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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


sich, „wollen’s halt versuchen!“ – Daß ihr Mitleid größer war als alle Bedenken, gestand sie sich selbst nicht ein. – –

Die gute Polly! Als sie spät abends aus ihrem Theekränzchen heimkehrte, stand in dem halbdunklen Hausflur eine schlanke Mädchengestalt neben der dicken Ladenbesitzerin. „Wie eine junge Gräfin,“ dachte Frau Polly im ersten Augenblick. Und als sich diese junge Gräfin dann als die erst auf morgen erwartete Nichte entpuppte, da ward Frau Polly, die noch eben das gesammte Kränzchen mit ihrer gewichtigen Rede beherrscht hatte, ganz kleinlaut.

Das hatte sie nicht gedacht! Sie entschuldigte sich sogar in der ersten Verlegenheit, daß sie nicht zu Hause gewesen sei, sie entschuldigte sich des Schlafkämmerleins wegen, das nach hinten hinaus lag, kaum Platz hatte für die schmale Bettstelle und förmlich erfüllt war von dem Käseduft aus der Vorrathskammer des Lädchens, die unmittelbar unter dem Zimmer lag.

Aber Hilde von Zweidorf sagte, sie sei müde, sehr müde und hoffe ausgezeichnet zu schlafen, und ihre Augen sahen dabei so glänzend aus und schienen über die mehr als einfache Umgebung so gleichgültig hinweg zu schweifen in weite, weite Fernen, daß Tante Polly meinte, sie habe so eine richtige übergeschnappte Künstlernatur als Hausgenossin bekommen, die es kaum merken werde, wenn man ihr statt Kaffees warmes Wasser vorsetze. In der That, Hilde lehnte alles, was ihr angeboten wurde, mit den Worten ab, sie sei nicht hungrig. Andererseits aber bedankte sie sich so herzlich für die Zuflucht, welche sie bei der verehrten lieben Tante Polly gefunden habe, fragte mit dem Ausdruck so rührender Theilnahme nach dem Befinden der alten Dame, daß diese, als das Mädchen in ihr Kämmerchen verschwunden war, nicht wußte, ob ihr wohl oder wehe zu Muthe sei; nur das eine war ihr klar, Hilde würde weder kochen noch nähen noch reinmachen helfen.

(Fortsetzung folgt.)




Im Grillparzerzimmer des Wiener Rathhauses.

Ein Gedenkblatt zum hundertjährigen Geburtstag des Dichters.

Kathi Fröhlich.
Grillparzers „ewige Braut“.

„Hier ist jeder Fleck heiliger Boden und tausend Gegenstände, von denen das Zimmerchen erfüllt ist, reden von dem Wesen und Weben des Geistes. Hierher soll man junge Leute führen, damit sie den Eindruck eines soliden, redlich verwandten Daseins gewinnen. Hier soll man sie drei Gelübde ablegen lassen: das des Fleißes, der Wahrhaftigkeit, der Konsequenz.“

Goethes Haus: Immermann („Fränkische Reise“)

Zwei Jahre etwa sind es her, seit sich im Wiener Volksgarten das Kundmannsche Denkmal für Franz Grillparzer erhebt. Als dieses Denkmal enthüllt wurde, da hat die „Gartenlaube“ (vergl. Jahrg. 1889, S. 314) der geistigen und litterarischen Bedeutung des großen Dichters Altösterrelchs eine warmherzige Darstellung gewidmet. Und heute nun, da die gesammte deutsche Welt sich anschickt, einen Grillparzergedenktag zu feiern, den Tag, an dem es hundert Jahre sind, seit der Dichter der „Ahnfrau“ das Licht der Welt erblickte – es war am 15. Januar 1791 – heute mögen die Leser im Geiste mit mir eine Stätte besuchen, die mehr als irgend eine andere geeignet ist, das Bild des Gefeierten in den lebendigsten Farben vor dem inneren Auge aufsteigen zu lassen und zum Gedächtniß an ihn die rechte Stimmung zu verleihen. Das „Grillparzerzimmer“ im Wiener Rathhause ist es, was ich meine.

Nicht auf eigenem Grund und Boden, wie Goethe, nicht einmal im eigenen Heim ist Grillparzer gestorben. Zeitlebens hat es der größte Dichter Altösterreichs zu keinem selbständigen Hauswesen gebracht. In seinen Mannesjahren fehlte es ihm an dem Muth und an den Mitteln, seine „ewige Braut“ Katharina Fröhlich zu heirathen; jahre- und jahrzehntelang lebte der Poet in den engen Verhältnissen eines Archivbeamten, und als ihm, gelegentlich seines 70. Geburtstages, durch kaiserliche Verfügung eine Erhöhung seines Gehaltes zutheil wurde, da hatte der Greis weder Lust noch Anlaß mehr, sein Junggesellenleben aufzugeben.

Er war, mit dem Eintritt des Alters, zu den Schwestern Fröhlich gezogen, hochgebildeten, in der Wiener Musikwelt mit Recht allverehrten Damen, die als Gesangslehrerinnen eine segensreiche Thätigkeit entfalteten. Die bescheidene Wohnung dieser Jugendfreundinnen Grillparzers befand sich in der Spiegelgasse; auf einer finsteren Treppe waren vier steile Stockwerke zu erklimmen, bevor man zu der kleinbürgerlichen Behausung der „Fräulein Fröhlich“ gelangte, als deren „Zimmerherr“ Franz Grillparzer alles in allem nur eine einzige, nicht allzugeräumige Stube als Wohnraum innehatte.

