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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Jetzt gehen? Nun, die Bertl wird sich bedanken! Merkst Du denn gar nichts mehr?“ flüsterte sie ihm zu; „er ist ja ganz vernarrt in sie! Schau’ doch nur, wie er in sie hineinredet! Es vergeht kein Jahr, da sitzen wir wieder da, aber in anderer Gesellschaft!“

„Wir gehen, Mutter!“ Die Worte klangen jetzt bestimmt und klar wie ein Befehl.

Frau Margold wußte aus Erfahrung, daß dagegen nichts zu machen war, wenn sie nicht einen unangenehmen Auftritt heraufbeschwören wollte, und ein solcher mußte jetzt gerade um jeden Preis vermieden werden. Mit einem schweren Seufzer erhob sie sich, ebenso Margold, sicher, fest; er schien wieder völlig nüchtern geworden zu sein.

Alles Zureden der Gesellschaft, selbst Stefanellys war vergeblich. Das Pärchen unten am Tische wurde durch den plötzlichen Aufbruch jäh aufgeschreckt.

Bertl warf einen flehenden Blick auf den Vater, auch Theodor bat um Aufschub. Margold dankte ihm für seinen Besuch, blieb aber dabei, daß es höchste Zeit sei, er fühle sich unwohl von dem ungewohnten Leben, und auch für Bertl sei es nur schädlich. Es war noch kein Wagen da, aber Margold erklärte, lieber zu Fuß gehen zu wollen, die frische Luft, würde ihnen allen gut thun.

Nachdem alle Versuche, ihn zurückzuhalten sich als vergeblich erwiesen hatten, bot Theodor seine Begleitung an. Margold wohnte erst seit kurzem in dem Hause Weinmanns in dem neuen Stadtviertel, und Theodor stellte ihm vor, er könnte leicht irre gehen, er möge ihm darum erlauben, den Führer zu machen. Das konnte der alte Mann mit dem besten Willen nicht abschlagen.

Loni flüsterte beim Abschiede Bertl ins Ohr: „Ich gratulire!“ und empfing dafür einen innigen, ernstgemeinten Kuß; auch Hans gab der Schwester seine Ermahnung mit auf den Weg, die Gelegenheit zu nutzen. Theodor versprach, um sein Anerbieten weniger verdächtig erscheinen zu lassen, wiederzukommen, dann bot er Bertl den Arm.

Polnische Fastnachtsfeier: Der Kulig.
Nach einer Zeichnung von T. Rybkowski.

Die Mutter wußte es, trotz aller Gegenanstrengung Margolds, der doch nicht mehr ganz fest auf den Beinen war, so einzurichten, daß die jungen Leute einen Vorsprung gewannen, den sie sich nicht mehr rauben ließen. Das war ein wonniger Gang für Bertl, eng geschmiegt an den geliebten Mann, durch die nächtlichen Straßen der Stadt. Die frische Luft weckte erst recht die Champagnergeister in ihrem Köpfchen, sie sah alles im rosigsten Lichte, alle Bedenken und Zweifel schwanden. Auch Theodor war erregt vom Spiel und Wein, von dem Anblick des schönen Mädchens, das er bisher stets nur im Werktagskleide, ohne den bestechenden Reiz zu sehen gewohnt war, der jetzt so mächtig auf seine Seele wirkte.

Eine verzehrende Gluth ging von ihr aus und strömte auf ihn über, ihr Arm zuckte in dem seinigen. Sie war für ihn begehrenswerth in diesem Augenblick, und zum Entsagen war er jetzt als der Sohn des reichen Vaters noch viel weniger aufgelegt denn vor wenigen Monaten als armer Lieutenant.

Er nannte das Gefühl, das er jetzt empfand, Liebe und ließ sich ganz davon beherrschen, ohne sich über die Zukunft Gedanken zu machen.

Anders Bertl. Der Sinnentaumel in den sie verfallen war, gipfelte bei ihr in der verlockenden Aussicht auf die Zukunft. Sie gehörte nicht mehr zu den Eltern, die hinter ihnen schweren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_096.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)