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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Ein dreimaliges Peitschenknallen tönte von der Straße herauf und das Rasseln fahrenden Fuhrwerks.

„Komm, Bertl!“

Sie gingen die Treppe hinunter. Hans saß bereits auf dem Wagen; er trug auffallend sorgfältige städtische Kleidung, ein hellgrauer Filzhut auf dem glatt gescheitelten Haar und ein hellbrauner Ueberzieher gaben ihm ein fast sportsmännisches Aussehen. Frau Margold, die Mutter, eine untersetzte Frau, der man die jahrelange harte Arbeit ansah, stand in eifrigem Gespräche neben dem Gefährte; aber sie paßte in ihrem Werktagskleid gar nicht zu ihren Kindern.

„Jetzt bin ich allerdings nicht mehr der erste,“ sagte Hans, seiner Schwester Platz machend.

„Ja, bis die Bertl fertig ist!“ meinte Frau Margold, mit strahlender Miene ihre Tochter betrachtend. „Aber verstehen thut’s halt das Mädel, ich hab’s mein Lebtag nicht so zusammengebracht – nur schad’, daß die Krautköpf’ Euch verrathen!“

„Verrathen als die Gärtnerskinder! Das ist gut,“ sagte bitter Margold.

„Geh’, Alter, werd’ nicht wieder spitzig! Du weißt ja, wie ich’s meine. Das mußt Du doch selber sagen, daß die Zwei nimmer recht da hinaufpassen – andere Zeiten, andere Leut’!“

„Natürlich, sag’ nur gleich, daß es eine Schand ist – – fahr’ zu, Hans!“

Ein flotter Traber war vorgespannt. Hans verstand es, wie ein Kavalier die Zügel zu führen, das Gefährt sprang nur so auf der gefrorenen Straße, daß die Kohlköpfe lustig in die Höhe hüpften und die Yucca sich in ihren Töpfen schüttelten. Der Traber flog vorbei an den schweren Fuhrwerken, die sich der Straße entlang der Stadt zu bewegten. Hans wollte doch der erste sein.

Allmählich zerrissen die Nebel, die bereiften, gefrorenen Aecker dampften im Morgensonnenstrahl. Es war empfindlich kalt, üble Gerüche verschiedenster Art durchzogen die Luft, entströmten den unzähligen, im Brachfelde zerstreuten Leim-, Farben-, Dachpappen- und anderen stadtverbannten Fabriken, die hier auf Rechnung von Gottes freier Natur ihr Unwesen trieben. Dazwischen bildeten sich bereits geradlinige Häuserreihen – Wirthschaften, Wohnungen von Kleingewerbsleuten – Arbeiterquartiere; und jetzt rasselte das Gefährt an dem ersten Neubau an der Landstraße vorbei, einer riesigen Miethkaserne, der in kurzen Zwischenräumen andere sich anschlossen, weiter vorgeschrittene, eben vollendete, schon bewohnte, links und rechts der Straße. Die Pappeln waren schon längst verschwunden, seitwärts in die Felder zogen sich bereits weit hinaus frisch ausgesteckte Straßen, Grund wurde ausgehoben – überall Arbeitslärm, Reihen von Ziegelfuhrwerken – es war einer der vielen Fangarme von Margolds so gefürchteter Spinne, welche täglich ein neues Glied ansetzte. Das Unthier schien jetzt einen bestimmten Raub gierig ins Auge gefaßt zu haben, so zielbewußt reckte es die Fänge – – Haching!

Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.

Freudvoll!
Nach einem Gemälde von C. Reichert.


Das Stoßen des Wagens ließ die Geschwister nur zu einem abgerissenen Gespräch kommen. Die Neubauten beschäftigten sie beide. Wie stattlich die mit aufgepappter Stukkatur geschmückten Fronten dalagen! Kaum eingedeckt, waren die Häuser auch schon bewohnt! Diese Einnahmen von einem Stück Boden, auf welchem vor einem Jahre noch schlechte Kartoffeln wuchsen! Und da jammerte der Vater über die Kreuzspinne, die, nachdem er selbst sie sein ganzes Leben lang mit seiner Arbeit hatte ernähren helfen, jetzt in der Ueberfülle ihrer Kraft sich dehnte und streckte! Im Gegentheil, sie war ein dankbares Geschöpf, welches ihm seine viele Arbeit, den vielen um sie vergossenen Schweiß reichlich lohnen wollte, indem sie ihn in ihre steinernen Fänge schloß. – So dachten beide.

Rechts von der Straße, von Fabriken und Neubauten fast verdeckt, erblickte man im freien Felde ein schloßähnliches Bauwerk im französischen Stil des vorigen Jahrhunderts, an welches sich ansehnliche Wirthschaftsgebäude anschlossen.

Es bildete mit seiner vornehmen alterthümlichen Fassade einen starken Gegensatz gegen die geschmacklosen nagelneuen Kasernenbauten, welche dem Schlößchen bedenklich auf den Leib rückten. Die Spinne war sichtlich auch danach lüstern; quer über die Felder richtete sich drohend eine eben im Bau begriffene Häuserreihe gerade gegen die Front des Gebäudes, wenn auch noch eine ansehnliche Strecke Feldes dazwischen lag.

Hans stieß mit dem Arm die Schwester an und wies mit der Peitsche hinüber.

„Der Brennberg ist auch so ein Narr, thut alles, um die Ausbreitung der Stadt nach seiner Seite zu verhindern, und pflanzt seine Erdäpfel weiter, nur wegen des alten Kastens, der schon seinem Urgroßvater gehört hat. Könnt’ ein Millionär sein, wenn er wollte – na, der Lieutenant wird ihn schon mürbe machen! Ein fescher Mann, der junge Brennberg, nicht wahr, Bertl?“ Er lachte verschmitzt. „Dein Freund!“

Bertl ließ ihr von der Kälte geröthetes Antlitz in dem hohen Kragen des Regenmantels verschwinden.

„Das war er auch, wie der Vater noch dort im Dienst stand – Gott, wir waren Kinder, die kennen keinen Unterschied! Jetzt ist das alles aus! Ein Offizier und eine Gärtnerstochter von Haching – das wär’ eine nette Freundschaft!“

„Wenn Du eine Gärtnerstochter von Haching bleibst, dann ist’s freilich aus – aber ein reiches Bürgermädel von M .... ist auch für einen Lieutenant gut genug.“

„Dazu habe ich alle Aussicht!“ meinte Bertl.

„In vier Wochen könntest Du’s sein, wenn der Alte vernünftig wär’! Der alte Weinmann, unser Nachbar – da hast Du’s ja – heute soll’s verbrieft werden – 100 000 Mark kriegt er für seine zwei Hütten und seine drei Acker Land, und unser Vater hat mehr im ganzen.“

„Wirklich, 100 000 Mark? Und da springst Du und singst Du nicht? Da brauchst Du ja den Vater gar nicht mehr!“

„Warum?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_017.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)