Seite:Die Gartenlaube (1891) 038.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Eine unbedeutende Frau.
Roman von W. Heimburg.
(2. Fortsetzung.)


Jussnitz und Hilde suchten eine Droschke und fuhren miteinander dahin; er saß ganz stumm an ihrer Seite und kam sich wunderlich vor neben dieser fremden und doch so altvertrauten Persönlichkeit; die Vergangenheit war lebendig in ihm geworden. Was hatten die Jahre, besonders die letzten, für einen Philister aus ihm gemacht! Die Zeit des Jugendübermuthes, der Schwärmerei, der Begeisterung und der tollen Streiche zog vor seinem Auge vorüber in verlockenden Bildern. Toni von Zweidorf! Es lag etwas Veilchenduftiges in der Erinnerung an diese erste Liebe, und die weiche Frühlingsstimmung überkam ihn wieder mächtig in diesem Augenblick.

Seine Begleiterin war entzückt von dem Elbstrom, den vielen Lichtern, die sich in dem dunklen Wasser spiegelten, von dem ganzen Leben und Treiben der Großstadt. Sie hatte hundert Fragen, die er beantworten mußte. Als endlich die Straßen stiller, die Beleuchtung mangelhafter wurde, sagte sie enttäuscht: „Ich fürchte, Tante wohnt am Ende der Welt!“

In diesem Augenblick hielt der Wagen vor einem einstöckigen kleinen Hause, das zwischen großen, drei und vier Stockwerke messenden Gebäuden wie ein Zwerglein stand. Im Erdgeschoß war ein Verkaufslokal, das sich bei näherem Hinzutreten als ein sogenanntes „Büdchen“ auswies, das heißt als ein Laden, wo Gemüse, Eier, Butter, Käse und saure Gurken zu haben sind, und dem nicht gerade verführerische Düfte entströmten, als Jussnitz die Thür öffnete, um zu fragen, ob in diesem Hause Frau Sekretär Berger wohne.

Eine ungeheuer dicke Frau, die aus einer so kleinen Thür getreten war, daß man gar nicht begriff, wie sie hatte durch schlüpfen können, trocknete sich die Hände an der Schürze und fragte: „Sie seien wohl gar schon die Nichte von der Bergern? Ih! Das thut mir aber sehre leid, die is Sie zum Dheekränzchen, ich weeß aber werklich nich, bei wem das heite is.“

Hilde von Zweidorf lachte belustigt auf. „Was soll ich denn aber anfangen bis dahin?“ rief sie. „Kommt Tante sehr spät nach Hause?“

„Mehrschendeels erst um elf herum, Freileinchen; aber Sie können ja bei mir warten, oder erlauben Sie, die Frau Bergern legt manchmal den Schlüssel unter die Strohdecke vor der Stubenthür, ich will Sie doch gleich mal nachsehen.“

Der gefällige Koloß verschwand, man hörte ihn eine ächzende Treppe hinauf- und nach einem Weilchen wieder herunterkeuchen. „Es thut mir sehre leid, diesmal hat sie ihn wo anders hingethan, aber wenn Sie bei mir warten wollen –“

„Verwahren Sie den Koffer des Fräuleins,“ unterbrach sie Jussnitz, auf dessen Gesicht ein unbehaglicher Ausdruck lag, „und kommen Sie indeß mit mir, Fräulein von Zweidorf. Sie müssen wenigstens etwas essen, und dann ist ein Gang durch die Straßen immer noch besser, als hier in diesem Duft zu warten.“

Er fügte das letzte in französischer Sprache hinzu, und sie antwortete ebenso mit tadelloser Aussprache:

„Allerdings! Der Eintritt in meine Zukunft scheint nicht glänzend, mein Herr; ich erlebe die erste Enttäuschung. Tante schrieb von einer freundlichen Vorstadtwohnung, und ich dachte an eine Allee alter Bäume und an ein Gärtchen vor der Thür – o Wirklichkeit, wie häßlich bist Du!“

Sie nahm seinen Arm, den er ihr bot, und schritt mit ihm durch die Straßen.

Einen Augenblick hatte er die Idee, irgend ein vornehmes Restaurant aufzusuchen, dann aber trat er mit ihr in ein ihm unbekanntes Lokal der Friedrichstadt; es war völlig menschenleer. Sie saßen sich dort gegenüber am sauber gedeckten Tischchen und konnten sich bei heller Gasbeleuchtung endlich ganz deutlich betrachten.

Hilde gewann nur noch, als sie den Hut abgenommen hatte und die schön geformte Stirn sichtbar ward; man sah ihr an, daß die Lage ihr Freude machte. „Bitte, erzählen Sie mir,“ bat sie und nahm ein wenig kaltes Fleisch, „wohnen Sie in Dresden oder außerhalb der Stadt?“

„Außerhalb,“ erwiderte er.

