heute steht, ist ganz im Zopfstil umgebaut und mahnt an die Zeit, wo die Chorherren von Berchtesgaden hier in der Verborgenheit ihre fröhliche Sommerfrische hielten. Jetzt dient das alte, durch seine Saiblinge Lachsferche noch besonders berühmte Kloster den bayerischen Herrschern als Jagdsitz. Und ist ein dankbarer Jagdgrund hier: das hat sich auch unserem Künstler geoffenbart, als er zur Winterszeit das einsame Kloster zu zeichnen unternahm. Drei Stück Hochwild, ein kapitaler Hirsch darunter, sind nahe herangekommen, wohl vom Hunger getrieben, denn das eine Stück sucht schnuppernd im Schnee nach kärglicher Nahrung, während die beiden andern wie sehnsüchtig das stille Bauwerk betrachten, als hofften sie, daß von dort ihnen Hilfe kommen müsse.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_100.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)