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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

In der Heimath.

Daß ich wieder in dir weile,
Traute Heimath, schafft mir Ruh’.
Fort ist alle bange Eile,
Weiß ich doch: mein Ziel bist du.

Von der Heimath losgerissen,
Ruhlos irrt der Mensch umher,
Scheint er sie auch nicht zu missen,
Ja, sie nicht zu kennen mehr.

Doch wie er zur Mutter fliehet
Als ein längst ergrauter Mann
Und sie weinend an sich ziehet,
Wenn er sie noch finden kann,

So auch sucht er voller Sehnen
Endlich noch die Heimath auf,
Und den letzten Kindesthränen
Läßt er in ihr freien Lauf.

Martin Greif.




Blätter und Blüthen.

Juleber. (Zu dem Bilde S. 877.) Wenn es Weihnacht wird in nordischen Landen, da sind viele Hände geschäftig, den Juleber (oder Julbock, Julbröd, Gumsebröd, Julgalt) zu bereiten. Inmitten von Schinken, Käse, Butter, Bier und Branntwein bleibt er bis St. Kanut auf der Tafel stehen. Hie und da macht ihm die Julkeule (Julklubba) Konkurrenz, die an einem Bande über dem Tisch befestigt ist und mit der man mannigfache Spiele spielt. Am liebsten ißt man Schinken zum Julbröd, denn dies ist ja kein wirklicher Eber mehr, sondern nur ein Gebäck von feinem Mehl, auf dem ein Eber mit zwei Stoßzähnen oder bisweilen auch ein Widder mit zwei Hörnern abgebildet ist.

Einstens war es anders. Da briet zur Julfeier ein wirklicher Eber am Spieß über dem Herdfeuer, und als in späterer Zeit die Eber seltener zu werden begannen in den nordischen Wäldern, da zogen die Mannen der einzelnen Höfe bereits acht Tage vor dem Feste aus, um ein Stück des seltenen Wildes für das Fest zu erbeuten.

Der Brauch des Eberschmauses zur Wintersonnenwende reicht in urgermanische Zeit zurück; findet er sich doch auch bei dem nordwestlichen Zweige der Westgermanen, in Großbritannien. Dort ist vielfach noch heute der festgeschmückte Eberkopf das Hauptgericht des Weihnachtsmahles; mit Myrthen, Rosmarin und Lorbeer geschmückt, wird er aufgetragen, und in Oxford knüpfen sich noch heute Umzüge an den Brauch des Julebers.

Einstens hatte der Eber beim Julschmaus eine hohe Bedeutung. Ueber ihm reichten sich die Männer die Hände und gelobten, Thaten zu vollbringen. Und was einer hier gelobt hatte, das mußte er halten, wenn er nicht für ehrlos gelten wollte. Vor anderthalb Jahrzehnten hat Felix Dahn diesen Zug benutzt, um den Knoten zu schürzen in seinem kleinen nordischen Roman „Sind Götter?“ Aber schon vor mehr denn siebenhundert Jahren besang die Bibel der Altisländer, die Edda, ein verhängnißvolles Gelöbniß beim Juleber.

Helgi, der Sohn Hjövards, war ein großer König und gewaltiger Kriegsheld. Seine Braut war Swawa, eine Walküre, die in der Schlacht die dem Tode Verfallenen kieste und mit ihrem Schild die Helden schützte, denen die Nornen noch längeres Leben im Sonnenschein gewährten. Da saß Helgis Bruder Hedin mit den Seinen am Julabend beim festlichen Eberschmause. Der Becher Bragis ging herum, und sie gelobten über dem Sühneber künftige Großthaten. Alle waren große Helden, und einer überbot den andern in seinem Gelöbniß. Da gab eine Hexe, die dem Hedin grollte, ihm ein, über dem Eber zu geloben, daß er Swawa, seines Bruders Braut, heimführen wolle. Das unbesonnene Wort war gesprochen, und er war gezwungen, sein Wort zu lösen. Er gesteht es seinem Bruder:

„Böseres that ich als Bannbestraftes:
Gelobend erkor ich die Königstochter
Beim Bragitrunke, die Deine Braut ist!“

und dieser, der seinen baldigen Tod in der Schlacht ahnt, zürnt ihm nicht. Helgi wird im Kampfe gegen König Alf tödlich verwundet. Sterbend bittet er Swawa, seines Bruders Braut zu werden. Doch diese hat sich einzig ihm verlobt und stirbt mit ihm.