„O, ich glaube, ich würde die Stadt selbst vorziehen. – Ist Ihr Atelier schön, darf ich es sehen?“

Es flog etwas wie ein Schatten über seine Stirn. „Sie dürfen es sehen, natürlich, und ich hoffe, recht oft! Vielleicht versuchen Sie es, bis Sie einen besseren finden, mit mir als Lehrer?“

Sie legte Messer und Gabel hin und reichte ihm die Hand über den Tisch. „Wie liebenswürdig Sie sind, aber – ich landschaftere ja!“

„Ich auch nebenbei; auch sage ich ja nur: bis Sie einen besseren finden. Und dann habe ich zugleich einen Wunsch: ich möchte Sie malen, Fräulein Hilde – ich darf doch Hilde sagen als alter Nachbarssohn?“

„Versteht sich! Und wissen Sie, daß ich mich jetzt ganz deutlich Ihrer erinnere? Sie haben ja alle Tage der Toni Fensterparade gemacht! Ich saß mit den Schwestern auf der Schwelle unserer Hausthür, und dann grüßten Sie hinauf, wo Toni am Fenster stand.“

„Aber, ich bitte Sie,“ wehrte er ernsthaft, „mein Weg führte dort vorüber, und als Tanzstundenherr hat man doch die Verpflichtung, zu grüßen.“

„Ah so! Das ist richtig!“ Sie lachte wieder. „Und malen wollen Sie mich?“ Es klang ein mühsam unterdrückter Jubel aus ihrer Stimme.

„Wenn Sie gestatten –“

„Warum nicht?“

„Aber Sie müssen mir erlauben, das Bild in die Ausstellung zu schicken,“ sagte er hastig.

Sie erröthete vor Freude. „Wirklich?“ fragte sie.

„Ist es Ihnen unangenehm?“

„O bewahre! Auf der Straße sehen mich die Leute ja auch an!“

„Schön! Ich komme in den nächsten Tagen zu Ihrer Frau Tante.“

Hilde war fertig mit Essen. „Was beginnen wir nun?“ erkundigte sie sich und setzte den Hut mit der alten geknickten Straußenfeder, der ihr gleichwohl außerordentlich gut stand, vor dem Spiegel auf.

„Wir sehen uns die Schaufenster vielleicht ein wenig an, wenn Sie nicht zu müde sind.“

Nein, sie war nicht zu müde, gar nicht! Sie zog die schwarzen gewobenen Handschuhe an, aus denen hier und da eine rosige Fingerspitze hervorguckte, und ließ sich von Herrn Jussnitz den eng anschließenden Mantel aus billigem Lodenstoff, der in seiner Neuheit gar nicht so übel aussah, anziehen und nahm den Muff. Er war von schwarzer Katze oder gefärbtem Kaninchen. Dann erklärte sie sich bereit.

Sie benutzten die Pferdebahn bis zum Postplatz und drängten sich dann durch die Menschen auf dem hell erleuchteten Trottoir. Er ward nicht müde. mit ihr vor den Schaufenstern stehen zu bleiben, deren jedes sie in Entzücken versetzte. Sie hatte ja noch nie eine größere Stadt gesehen. Vor einem Juwelierladen, in dem Edelsteine von allen Farben leuchteten, da war sie mit ihren bewundernden Ausrufen am Ende; sie stand mit großen Augen und halb geöffneten Lippen da. Jussnitz kam es vor, als lege sich über das kindlich schöne Gesicht ein verlangender sehnsüchtiger Ausdruck.

„Was kostet wohl so ein Ding?“ fragte sie endlich und deutete mit dem Finger auf eine kleine Brillantbrosche.

„O, ein paar tausend Mark!“ antwortete er.

„Ein paar tausend Mark? Unmöglich!“

Das war viel mehr, als das Jahresgehalt ihres Vaters betrug, von welchem eine große Familie leben mußte.

„Aber, sagen Sie,“ fuhr sie fort, wieder neben ihm gehend, „wieviel bekommt man für ein Bild, wenn man ‚berühmt‘ ist?“

Er lächelte ein wenig; ihre Augen sahen so fieberhaft erregt aus. „Wenn man ‚berühmt‘ ist, so viel man will, Fräulein Hilde.“

„Mehr, als solch eine Brosche kostet, viel mehr?“ fragte sie.

„Gewiß!“

Sie seufzte tief auf.

„Ich muß Sie jetzt nach Hause begleiten,“ begann er nach langem Schweigen; er hatte plötzlich Eile. Sie folgte ihm ohne

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_038.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)