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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Die Edelkoralle.

Von Carl Vogt.

War das ein ungewohntes Leben und Treiben an der zoologischen Station in Neapel im Frühjahr 1884! Nicht sowohl unter den zahlreichen Männern der Wissenschaft, alten und jungen, die dort mit gemahnter Emsigkeit und Ausdauer ihren Studien sich hingaben, als unter den Fischern und Matrosen, sowie den verschiedenen Beamten, welchen der Empfang der eingebrachten Thiere, ihre Sortirung und Konservirung obliegt. Einige Fischer hatten Bäumchen und Aestchen von Edelkorallen zum Verkaufe angeboten, freilich getrocknet und abgestorben - aber das kundige Auge des Konservators Salvatore lo Bianco hatte sofort erkannt, daß die Polypen noch vor wenig Stunden gelebt haben müßten. Man wurde Handels einig und die sonst so argwöhnischen und mißtrauischen Fischer hielten um so weniger vor ihrem Landsmanne zurück, als sie unmittelbar einsahen, daß die Station ihnen Stücke und Zweige, welche für die Verarbeitung nur höchst geringen Werth hatten, bester bezahlen würde als die Fabrikanten. Salvatore dampfte zu ihnen hinaus auf die Bank halbwegs Capri, auf welcher sie arbeiteten, gab ihnen die nöthigen Anleitungen und die Gefäße, in welchen sie die für die Station bestimmten Bäumchen lebend in Seewasser hereinbringen sollten, und bald standen überall in den mit strömendem Wasser gespeisten Aquarien Glasgefäße mit lebenden Korallen, deren milchweiße, blüthenartige Polypen sich lustig ausbreitetet.

Die Kunde verbreitete sich rasch. Fremde und Neapolitaner, jedermann wollte das neue Meerwunder der lebenden Korallen sehen. Mancher ging wohl enttäuscht weg; statt der kleinen rothen Bäumchen, an deren Aesten und Zweigen niedliche, weiße Sternblüthen und Knospen sich zeigten, die nur mit äußerster Langsamkeit sich öffneten oder schlossen, hätte er vielleicht erwartet, daß die lebende Koralle lustig umherschwimme wie ein Fisch oder mit den Armen im Wasser herumfuchtele wie ein vom Winde bewegter Baum. Aber die meisten der zahlreichen Besucher gingen dennoch befriedigt von dannen, denn die Edelkoralle ist doch eigentlich ein echt neapolitanisches Gewächs, für das jeder Interesse hat.

Die Korallenfischerei ist für das westliche Mittelmeer, was die Schatzgräberei für das Binnenland; auf dem Boden mühseliger Arbeit und harter Entbehrungen blühen die wunderreichsten Sagen von fabelhaften Reichthümern, die der glückliche Finder, der von den untermeerischen Dämonen begünstigt wird, ans tiefen Grotten und Klüften erbeuten kann; sie ist eine Lotterie, in welcher nur derjenige gewinnt, der die Träume und übrigen mystischen Andeutungen auszulegen weiß , während die große Mehrheit leer ausgeht. Schon aus diesem Umstande wird es erklärlich, daß die Korallenfischerei, an welcher sich früher auch Spanier, Portugiesen und Franzosen betheiligten, fast ausschließlich in den Händen der Italiener und unter diesen wieder der Bewohner von Torre del Greco bei Neapel sich befindet. Selbst in denjenigen Gewässern, welche anderen Nationen gehören, wie z. B. an den Küsten von Algerien und Tunis, sind es italienische Fischer, welche das Geschäft betreiben, und Torre del Greco entsendet für sich allein dreiviertel der sämmtlichen Barken, die Italien stellt.

Ich wollte die Fischerei mit eigenen Augen sehen, und so dampften wir denn an einem prachtvollen Frühlingsmorgen, Salvatore und ich in Begleitung einer Dame, auf dem „Balfour“, einem kleinen offenen Boote, das der Station gehörte und zur Fischerei auf der Oberfläche mit dem feinen Netze diente, hinaus auf Capri zu, wo wir nach einer Stunde Fahrt die zwei „Coralline“ fanden, deren Mannschaft uns freudig begrüßte; sie ahnten, daß sie heute einen guten Fang machen würden, obgleich die See etwas hochging und dem schleppen des Fangkreuzes nicht günstig war. In der That nahmen die Danksagungen und Einladungen zu baldigem Wiederkommen kein Ende, als die „Eccellenza“ jeder Barke einen Thaler beim Abschiede spendete über den Preis der erbeuteten Korallen. „Sie können oft zwei oder drei Tage fischen, bis sie soviel verdienen,“ meinte Salvatore, und doch waren es zehn Mann, welche die zwei Thaler unter sich zu vertheilen hatten!

