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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


ihre Theilnahme für dessen Bewohner an den Tag legten, so war Rupert gutes Muthes, arbeitete tüchtig, freute sich über die zufriedene Miene des Moorheidlers und über Gertruds heitere Ruhe und hoffte auf die Zukunft, die alles gut machen werde. Der Arzt, der sich einmal als ein zuverlässiger Liebesbote erwiesen hatte, vermittelte von da an häufig Grüße zwischen Rupert und Eva, und diese Grüße waren nicht nur der einzige Sonnenstrahl, der in Ruperts Leben fiel, sie waren auch Evas einzige Freude. Denn seit Burkhards Tod war ihre Stellung im Otterhofe eine sehr peinliche geworden. Sie war die einzige, die an Ruperts Unschuld glaubte, und sie machte kein Hehl aus ihrer Ueberzeugung; so hatte sie viel unter offenen Angriffen und versteckten Anspielungen zu leiden, und ein Glück war es für sie, daß Jakob verboten hatte, Rupert überhaupt zu erwähnen, so daß sie in des Bauern Gegenwart wenigstens Ruhe hatte. Auch Magnus’ sehnsüchtiges Fragen nach Rupert war durch Jakobs barschen Befehl, nie wieder von ihm zu sprechen, abgeschnitten worden.


Ein Bild von der Volkszählung: Der Zählkommissar im Hinterhause.
Nach einer Skizze von E. Hosang gezeichnet von R. Gutschmidt.


Der kleine Magnus ging zu seines Vaters größtem Stolze seit Ostern in die Schule. Indessen nur ein paar Tage hatte Jakob die Freude, ihn mit dem Schulranzen wandeln zu sehen, dann brach eine Scharlachepidemie aus und die Schule wurde schleunigst geschlossen. Aber die Krankheit trat gutartig auf, Todesfälle kamen nicht vor. Nur ein einziges Opfer schien der Würgengel fordern zu wollen – und das war der kleine Magnus. Bei diesem allein trat die Krankheit gleich anfangs mit einer Gewalt auf, der kein Einhalt zu thun war. Das Fieber ließ sich nicht bändigen, nur abschwächen auf ein paar kurze Stunden. Des Kindes zähe Lebenskraft leistete lange Widerstand, dann schien sie urplötzlich zusammenzubrechen.

Der Otterhofbauer verging vor Angst und Schmerz, In diesem Kind vereinigte sich alles, was seinem Leben Werth gab, nichts galt ihm mehr etwas, wenn es starb. Er flehte täglich den Arzt an, ihm zu helfen, doch dieser zuckte die Achseln; er flehte den Pfarrer an, für das Kind zu beten, und dieser versprach es mit traurigem Lächeln. Wenn aber dann der Pfarrer in milder Weise versuchte, den Vater darauf vorzubereiten, daß es vielleicht Gottes Wille nicht sei, einem solchen Gebete Erhörung zu schenken, so wurde der Geängstigte so wild, als wäre er von Sinnen, und stieß in seiner haltlosen Verzweiflung die gotteslästerlichsten Reden aus.

Wenn Gott nicht helfen konnte oder wollte, so half vielleicht ein anderer, den anzurufen es Jakob immer gegraut hatte, bis ihm der letzte Hoffnungsfunke, daß Magnus sich doch noch erholen würde, erlosch. Gott war durch nichts zu bestechen, jener andere aber verkaufte seine Hilfe um den Preis einer Seele, und Jakob achtete sein Seelenheil für nichts angesichts seines sterbenden Kindes. Sein Glaube war nicht stark genug, um ihn zu stützen. so wurde er eine Beute des Aberglaubens.

An einem stürmischen Frühlingsabend kam der Arzt in seinem Korbwägelchen aus den tiefer liegenden Ortschaften und hielt auf seinem Wege nach Dockenförth am Otterhofe an. Er wurde von Eva in die Kammer des kleinen Magnus geführt, aber zu ihrem Schrecken fanden sie das Bettchen leer und niemand im Zimmer.

„Er wird doch nicht in der Fieberhitze herausgesprungen sein?“ rief der Arzt.

„Ach, dazu hatte er die Kraft gar nicht mehr!“ sagte Eva traurig. „Er lag so still, so still da, kein Fingerchen bewegte er mehr und machte die Augen gar nicht mehr auf.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 861. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_861.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2023)