Durch einen schmalen Gang, in welchem ein paar Bücherschränke untergebracht waren, gelangte man in das Gemach, welches dem Poeten sowohl als Arbeits- wie als Schlafzimmer dienen mußte. Die Einrichtung dieses eigentlichen Wohnraumes, in welchem Grillparzer nach einem treffenden Worte Hans Hopfens lebte, „fast könnte man sagen wie das Thier in seiner „Muschel“, war geradezu dürftig. Altväterischer, vermuthlich ererbter Hausrath, wie er heutzutage kaum einer Studentenwirthschaft angemessen sein möchte, genügte dem anspruchslosen Wesen des Dichters.

Die ansehnlichsten Stücke der Einrichtung waren ein derber Schreibtisch und ein ledergepolsterter Armstuhl: das Bett des Dichters, ein schmales Sofa, ein Kleiderkasten und eine Kommode hätten in ihrer Armseligkeit dagegen selbst in der Zelle eines Bettelmönches ohne weiteres Platz finden dürfen. An der Wand rechts stand ein schmuckloses Klavier (sechsoktavig), auf welchem der große Freund und Kenner Beethovens und Schuberts gern und gut phantasirte. Zieraten, Bilderschmuck u. dgl. hatte Grillparzer in seinem Studierzimmer spärlich angebracht; nur dem Lorbeerzweig, den Kaiser Max von Mexiko dem Poeten einst als Zeichen der Huldigung gewidmet, und dem Ehrengeschenk, welches die Armee dem Dichter der an Radetzky gerichteten Verse „In Deinem Lager ist Oesterreich“ dargebracht, hatte Grillparzer eine Stelle auf seiner Kommode, den Bildnissen seiner Lieben und seiner Lieblinge Ehrenplätze an den Wänden gegönnt. Im übrigen genügten ihm als Sorgenbrecher und stets willkommene Hausgenossen die Geistesgewaltigen aller Zeiten und Völker, voran die über alles verehrten Werke Goethes, dann die Dramen seiner geliebten Spanier, zumal Lopes, die großen Historiker und Philosophen der Vergangenheit, die Grillparzer als unermüdlicher Leser und strenger Kritiker immer wieder vornahm, prüfte und auskernte.

So versammelte er in diesem kahlen, nur wenigen Lebenden zugänglichen Stübchen die vornehmste Gesellschaft der Jahrhunderte um sich. So ergoß sich – wie Immermann das von Goethes Arbeitszimmer bewegt sagt – eine Fülle des glänzendsten Lichtes aus dieser kleinen, weltabgeschiedenen Dachstube.

Jahrelang hat Grillparzer in dieser Kammer gehaust in streng geregelter Lebensordnung, rastlos lesend und denkend, alle Anregung nur aus dem eigenen Innern schöpfend. Zwar wandelte sich schon bei Lebzeiten des Dichters seine stille Klause zu einem Nationalheiligthum Deutschösterreichs; zwar drängten sich an seinem 75. und 80. Geburtstage Berufene und Unberufene als Glückwünschende hinzu, Vertreter aller Stände, Minister und Studenten, die Bürger der Zukunft, die Größen des Burgtheaters und die Dichter der Zeit, die Frauen Wiens und die Abgesandten der Armee. Wohl aber wurde dem Dichter nur, wenn er in seinem mühsam errungenen Weltfrieden, abgeschlossen, nur seinen Träumen und Studien leben konnte.

So zurückgezogen er aber auch hauste, dem Weltlaufe folgte er stets mit lebendigem Antheil, nicht nur in kühler Betrachtung. Die Ereignisse des Jahres 1866 thaten dem Patrioten am tiefsten weh, und als im Herrenhause die große Redeschlacht für die Aufhebung des Konkordates anhob, verließ Grillparzer seine Zelle, um als Führer des geistigen Adels von Deutschösterreich im Parlament zu sein.

Auch die letzte Krankheit überkam unseren Dichter in dem unscheinbaren Gelaß der Spiegelgasse; als der Arzt den Altersschwachen fragte, was ihm fehle, erwiderte er, dem sein herber Witz bis zuletzt treu blieb, mit launiger Selbstironie: „Junges Blut.“

Nach dem Tod Grillparzers (1872) hegten die Schwestern Fröhlich den edlen Wunsch, die Wohnstätte des Dichters der Nachwelt unverändert vor Augen zu stellen. So lange die Freundinnen des Poeten lebten, wachten sie ängstlich über seine Papiere, Bücher und Möbel. Nach dem Heimgang dieser trefflichen Damen aber trat als Hüterin ihrer Schätze die Gemeinde Wien an ihre Stelle. Mit der größten Pietät wurden im städtischen Museum des neuen Rathhauses zwei Gemächer als Grillparzerzimmer so sorgfältig als möglich der Eintheilung und Einrichtung der Wohnung nachgebildet, welche der Dichter bei den Schwestern Fröhlich innegehabt hatte.

Durch den Saal der Zünfte und die Galerie der Wiener Tonkünstler, Dichter, Schauspieler, Volksschriftsteller etc. kommt man zunächst in einen Vorraum, der mit den Bildnissen der Mitglieder der Familien Grillparzer und Fröhlich geschmückt ist. Zur Linken gelangt man in ein Gemach, das dem Flur und Bibliotheksraum der Wohnung des Poeten in der Spiegelgasse genau entspricht und das wir auf unserer Zeichnung oben rechts abgebildet finden; seine Bücherschränke sind hier unversehrt mit ihrem alten, köstlichen Inhalt zur Stelle. In Schaukästen sind aber alle Ehrendiplome und Prachtgeschenke, Miniaturen, Medaillen, Ringe und Reliquien des Dichters (seine letzte Feder etc.) ausgestellt. An den Wänden hängen (von Meister Rudolf Alt in Musteraquarellen festgehalten) Abbildungen von Grillparzers Wohnräumen; gegenüber (nach einem Aquarell

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_043.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)