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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Unter Umständen kann ja ein solcher Erwerb allerdings Diebstahl sein, rechtlich betrieben aber ist er eine absolute Nothwendigkeit für das allgemeine Wohl, ein Segen für die Menschheit und gerade für die arbeitende Menschheit. Je mehr Kapital, desto mehr, desto besser bezahlte Arbeit. Wer leistet mehr und Segensreicheres für unsern Stand“ – er betonte das Wort „unsern“ scharf – „der, welcher mit seiner Hände Arbeit sein tägliches Brot verdient, das heißt, sich und seine Familie ernährt, oder der, welcher mit seiner Kopfarbeit sein Kapital vermehrt und, dieses in den Dienst der Arbeit stellend, Tausende ernährt?“

Das war ein Treffer. Margold blickte mit unverhohlener Bewunderung auf den Unternehmer, der klug die Bresche benutzte, welche er sich in diese harte Brust gebrochen hatte.

„Ich,“ fuhr er mit vollem Bewußtsein seiner Bedeutung fort, „ernähre wirklich Tausende, ohne einen Stein anzurühren oder eine Kelle in die Hand zu nehmen. Ich rufe eine neue Stadt ins Leben, begründe unzählige Existenzen – glauben Sie, ich könnte das für mich, aus eigenen Mitteln? – Leider nein! Das Kapital, das vielgelästerte, das nicht meine beiden Hände, mit denen ich früher arbeitete, sondern mein Kopf, mit dem ich jetzt arbeite, mir dienstbar macht, verleiht mir die Riesenkraft, das alles ins Werk zu setzen, und am Ende hat der Kapitalist, welcher ruhig seinen Zins genießt, dasselbe Verdienst für das große Ganze wie ich, der ich ihm denselben zukommen lasse, wie der Arbeiter, durch dessen Fleiß das alles wird, was den Zins trägt. Wechselwirkung, Austausch der Kräfte – darin liegt das ganze Geheimniß der Maschinentechnik, und die ganze Welt ist eine Maschine. O, es sträuben sich viele gegen diese Anschauung! Der alte Herr von Brennberg zum Beispiel – Sie kennen ihn ja“ – der Unternehmer beobachtete scharf den Alten – „der gehörte auch dazu, so lange er nichts hatte als sein altes Nest Schönau – jetzt ist er Kapitalist und läßt sich bekehren.“

„Der Herr von Brennberg – bekehren?“

Margold brachte das Glas, aus dem er eben hatte trinken wollen, nicht zum Munde vor Erstaunen.

„Und zwar gründlicher, als ich hoffte! Er ist seit einigen Wochen auf meinen Rath und meine Vermittlung hin Hauptaktionär einer Baugrund-Erwerbungsgesellschaft, er wird in einigen Jahren sein Vermögen verdoppeln, ohne einen Schritt dafür machen zu müssen, und er wird dann über seine Schönauer Thätigkeit lachen.“

„Das wird er nimmer, der Herr von Brennberg, auch wenn er ein dreifacher Millionär wird,“ fuhr jetzt Margold empört auf. „Lachen über etwas, was ihm sein ganzes Leben heilig war, das thut der alte Herr von Brennberg niemals.“

„Uebrigens,“ unterbrach ihn. ohne auf seine Erregung zu achten, der Unternehmer, „hätte ich noch einige Aktien zu vergeben – ich bin nämlich der Gründer jener Gesellschaft – und wenn Sie zugreifen wollen, es ist lediglich eine Gefälligkeit von mir; doch da wir einmal schon in geschäftlicher Verbindung gestanden –“

Er zog ein Notizbuch heraus.

„Wollen Sie?“ fragte er, seinen kalten Blick auf Margold ruhen lassend. „Bis morgen ist’s zu spät, die Dinger gehen ab wie warme Semmeln.“

Die ganze Tischgesellschaft war allmählich auf das Gespräch der beiden aufmerksam geworden, andächtig lauschte sie auf die Worte Stefanellys und blickte jetzt neidisch auf den Alten, den es nur ein Wort kostete, einzutreten in das Goldland, das den meisten von ihnen für immer verschlossen war.

Hans und Loni drängten den Vater und Schwiegervater mit funkelnden Augen und vorwurfsvollen Worten; selbst Bertl, auf die der Alte einen hilfesuchenden Blick warf, nickte ihm zu, er solle nur zugreifen. Der Vater war ja dann der Compagnon Brennbergs, und der Ausgleich zwischen dem Gärtner und dem Rittergutsbesitzer, von dem Theodor einst gesprochen hatte, that einen weiteren Schritt vorwärts!

Margold war ganz verlassen, allein mit seinem Mißtrauen, mit seiner instinktiven Furcht, die ihm der Antrag einflößte.

„Nun, Herr Margold –“ ermunterte der Unternehmer, den Bleistift zwischen den Lippen netzend.

„Nun, so nehme ich eine Aktie!“ rang es sich endlich schwer aus der Brust. „Wenn der Herr von Brennberg es riskirt –“ Der Gärtner wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Eine? Das ist ja nicht der Mühe werth, unter fünf thue ich es nicht! Lassen Sie sich doch nicht zu Ihrem Glücke drängen!“ meinte Stefanelly.

