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Der „Deutsche Tag“ in Amerika.

Die große Feier, die am 6. Oktober zum Gedächtniß der ersten deutschen Einwanderung von den Deutschen Amerikas begangen wurde, darf wohl des lebhaftesten Wiederhalls nicht nur im alten Vaterlande, sondern überall, soweit die deutsche Zunge klingt, gewiß sein. Kaum ist es ein Jahr her, daß die Anregung zu dem schönen Feste in der deutsch-amerikanischen Presse laut ward, und nun haben wir es erlebt, daß sich in allen größeren deutschen Ansiedlungen vom Atlantischen bis zum Stillen Meere deutsches Selbstgefühl wie auf höheres Geheiß erhob und unsere Landsleute aller Glaubens- und Stammesverschiedenheiten vergessen ließ, um in Eintracht sich alles dessen zu erinnern, was die deutsche Einwanderung seit zwei Jahrhunderten der Neuen Welt gewesen ist.

Es war im Sommer vergangenen Jahres, als in einer deutschen Zeitung Philadelphias, der ehrwürdigen Ouäkerstadt, wo im Jahre 1683 die ersten deutschen Einwanderer landeten, der Gedanke eines allgemeinen deutsch-amerikanischen Festes ausgesprochen wurde. Eine zeitgemäßere Anregung hätte Dr. G. Kellner, der verdiente Redakteur des „Philadelphiaer Demokraten“, nicht geben können. Seit den Anarchistengreueln in Chicago hatte sich der „Nativismus“, der fanatische Fremdenhaß, der Amerika von Zeit zu Zeit wie eine Seuche durchzieht, wieder geregt und sich nicht am wenigsten gegen die Deutschen gewandt. Umsonst mochten die langangesessenen und hochgeachteten Bürger deutscher Abkunft dagegen Verwahrung erheben, mit jenen blutdürstigen Mordbrennern auf eine Stufe gestellt zu werden. Man plante die bundesgesetzliche Beschränkung der Einwanderung und sah mit unverhohlenem Mißtrauen auf alle Bestrebungen der Deutsch-Amerikaner, ihr angestammtes Wesen zu erhalten und zu pflegen. Bald fand die Anarchistenfurcht in dem alten Deutschenhaß, dessen Wurzeln in grundverschiedenen Anschauungen von Sitte und Religion zu suchen sind, einen mächtigen Bundesgenossen. Besonders die deutschen Schulen erschienen den Nativisten als Pflanzstätten des verhaßten deutschen Geistes, und so entbrannte denn in verschiedenen Staaten der Republik ein heißer Kampf ums Deutsche, der leider nur zu oft mit der Niederlage unserer Landsleute endete.

Da war es denn hohe Zeit, daß sich die Deutschen ihrer langen und ruhmvollen Geschichte in Amerika erinnerten. Mochte der Hinweis auf den Vorzug der deutschen Schulen gegenüber dem landläufigen amerikanischen Erziehungswesen, auf die Schätze hoher Geisteskultur, die durch die Erhaltung der deutschen Sprache dem Lande zugeführt würden, auch wirkungslos verhallen, dem Zeugniß der Geschichte, das von deutscher Mitwirkung bei der Kolonisation, wie bei dem Auf- und Ausbau der Republik seit zweihundert Jahren redet, konnten selbst die fanatischsten Nativisten nicht widersprechen. Und was die Deutschen zur Entwickelung des Landes beitrugen, das durften sie sich rühmen, nicht als eine politisch vom alten Vaterlande abhängige Kolonie, sondern als patriotische Amerikaner geleistet zu haben, welche die Geschicke ihrer neuen Heimath ganz zu ihren eignen gemacht hatten.

Lange war der Sinn für die Geschichte der Deutschen in Amerika nur vereinzelt zu finden, bis mehrere hervorragende Männer wie Friedrich Kapp, H. A. Rattermann, G. Körner, Dr. O. Seidensticker u. a. dem Gegenstand ihre Aufmerksamkeit zuwandten und in Abhandlungen und Monographien die Kenntniß der deutsch-amerikanischen Vergangenheit in weitere Kreise trugen. Zum Ruhme der deutsch-amerikanischen Presse sei es gesagt, daß sie bei dieser Arbeit stets redlich mithalf und die Gründung von historischen Vereinen, wie sie heute z. B. in Philadelphia, Baltimore und an andern Orten bestehen, warm befürwortete.

Dr. G. Kellner.

Als erstes öffentliches Zeichen des neuen Geistes darf wohl die großartige Pionierfeier gelten, die im Jahre 1883 in Philadelphia und in anderen Städten der Union begangen wurde. Mit diesem Feste lebte das Gedächtniß der frühesten deutschen Einwanderung, über die man bis dahin wenig oder gar nichts gewußt hatte, unter der ganzen deutsch-amerikanischen Bevölkerung wieder auf, und so nachhaltig war der Eindruck, daß man sechs Jahre später, als man zur Feier des „Deutschen Tages“ sich nach einem würdigen geschichtlichen Ereigniß umsah, einstimmig an die große Pionierfeier vom Jahre 1883 anknüpfte. Und ein bedeutungsvolleres und schöneres Ereigniß als die Ankunft der ersten deutschen Ansiedler in Amerika hätte man kaum wählen können.

Dr. O. Seidensticker.

Wir verdanken es den ausgezeichneten Forschungen*[1] Dr. O. Seidenstickers, Professors an der University of Pennsylvania, daß uns die Geschichte der ersten deutschen Einwanderung erschlossen wurde. Wie in England, so gaben auch in Deutschland die Religionskämpfe, die keineswegs mit dem Dreißigjährigen Kriege beendet waren, den Anstoß zu der gewaltigen Völkerwanderung, die nun seit zwei Jahrhunderten schon nach den Gestaden der Neuen Welt wogt. Um frei ihren innersten Ueberzeugungen leben zu können, folgt die kleine deutsche Quäkerschar im Jahre 1683 der Einladung William Penns, sich in seiner amerikanischen Kolonie, dem heutigen Pennsylvanien, anzusiedeln. Und mit ihr ziehen nun auch deutscher Fleiß und deutsche Thatkraft, deutsche Sitte und deutsche Lebensanschauung in die Neue Welt ein, die sich gar bald bewähren. In wenigen Jahren ist die Einöde in lachendes Gefilde verwandelt, deutsches Leben regt sich überall in der jungen Niederlassung, und wie die Gestalt eines ehrwürdigen Patriarchen, rathend, mahnend und wegweisend, erscheint in dem freundlichen Idyll der Führer der Auswanderer, F. D. Pastorius, ein hochgelehrter Mann, der die ganze Bildung seiner Zeit in sich aufgenommen hat.


  1. * Vgl. „Die erste deutsche Einwanderung in Amerika“. Philadelphia 1883.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_848.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)