Seite:Die Gartenlaube (1891) 077.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Modebetriebes der fünfziger und sechziger Jahre. Damals wußte man genau, „was getragen wird“. Man brauchte wenig eigenen Geschmack und eigenes Denken, wenn man nur gut von Paris bedient wurde. Und Paris sorgte dafür, daß dies geschah. Die neue Mode, die der Kaiserin und jenen 200 Frauen aufgedrängt wurde, war diejenige der Welt. Wenn sie in Paris den bevorzugten Löwinnen des Tages zum „Creiren“ übergeben war, standen schon Tausende von Ballen postfertig da, damit die neuen Stoffe nach wenig Wochen in Berlin und Wien, in Petersburg und Madrid, in New-York und Montevideo in den Schaufenstern prangen konnten.

Die Krinoline brachte mit sich eine zweite traurige Modeausschweifung: das Chignon, jenen unmäßig großen Nackenzopf, welcher gleichfalls bis in die siebziger Jahre hinein getragen wurde. Wie hat man gegen die unsinnige, unappetitliche und häßliche Anhäufung dicker Wülste fremden Haares geeifert! Und wie wenig hat es geholfen! Bis in die untersten Stände hinein schien die Zuhilfenahme fremden Haares allen Frauen unerläßlich.

Die Industrie erfand Ersatzmittel, der Haarhandel stieg zu außerordentlichem Umfange, in den entferntesten Waldthälern waren die Zöpfe der Bauernmädchen vor der Schere des feilschenden Händlers nicht mehr sicher.

Das Jahr der Vergeltung, das furchtbare Jahr 1870, kam. Das Kaiserreich prasselte zusammen. Aber selbst über den Krieg hinaus wirkte die Macht seiner Organisation der Pariser Moden.

Die Welt war rathlos, wie sie sich zu kleiden habe, als das deutsche Heer die tonangebende Stadt mit eisernen Armen umklammerte, als die endlich befreite geschwächt, zerschlagen aus dem Ringen hervorging.

Noch lange blieb die Mode der alten Richtung treu. Noch 1875 herrschte die Krinoline, das gespreizte Wesen. Aber während früher die Kleider aufgebauscht, in der stolzen Linie eines Domes gewölbt waren, hatten sie jetzt etwas Schlaffes, Hängendes, Lotteriges. Eine der unglücklichsten Eigenthümlichkeiten dieser letzten Zeit war, daß die Taillen immer kürzer wurden. Man war 1874 schon fast wieder beim Schnüren dicht unter der Brust angekommen. Die Rückenlänge war oft nicht über 30 cm. Damit war es ermöglicht, die nun trichterförmige Krinoline recht weit auszudehnen, den Kleiderberg noch größer zu machen. Aber es war der letzte Versuch, dem nun veraltenden Formgedanken Interesse abzugewinnen.

Seit dem Herbst 1875 – ganz plötzlich – fiel der weite Rock in Ungnade, der ein halbes Jahrhundert sich in der Gunst der Frauenwelt erhalten hatte. Der Umschlag war ein allgemein gebilligter und daher auch ein überraschend plötzlicher und radikaler. Schon 1876 waren die Kleider zu einer Engheit zusammengeschrumpft, die sogar jene von 1801 übertraf. Mit den Millionen unnütz gewordener Reifröcke spielten die Kinder; es kamen kleine, von ausgehöhlten Hollunderästen gebildete Pistölchen auf, deren treibende Kraft ein Stück Stahlfeder aus Mutters Krinoline abgab.

Aber viele ältere Frauen trennten sich nur schwer von dem liebgewordenen Kleidungsstück, das sie als ein reinliches und in mancher Beziehung sparsames priesen. Denn die Stoffe zum Rock wurden nicht zerschnitten, konnten also öfter verwendet werden, wenn sie ihren ersten Zweck erfüllt hatten.

Zwei Kleidungsstücke waren charakteristisch für die 1875 bis 1880 getragene Mode: die Panzertaille und die Prinzeßrobe. Beider Haupteigenschaft war die Knappheit. Die erstere war ein ganz festes, oft hinten geschnürtes, mit Fischbein verstärktes Leibchen, welches bis auf die Hüften herabging. Es war dieses Kleidungsstück also abermals ein Widerspiel zu den bisher getragenen kurzen Taillen. Es schien darauf abgesehen, gerade das Gegentheil von dem zu machen, was als die kaiserliche Mode galt.

Wieder wie vor 60 Jahren wurde das Bestreben allgemein, die Gestalten so schlank als möglich zu bilden. Aber während das erste Mal zu diesem Zweck der Oberkörper verkürzt wurde, so daß der untere Theil der Brust und die Seiten verleugnet wurden, der Unterkörper also möglichst lang aussah, wählte man jetzt den umgekehrten Weg. Der Oberkörper wurde möglichst gestreckt, die Taille so tief als möglich gerückt, die Hüften in das gleiche Gewand mit der Brust gepreßt. Der Rock kam erst unterhalb der Hüften zum Vorschein und hatte enge, reich, aber schneidermäßig gelegte, nicht frei bewegliche Falten, so daß das Schreiten fast zur Unmöglichkeit wurde. Während das Leibchen kräftig

lothrecht getheilt wurde, um lang auszusehen, umgab die Beine wagrecht

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_077.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)