Nach besonderem Maßstab - denn die Mannschaft jeder Barke bildet eine kommunistische Gesellschaft, die auf Antheil arbeitet. Keiner der Teilnehmer hat feste Bezahlung; der Gewinst hängt von dem glücklichen Zufall und der Thätigkeit der Mannschaft ab. Bei solchen Unternehmungen stehen die Italiener allen übrigen Nationen voran; sie legen sich die härteste Arbeit und die unglaublichsten Entbehrungen auf, um geträumte Reichthümer, in Wirklichkeit aber nur einige klingende Münze zu ergattern. Torre del Greco sendet 300 Barken im Jahre aus, die sieben Monate lang, zwischen Anfang März und Ende Oktober, in See bleiben und im Durchschnitte mit zehn Mann, worunter ein Padrone und ein Junge, besetzt sind. Meist bleiben die Leute während der ganzen Zeit an Bord, wo sie ihren sämmtlichen Proviant haben , den sie zu Hause auf Borg entnommen haben, um den Betrag bei der Rückkehr, natürlich mit Wucherzinsen, von dem Erlöse zu bezahlen. Zwieback und Wasser ist die Grundlage; dazu kommt etwas Oel, Macceroni, Bohnen, gesalzenes Fleisch, Käse und Wein für die Festtage. Man berechnet die gesammten Ernährungskosten einer Schiffsmannschaft für die ganze Zeit van sieben Monaten , also 210 Tagen, auf 1650 Franken, somit für die Ernährung eines Mannes dreiundzwanzig und einen halben Franken im Monat, nicht ganz 80 Centimes auf den Tag! „Hätte ich nicht einigen Mundvorrath und einen Korb Orangen mit mir gehabt“, sagte mir Salvatore, der einmal einen Monat lang mit den Fischern südlich von Sciacca zugebracht hatte, „so weiß ich nicht, was aus mir geworden wäre bei dem ewigen Einerlei von steinhartem Zwieback und fauligem Wasser. Elende Nahrung und unaufhörliche harte Arbeit - man begreift nicht, wie die Leute es aushalten können, und begreift noch weniger, wie sich immer noch Mannschaft findet! Wenn sie auf dem Lande arbeiten wollten, verdienten sie das Doppelte und Dreifache mit halber Anstrengung.“

Härteste Arbeit in der That, die Tag und Nacht fortdauert, wobei sich die Männer ablösen, so lange das eigentümliche Fangnetz, „ingegno“ genannt, auf dem Boden des Meeres geschleppt wird. Aber in den entscheidenden Augenblicken wo der Fangapparat heraufgewunden wird, müssen alle Hand anlegen.

Die Edelkoralle wächst nur auf steinigem oder felsigem Grunde und meist in einer Tiefe von 50 bis 150 Faden (1 Faden etwa - 1,80 Meter). Gewöhnliche Schleppnetze können nicht benutzt werden, denn die Korallenbäumchen wurzeln meist in den Rissen und Klüften der Felsen, am liebsten sogar in Vertiefungen, Höhlen und Grotten, an deren Decke sie haften. Das Ingegno besteht aus zwei starten Holzbalken, die kreuzweise zusammengefügt sind. Die Arme der Apparate, welche von den großen Barken benutzt werden, können bis zu vier Metern Länge, vom Mittelpunkte aus gemessen, haben; in dem Mittelpunkte des Kreuzes wird ein Stein oder ein schweres Metallgewicht befestigt, schwer genug, um den ganzen Apparat bis aus die angegebene Tiefe hinabzuziehen. An den Armen hängt ein Gewirre von aufgequirlten Tauen, zerschlissenen Netzen von mehreren Metern Länge, die sich nach allen Seiten hin ausbreiten, sobald das Fangkreuz in das Wasser geworfen wird, und den Boden fegen wie ein Besen. Diese Fäden schlingert sich um alles, was unten kraucht und festsitzt; sie werden vom Wasser in die Ritzen und Klüfte hineingespült und umgarnen die Korallen, die dort festsitzen. Gelinder Wind und wenig hoher Wellengang begünstigen nun die Arbeit; das Fangnetz wird langsam fortgeschleppt und zugleich ruckweise gehoben, so daß es die festgewachsenen, von den Fäden umschlungenen Korallen abreißen kamt. Oft aber verschlingt sich das Netz so, daß es nicht loszubringen ist. „Herbei mit dem Tortolo“, kommandirt der Kapitän. Ein etwa hundert Kilo wiegender Eisenring, der an einem Seile gehalten ist, wird über Bord geworfen; matt sucht mit ihm die Felsen zu zertrümmern an welchen das Netz sich verankert hat. Nach mehrstündigem Schleppen wird dieses mittels der Winde heraufgezogen und endlich mit äußerster Anstrengung aller Kräfte über Bord eingeholt.

Fabelhaft ist die Menge von Thieren, die da mit heraufgebracht werden: Seeigel, Seesterne, Seewalzen, Muscheln und Schnecken, Krabben und Krebse, zuweilen selbst Fische, Schwämme, Korallen, Polypen. Seescheiden und Anemonen hängen in den Fäden. Das alles wird herausgerissen und, wenn es nicht eßbar ist, in das Meer zurückgeworfen. Aber da schimmert es in rothem Scheine! Mit äußerster Sorgfalt werden die Fäden entwirrt, oft auch mit dem Messer zerschnitten und so ein niedliches

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_058.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)