Von beiden aber geht im Norden die Sage, daß sie zum Lohn für ihre Treue in der Welt der Seligen wiedergeboren seien.

A. T.

In der Genesung. (Zu dem Bilde S. 872 u. 873.) Es war recht krank, das arme Prinzeßchen, und das verwöhnte Fürstenkind, dem sonst die Lebenslust und Lebensfreude aus den hellen Augen leuchtete, ist noch recht hinfällig und schwach und vermag kaum die müden Lider offenzuhalten. Aber besser ist es doch geworden; mit den beruhigendsten Versicherungen ist der Leibarzt gegangen, und nun werden alle Mittel in Bewegung gesetzt, nicht bloß den Körper, sondern auch das Gemüth der Genesenden von den Nachwehen der Krankheit vollends zu befreien. Die treue Gesellschafterin mischt stärkende Tropfen, die jugendliche Kammerzofe lächelt ihre Gebieterin mit ihrem fröhlichsten Lächeln an, damit diese auch gewiß dem Glauben an die Wiederkehr vergnügter Stunden ihr Herz erschließe, und der lustige Hofrath, der gewandteste Vorleser bei den abendlichen Zirkeln des schöngeistigen Höfchens, hat das Neueste und Lustigste mitgebracht, was der Büchermarkt in der Zeit der Krankheit seiner sonst so verständnißinnigen Zuhörerin zu Tage gefördert hat, und er liest es ihr vor mit dem ganzen Aufwand seiner die Lachmuskeln reizenden Mimik. Nun – lange wird es nicht mehr dauern, da verzieht sich ganz sacht der jetzt noch so betrübt geschlossene Mund des Prinzeßchens, ein Schimmer der alten Heiterkeit fliegt über das müde Gesichtchen hin und ein leiser rosiger Schimmer verklärt die bleichen Wangen der Genesenden.

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Meines Fensters Weihnachtsgäste. (Zu dem Bilde S. 869.) Der Winter ist hart, aber in ihm feiern wir das Fest der welterlösenden Liebe! Und der warmherzige Mensch lindert nicht nur nach Kräften das Los seiner Brüder, sondern er erbarmt sich auch der Thierwelt. Vor meinem Fenster ist täglich Freitisch für die benachbarte Vogelwelt. Meine Wohnung in der Vorstadt liegt nahe am Wald, der mir gar edle Gäste sendet. – Wir schreiben den 25. Dezember, da muß doch auch vor meinem Fenster Weihnachten werden! Ich habe mir als Freßgeschirre einige flache Holzkästchen machen lassen, diese bestellen wir jetzt mit ganz besonderen Leckerbissen. Mohn-, Kanarien- und Hanfsamen in das eine, Sonnenblumenkerne und Stückchen Fleisch in das zweite. Das dritte mit geriebenen gelben Rüben, Semmelbrosamen und reichlicher Ausbeute aus dem „Mehlwurmtopfe“ stellen wir vorerst noch zurück.

Jetzt zwei Kästchen hinaus! Hui, wie das anschwirrt! Auserlesene Gesellschaft: „Schilp, schilp, schilp“ – kennst du sie, die Gassenjungen der Vogelwelt? „Rärärärä“, da sind sie, meine Zeisige, die kecken, lustigen Thierchen! – Ein paar ritterliche Herren kommen jetzt angeschossen; es sind Edelfinken, und ihr heller Lockruf weckt Frühlingsahnung in unserer Brust, trotz der winterlichen Landschaft. Der Ruf hat aber jetzt auch das Dompfaffenpaar angezogen, das ja täglich mein Fenster besucht. Diese stattlichen Vögel sitzen im vielgeliebten Hanfsamen und knacken gravitätisch Korn für Korn. Nun entschließen sich auch Stieglitze, heranzukommen, dem Mohn- und Hanfsamen können sie doch nicht widerstehen. Auch das ewig fröhliche Volk der Meisen ist nun da, und darum rasch hinaus mit Kasten Nr. 3! – Brrr! Wie das auffliegt, zankend und schimpfend über die Störung! Der ganze Zaun ist voll Vögel und immer noch kommt Zuzug. Ist das nicht auch ein Christfest?

