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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


sogleich hatte er sich richtig gedeutet, wie das gemeint war, und nun saß er am Tische und beobachtete mit brennenden Blicken das bleiche, gramvolle Gesicht seines Vaters, seine still mit Thränen kämpfende Mutter. Sein Herz krampfte sich qualvoll zusammen, seine Hand ballte sich zur Faust; er brachte keinen Bissen über die Lippen, trank aber um so mehr Stachelbeerwein. Die Mahlzeit verlief lautlos, auch der Arzt sprach nicht; er hatte einen mühevollen Tag hinter sich.

Endlich lehnte sich der Moorheidler in seinen Stuhl zurück, faltete die Hände, schluckte mehrere Male Thränen hinunter und sagte dann mit heiserer, unsicherer Stimme, die glanzlosen, aber immer noch sanften Augen auf seinen Sohn gerichtet:

„Ich hab’, so alt ich geworden bin und so viel Feindschaft ich erlitten hab’ im Leben, noch nie einem Menschen den Tod gewünscht – mit Worten nicht und, Gott soll mir’s bezeugen, im tiefsten Herzen auch nicht! Aber jetzt“ – er athmete tief und mühsam und seine Stimme sank – „jetzt, Rupert, wünsche ich, daß der Magnus stirbt!“

Ruperts Gesicht wurde erst purpurroth, dann jählings grau wie Asche.

„Vater, wie meint Ihr das?“ schrie er auf.

„Ich denke, Du verstehst mich wohl!“ sagte der Moorheidler in tieftraurigem Tone und stand vom Tische auf; „nichts für ungut, Herr Doktor, wenn ich gehe ... und schönen Dank auch, daß Sie meinen Rupert vor dem Galgen bewahrt haben; daß mein ältester Sohn solch grauslichen Todes starb, war, dächt’ ich, gerade genug für einen Vater.“

Befremdet und besorgt blickte der Arzt von seinem Teller auf. „Was ist Euch, Moorheidler?“ fragte er; „was redet Ihr da?“

Dann gewahrte er das bleiche Gesicht, den durch nagenden Seelenschmerz ganz veränderten Ausdruck in den Zügen des Moorheidlers.

Furchtbare Katastrophe!
Nach einem Gemälde von C. Reichert.


„Seid Ihr krank?“ rief er aufspringend.

„Das nicht, Herr Doktor,“ sagte der Moorheidler. „Und wenn ich’s wäre, krank zum Sterben, ich ließ mir nicht helfen!“

Er ging bis zur Thür seiner Schlafkammer, die neben der Wohnstube lag; da wandte er sich noch einmal zu seinem Sohne um.

„Ich will nichts gegen Dich sagen, Rupert,“ sprach er gepreßt. „Aber wenn die Krankheit, die für jeden andern zum Tode führen müßt’, weichen muß von dem Kind und ihm nichts anhaben kann, dann ... dann ...“

„Vater, sprecht’s nicht aus!“ rief Rupert entsetzt. Er wollte seines Vaters Hand ergreifen, aber dieser stieß ihn zurück.

„Rühr’ mich nicht an!“ rief er mit bebender Stimme. „Abbitte will ich Dir thun, wenn wir heimkommen vom Gottesacker und den Magnus darauf zurücklassen. Bis dahin rühr’ mich nicht an!“

Er trat in die Kammer und schloß die Thür, ohne sie heftig ins Schloß zu werfen; er drückte sie leise zu. Gertrud war stumm aufgestanden und wollte ihrem Manne in die Kammer folgen, aber Rupert hielt sie zurück.

„Mutter, was haltet Ihr von mir?“ frag er.

Sie bedeckte ihr Gesicht mit ihrer Schürze und Schluchzen schüttelte ihren Körper.

„Mutter!“ stöhnte Rupert, „Mutter, ich bin kein Mörder! Bei meiner Seelen Seligkeit, ich bin kein Mörder! Ich wollte ja nur den Otterhofbauer zur Ruh’ bringen! Ich hab’ es nachher gleich selber bereut, daß ich gethan hatte, was nur Mörder thun, aber daß Ihr, daß mich Eva deshalb zum Mörder macht ...“

„Laß mich!“ sagte Gertrud, sich gewaltsam fassend; „laß mich, Rupert ... ich muß hinein zum Vater. Es ist ja besser, Du hast’s gethan, als daß Du noch weiter geleugnet hättest! So hast Du doch wenigstens das Kind gerettet!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 885. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_885.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)