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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ihrer Mutter gehört hatte; und der stattliche Hausherr schrieb Goethes Ausspruch: „Dienen lerne bei Zeiten das Weib nach ihrer Bestimmung“ seinem einzigen Töchterchen in das Album, das es zur Konfirmation erhielt.

Nun, Leo dachte jedenfalls anders, er verstand ihr Bestreben nicht, ihm das Haus behaglich zu machen. Sie hatten ja Dienstboten, die den Thee eingossen, die das Abendbrot auftrugen, die Zimmer und Garderobe imstand hielten. Antje wußte mitunter nicht, was sie vornehmen sollte; glückselig erwartete sie das Kind, das ihr Leben ausfüllen würde. Als es geboren ward im mütterlichen Hause, da durfte sie zunächst noch ihm alles sein; dann aber, als sie hierher übersiedelten, ward es anders, da war es nur noch, als besitze Antje eine sehr kostbare Puppe, die sie etwa Sonntags einmal zum Spielen bekam. Leo fand es angemessen, daß Amme und Kinderfrau die Kleine warteten und daß diese, gleich einer jungen Prinzessin, nur alle Tage einige Male in reizendster Toilette der Mutter zugetragen wurde. Anfänglich war Antje geradezu trostlos darüber gewesen, indessen ihre Bitten, ihr stummes Flehen hatte Leo als Empfindelei abgewiesen; jetzt, wo das Kind größer geworden war, sie als Mutter kannte, erschien Antje diese Maßregel etwas erträglicher, wenn sie auch noch immer mit heimlich geballten Fäusten zusah, wie fremde Hände die kleinen rosigen Glieder badeten, sie in linde weiße Wäsche hüllten, und wie fremde Stimmen den Liebling in Schlaf sangen. – –

Die junge Frau lief plötzlich mit erhelltem Gesicht aus dem Zimmer und nach der Kinderstube. Die dicke Kinderfrau bereitete eben das Bad. Es roch nach feiner Seife und warmem Wasser, am Plafond brannte die Hängelampe und warf ihren Schein auf den großen bunten Teppich am Boden, der mit allerhand Spielzeug ubersät war und auf dem im Unterkleidchen ein blondes dreijähriges Kind saß. Die krausen Härchen woben sich wie ein Glorienschein um das zarte Gesichtchen.

„Maus!“ rief die junge Frau jubelnd und ungestüm vor der Kleinen niederkniend, „Goldmaus, die böse Mama hatte beinah Dein Bad versäumt!“ Und sie preßte ihre weinenden Augen in das Haar des Kindes und küßte es leidenschaftlich.

„Gute Christine, bitte, ach bitte, lassen Sie mich heute die Maus baden!“ rief sie nach einem Weilchen.

Die Alte zuckte die Achseln und brummte irgend etwas.

„Maus, wer soll Dich baden?“ fragte Antje so angstvoll, als hinge von dieser Entscheidung ihres Lebens ganzes Wohl und Wehe ab.

„Mama!“ sagte das Kind.

„Ist recht,“ gab Christine zur Antwort, „habe so wie so eine Bitte an die Gnädige. Meine Minna ist heute ins Krankenhaus geschafft worden – die Angst läßt mich alles verkehrt machen – darf ich wohl einmal nachfragen heute abend drunten im Dorfe?“

„Aber freilich, Christine! Gehen Sie nur und schicken Sie mir die Classen herauf!“

Die alte Köchin kam mit verdrießlicher Miene und fand Frau Antje lächelnd und glücklich mit dem Kinde beschäftigt, das im Wasser jauchzte und lachte. Aber sie ließ sich nicht täuschen, die langen Wimpern waren ja noch naß von Thränen. Sie hatte ihr Antje einst ebenso gewartet, sie kannte sie durch alle die Jahre ihres jungen Lebens, wie sonst nur die eigene Mutter sie kannte, und, zu der Wanne tretend, sagte sie halblaut: „Es lohnt doch nicht der Mühe, gnädige Frau, daß Sie darum weinen, in der Ehe ist ein Tag wie der andere, das ist alles dummes Zeug mit solchen Erinnerungsgeschichten.“

„Du siehst Gespenster, gute Classen; das Badewasser ist’s, das mir die Maus in die Augen gespritzt hat,“ war die Antwort.

„Jawohl, ich seh’s schon –“ murmelte die alte Frau, „es ist das Badewasser.“ Und sie nahm die Wärmflasche von dem ausgebreiteten Flanelltuch.

Und während Frau Antje das Kind abtrocknete, sagte sie über die Schulter: „Der Herr hat wichtige Geschäfte in Dresden, Classen, sonst wär er wohl gern zu Haus geblieben, bei mir und der Maus – gelt, Maus?“

„Ja freilich, wichtige Geschäfte, das ist’s ja,“ erwiderte Frau Classen, „und er dauert mich eben, daß er heute gerade –“ Das Weitere blieb unverständlich, denn sie war schon aus der Thür und konnte nicht sehen, daß mitten auf die kleine Stirn des Kindes ein paar klare Tropfen fielen, die diesmal mit dem besten Willen nicht als Badewasser erklärt werden konnten.