Allgemeiner Aufruhr da draußen und ein ganz neues Bild! – Das kleine Volk, schon ziemlich gesättigt, ist verscheucht, und drei Amseln, deren tiefer, sanftflötender Gesang schon an sonnigen Februartagen unser Ohr erfreut, beherrschen das ganze Fensterbrett. Nun gesellt sich auch noch eine Drossel dazu, und höchst überflüssiger Weise kommen auch noch Tauben! Die könnten sich eigentlich von ihren Herren Besitzern füttern lassen!

Noch gar viele Gäste besuchen meinen Weihnachtstisch heute, aber mein Liebling fehlt mir schon seit gestern: ein Rothkehlchen! Einsam und traurig kam es täglich an mein Fenster und that so zahm und so vertraulich, und doch wagte es sich nicht in die Stube, wo ich es so gerne versorgt hätte. Was mag das Thierchen wohl abgehalten haben, mit den Seinigen zu ziehen, die jetzt fern im Süden weilen? War es Krankheit, war es zu später Kindersegen? Ach vielleicht, während gestern in warmer Stube der Weihnachtsbaum brannte, sank draußen im Wald der melancholische liebliche Sänger erstarrt zu Boden und leise, leise fällt der weiße Schnee auf sein blutrothes Brüstchen und deckt es langsam zu.

F. A.

Pferdetrieb auf der Pußta. (Zu dem Bilde S. 888 und 889.) Hui! Wie das schnaubt, wiehert, sich bäumt, stampft, schlägt und jagt, tausend Rosse ohne Reiter, ein köstliches Schauspiel nicht nur für den Sportsmann, sondern für jeden Thierfreund und ein herrlicher Stoff für den Pinsel des Künstlers!

Ja, der Magyare ist stolz auf seine Steppe wie auf sein Steppenpferd, und auf letzteres nicht ohne Berechtigung!

Schon vor nahezu einem Jahrtausend, als Arpads wilde Kriegerscharen über die Grenzen Deutschlands stürmten, mußte mancher deutsche Ritter auf schwerem Schlachtrosse im ungewohnten Kampfe gegen die Reiter auf ihren windschnellen asiatischen Steppenpferden Leib und Leben lassen; und noch heute wird diese Schnelligkeit manchem Nachfolger jener Ritter auf unblutigem Kampfplatz gefährlich, wenn er allzu hohe Summen gegen den flüchtigen magyarischen Vollblutrenner eingesetzt hat. Denn hat sich auch die Steppe in einem Jahrtausend nicht geändert, das Steppenpferd erfuhr dank den sportbegeisterten Magnaten so viel veredelnde Pflege, daß es sich heute mit den besten Rennern aller Nationen messen darf.

Gleichwohl ist es nicht die „Windeseile, womit der Csikos auf seinem Rößlein über die Pußta saust“, was das magyarische Pferd, namentlich für den Armeebedarf, so werthvoll macht. Ein Kavallerieregiment auf Pfleglingen berühmter Rennställe, so prächtig der Anblick auf dem Parade-Platz auch wäre, würde in einem Winterfeldzug doch wahrscheinlich schon nach wenigen Wochen zu Fuße marschiren! In solchem Falle aber bewährt sich die Ausdauer, Genügsamkeit und Wetterhärte des magyarischen Pußtapferdes ebenso glänzend wie der magyarische Reiter, welcher meist eher reiten als ordentlich gehen und laufen lernt.

Solche Rosse, solche Reiter zeigt unser Bild, im Hintergrunde aber die allen Pußten gemeinschaftlichen Wahrzeichen: die Cisterne mit der baumlangen Hebestange und die Csarda, die Schenke.

Es ist Abendzeit. Die Pferdehirten (Csikos) haben ihre Schutzbefohlenen zur Tränke getrieben, von der es jetzt zu gemeinsamem Nachtlager in die Nähe besagter Csarda geht. Hier entwickelt sich ein neues, nicht minder anziehendes Schauspiel. Dunkle Nacht senkt sich auf die Erde, und der erst so wild bewegte Schwarm der Rosse lagert unbeweglich auf dem Steppengrase, eine graue Masse, deren Leben sich nur durch halblautes Schnauben verräth. Ringsum herrscht tiefe Stille. Nur die wachsamen Hunde geben bisweilen kurzen, gedämpften Laut wie zur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 892. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_892.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)