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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Truggeister.

Roman von Anton von Perfall.

Der Tag graute noch kaum, dichte kalte Herbstnebel ließen ihn nicht durchdringen. Die schwarzen Umrisse der Pappeln lösten sich eben aus dem Nichts, raschelnd jagten die Blätter, vom Morgenwinde getrieben, über die gefrorene Landstraße. Eine Reihe einstöckiger, wie nach einem und demselben Plan gebauter Häuser, mit langen, rückwärts in das Feld sich streckenden Bretterzäunen, zog sich in gleichen Zwischenräumen zur rechten Seite derselben hin, der Plänklerkette eines noch unsichtbaren Feindes vergleichbar.

Alle diese Häuser lagen noch in tiefem Schatten, nur eines wachte bereits. Ein gelber Lichthof bildete sich im Nebel, zwei dunkle Gestalten regten sich wie Schattenbilder darin in rhythmischer Bewegung.

Es war Vater Margold, der Gärtner, der laut zählend seinem auf einem Wagen stehenden Sohne Kohlköpfe zuwarf. Bei „Hundert“ hörte er auf.

„Genug, Hans! Jetzt rasch die Blumen und die zwei großen Yucca! Ist schon alles hergerichtet – rasch! rasch! Beim Weinmann drüben sind sie jetzt auch schon auf, und unser Fuhrwerk war sonst immer das erste.“

„Als ob was dran läg’!“ entgegnete sichtlich übelgelaunt der junge Mann.

„Ja, Euch jungen Leuten liegt freilich nichts daran, das ist eben das Elend! Wo Ihr einen Stolz haben solltet, da habt Ihr ihn nicht, aber sonst alleweil oben hinaus!“

Der junge Mann brummte etwas Unverständliches und ging mit der Laterne in den Schuppen. „Schau nur, daß die Bertl fertig wird, wegen meiner brauchst Dich nicht zu kümmern!“ rief er.

Vater Margold ging, das graue Haupt schüttelnd, über den Flur und die knarrende Holztreppe hinauf.

An einer der Thüren klopfte er.

„Bertl!“

„Was giebt’s?“ fragte eine helle Mädchenstimme. „Bist Du’s, Papa? Komm’ nur herein, ich bin schon fertig.“

Margold trat in die niedere Stube. Peinliche Sauberkeit herrschte da bis in die Ecken hinein, ein warmer feuchter Duft lag darüber, der von den Töpfen mit frischem Samen am Fenster ausging. – Vor dem überhängenden Spiegel stand Bertl, sein Kind, und legte die letzte Hand an ihre Toilette.

Sie rückte das spitz zulaufende Hütchen, strich die Falten des Regenmantels in der Taille zurecht, ordnete mit den Fingern die Löckchen an den Schläfen, wandte sich rechts, wandte sich links und zuletzt mit einem Ruck ganz dem Vater zu, militärisch mit den Stiefelchen aneinander klappend.

„Nun, wie gefall’ ich Dir, Papa?“

Der Alte humpelte mit den Schlappschuhen um sie herum und strich da und dort mit seinen krummen erdigen Fingern sorgfältig ein Fältchen zurecht.

Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.

Leidvoll –
Nach einem Gemälde von C. Reichert.


„Gefallen? – Was gefällt mir nicht an Dir? Das ist’s ja eben! Aber schau’, ich mein’ halt – die Bertl Margold bist Du nicht, die Gärtnerstocher von Haching.“

„Alles zu seiner Zeit, Papa!“

„‚Vater‘! Bertl, ich bitt’ Dich – ‚Vater‘!“ flehte der Alte.

„Im Garten, bei der Arbeit, wirst Du Dich über meine Toilette nicht beklagen können. Das ist eben der Unterschied zwischen Euch Alten und uns Jungen! Ihr haltet es für ein Verbrechen, als Arbeiter denselben Rock zu tragen wie die vornehmen Leut’, und meint, Ihr seid aus einem andern Holz geschnitzt als diese – wir denken ein bißchen anders darüber und kleiden uns ebenso, wenn es uns Spaß macht und wir einen guten lieben Papa – Vater wollt’ ich sagen, haben, der uns das Geld dazu giebt ...“

Sie umarmte und küßte die gebräunten lederartigen Wangen.

„Deswegen sind wir um kein Haar schlechter und rühren ebenso die Händ’, wenn es noth thut – oder ist’s etwa nicht so? Hundert Kohlköpfe gestern zurecht gemacht mit diesen Händen – na, sie sind auch danach!“

Bertl spreizte die kräftigen, für ihre sonst schlanke Erscheinung etwas derben rothen Hände.

„S’ ist wahr. Du arbeitest für zwei! Aber schau – wenn ich so zurück denk’, wie ich jung war – da – man lernt’s halt’ nicht mehr in meinen Jahren –“

„Wie Du jung warst, da war Haching eben noch Haching, ein Bauernnest, und die Stadt M ... ein Landstädtchen, und jetzt giebt es bald kein Haching mehr und wir sind Bürger von M ..., Großstädter! Man muß sich jetzt schon vorbereiten – das kommt über Nacht,“ erklärte das Mädchen.

„Großstädter!“ Der Alte nickte mit dem Kopfe. „Das ist eben das Elend, wir werden aufgefressen von der verdammten Kreuzspinne! Wie weit wir auch fliehen, sie erreicht uns dennoch mit ihren endlosen Fangarmen, das ist ja eben das Elend!“

„Und alle Hachinger, außer Dir, können es nicht mehr erwarten, bis sie aufgefressen werden, um dann in dem Bauch der bösen Spinne ein behagliches Leben zu führen –“

„Nicht alle außer mir! Es giebt noch Männer, die keinen Segen darin sehen, trotz des augenblicklichen Vortheils!“

„Du meinst den Herrn von Brennberg, ich weiß schon – ja, der ist hartgesotten, aber der junge Herr denkt auch anders; wir Jungen rechnen eben ein bißchen –“

„Rechnen?“ – Vater Margold lachte. – „Der junge Brennberg und rechnen? Ja, wie er das Geld seines Vaters am besten durchbringt! ’S ist keine Solidität mehr darin. Und Ihr werdet schon sehen, wie es endet, Euer Rechnen, ich erleb’s nicht mehr, Gott sei Dank!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_016.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)