„So schreiben Sie nur fünf für den Vater!“ sagte Hans. „Ich nähme alle, soviel Sie mir gäben! – Ums Himmels willen, ist der Mann schwerfällig!“

„Darf ich, Herr Margold?“

„So schreiben Sie fünf,“ klang es gepreßt.

Der Unternehmer that es rasch und schob das Notizbuch ein, indem er einen Augenblick seine stechenden Augen schloß, als wolle er nicht die Freude sehen lassen, die in ihnen aufleuchtete.

Man trank jubelnd auf Margolds Wohl.

„O, er wird schon noch recht werden, wenn er auf den Geschmack kommt!“ meinte Hans. „Wie sollen wir Ihnen nur danken, Herr Stefanelly, für alles, was Sie für uns thun!“

„Bitte, bitte, es liegt ja in meinem Interesse, verständige Leute, welche die Zeit begreifen, für das großartige Unternehmen zu gewinnen. Ich stelle mich Ihnen jederzeit zur Verfügung, Herr Margold. Selbstverständlich werden die Herren Aktionäre bei allenfallsigen Häusererwerbungen von mir besonders bevorzugt und von Gelegenheiten zu vortheilhaften Geschäften zu rechter Zeit in Kenntniß gesetzt. Ich kann das machen, nicht wahr, Herr Weinmann, Sie können sich nicht beklagen über Ihr neues Haus!“

„Das meine ich auch, um das Doppelte gebe ich’s nicht her!“ bestätigte Weinmann.

„Sehen Sie! Machen Sie es auch so, Herr Margold,“ drängte Stefanelly, „ich hätte eben eines an der Hand, vorzüglich für Sie geeignet, auch wenn Sie Ihren Plan mit der Kunstgärtnerei durchführen wollen, von dem ich übrigens abrathe; es ist schade um das Geld, das Sie hineinstecken. Wenn Sie sich das Haus kaufen, so bekommen Sie mehr für die Miethe, als Sie je mit Ihrer Gärtnerei verdienen können, und über Jahr und Tag schlagen Sie es mit einem Gewinn von Tausenden los; wir stehen ja erst am Anfang der Entwicklung von M ... Wollen Sie nicht gleich morgen –“

Frau Margold stieß den Gatten kräftig mit dem Ellbogen an und flüsterte: „Greif zu!“

Der Alte war bös in der Klemme.

„Haben Sie etwas Geduld mit mir, Herr Stefanelly,“ flehte er; „ich bin alt und kann mich nicht so rasch entschließen. Das kommt alles so plötzlich über mich, dazu der starke Wein hier, ich bin das nicht gewöhnt – morgen vielleicht –“

Hans schlug ärgerlich auf den Tisch und leerte auf einen Zug ein Glas Champagner.

Loni und ihr Vater lachten spöttisch, nur Bertl hatte jetzt Mitleid mit dem Vater und unterstützte ihn; heute sei keine Zeit zu Geschäften, morgen könne man ja davon reden. Vorsichtig gab Stefanelly selbst ihr recht und brach das Gespräch ab.

Der Champagner erhitzte die Köpfe. Die Geladenen verloren ihre Schüchternheit, vergaßen den vornehmen Raum, der sie anfangs so eingeschüchtert hatte, und lärmten nun auf ihre gewohnte Art, in ihrer gewohnten Sprache. Als Hans in einer wirren Rede Stefanelly als den Wohlthäter der Arbeiter, den Stolz der Stadt feierte, da erreichte die ausgelassene Stimmung ihren Höhepunkt, und selbst Margold wurde durch die Erregung und den Wein mit fortgerissen. Er lauschte mit unsicherem Blick auf die Erzählungen Stefanellys, wie er das geworden, was er jetzt sei, durch das Vertrauen, das er sich erworben habe; er bewunderte zuletzt selbst den Mann und kam sich recht albern und unwissend neben ihm vor. Was konnte er erzählen? Von Graben und Schaufeln sein Lebtag lang. Er unterhielt sich jetzt trefflich und sah die Welt plötzlich so lustig vor sich liegen wie damals vor vierzig Jahren, da er sie als Gärtnerbursche mit dem Ränzel auf dem Rücken durchwanderte. Auch Bertl konnte sich der allgemeinen Stimmung nicht entziehen, der Champagner löste in ihr alles in weiches, wonniges Sehnen auf; war ihr Vater nur erst ein reicher Mann – und er war ja auf dem besten Wege dazu – so kam das übrige dann schon von selbst nach.

Der Abend war schon angebrochen und noch immer war kein Ende. Gluthhitze erfüllte den Raum und ein schwerer Dunst von Speisen und Wein. Aus dem Zimmer nebenan ertönten klirrende Säbel, Männerstimmen, Gläserklang, – dann trat wieder in bestimmten Zwischenräumen lautlose Stille ein, die nur von einem eigenthümlichen leisen Rascheln unterbrochen wurde.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_094.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)