Antje blieb in der Kinderstube an dem Bettchen sitzen, bis die Wärterin heimkehrte. Dann ging sie hinunter in den Eßsaal, der, wie das Atelier oben, die ganze Tiefe des Hauses durchmaß. Man hatte ihm den Charakter eines altdeutschen Bankettsaales gegeben, nur mit Zuthaten von hunderterlei modernen Luxusgegenständen, die ihm etwas ungemein Wohnliches verliehen. Das Lampenlicht spiegelte sich in silbernen und Bronzegefäßen, mit denen der riesige Kredenztisch geschmückt war; vornehm reihten sich die lederbezogenen, mit goldgepreßten Künstlerwappen gezierten Stühle um den massiven Speisetisch; das Gebälk, die Täfelung zeigten prächtige Schnitzereien. Vor dem Kamin, nahe den spielenden Flammen, stand ein Tischchen gedeckt für zwei Personen – die Dienerschaft wußte, daß der Herr stets noch eine Kleinigkeit genoß, mochte er noch so spät heimkehren, und daß Frau Antje ihm Gesellschaft dabei zu leisten pflegte – mit all jenen zierlichen Tellerchen, Untersetzern, Schalen und Löffelchen, die so unnütz und doch so reizend sind. Und mitten dazwischen standen die Rosen und gaben diesem einladenden traulichen Plätzchen etwas Festliches, als wollten sie sagen: Wir blühen für zwei Glückliche!

Antje nahm die Blumen und trug sie auf ein Tischchen in den entferntesten Winkel des großen Gemaches, und dann wußte sie wieder nichts Besseres zu thun, als an das Fenster zu treten und dort hinüber zu starren, wo ein heller Schein am Horizont die große Stadt mit ihren Tausenden von Gasflammen verrieth. Die alterthümliche Standuhr im Zimmer schwang unverdrossen ihren Pendel, und Viertelstunde auf Viertelstunde verrann; Antje wußte, sie werde heute noch lange hier stehen müssen und warten, denn der letzte Zug lief erst gegen zwölf Uhr drunten im Dorfe ein, und vorher würde er nicht kommen; sie kannte die Verabredungen, die Leo zu treffen pflegte, und deren Ausdehnung.

Es war windig geworden draußen; Antje dachte, ob er wohl den Wagen an die Bahn bestellt habe. Und von dem Wagen kamen ihre Gedanken auf den Brief der Mutter, den sie heute erhalten hatte. Sie nahm ihn aus dem Schlüsselkörbchen, das sie vor sich auf das Fenstersims gestellt hatte. Zu lesen brauchte sie ihn nicht, sie wußte jedes Wort daraus. Zuerst herzliche Glückwünsche zu dem heutigen Tage, daß es der Tochter gehen möge wie der Mutter, die mit jedem Jahre inniger ihren Mann geliebt, immer mehr erkannt habe, wie er ihr Stab und Stütze sei. Dann Erinnerungen an Antjes Hochzeitstag, an die Rede des Geistlichen, an den launigen Toast des Bergraths, an den Fackelzug der Hüttenleute. Antje meinte, das Lächeln der alten Frau zu sehen: „Dochtertje, als ich heirathete, war’s doch lustiger, da gab’s Musik und Tanz, und ich mußte mit allen Gästen walzen, und das waren nicht wenige. Aber, sieh, Hochzeitsreisen kannten wir dazumal noch nicht da oben bei uns.“

Zuletzt stand noch eine Nachschrift: „Du weißt, Antje, ich mische mich ungern in Eure Angelegenheiten, aber ich möchte nicht versäumen, Euch darauf aufmerksam zu machen, daß ich es über Eure Verhältnisse finde, wenn Ihr eine zweite Equipage anschafft. Ihr könntet doch in einem Wagen ausfahren, und wenn Leo ihn allein gebraucht, bist Du doch vernünftig genug, an dem Tage spazieren zu gehen. Nichts für ungut – ich meine nur so.“

Antje fiel es schwer aufs Herz. Sie hatte dieselbe Ansicht gehabt, aber Leo wollte es so, und um die Welt hätte sie nicht sagen können wie manche Frau, die das Vermögen in die Ehe gebracht hat: „Sei sparsamer mit meinem Gelde!“ – Was ihr gehörte, gehörte ihm, er war der Herr. –

Was der Vater wohl gesagt hätte zu diesem Luxus? dachte sie mitunter, und wenn sie sich das ernsthafte ehrliche Gesicht des Verstorbenen in Erinnerung rief, dann war es ihr, als müsse sie sich für den Mann schämen, der das mit harter Arbeit Erworbene so funkelnd und flitternd in die Luft fliegen ließ für „Allotria“, des Vaters Lieblingsausdruck für unnütze Dinge. – Aber Leo ist Künstler, anders wie die andern, und sie liebte sein leichtes sorgloses Lachen, liebte sein Entzücken an allem Schönen, seine blitzenden Augen; sie gönnte ihm alle Vollblutpferde der Welt – wenn er nur zufrieden war.

Auf einmal fuhr sie empor. Ueber den Kies draußen waren Schritte geeilt, Schritte, die sie so gut kannte. Alles Blut stieg ihr zum Herzen, sie stand zitternd und blaß vor Freude mitten im Saale. „Leo!“ sagte sie leise, und ihre Augen umfaßten den Mann, der da hastig eingetreten war, das Haar feucht auf der Stirn, wie vom raschen Gehen, den Hut in der Hand, in der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_023.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)