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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Gott mag einen in Gnaden vor so etwas bewahren!“

Das waren so die Reden, welche die biederen Insulaner hinter der armen Kathi hersandten; und mehr als eine Mutter wischte sich die Thränen aus den Augen, um dann desto freudiger für ihre blonde Kinderschar den Weihnachttisch zu bereiten. – –

Die Sonne war bereits blutroth ins Meer getaucht, ihr goldig purpurner Nachglanz flammte am wolkigen Himmel, schwamm auf den wogenden Fluthen und blitzte in den blanken Fensterscheiben von ten Eißens Hütte.

Kathi schürte das Feuer auf dem offenen Herde, setzte Fische an, breitete über den Tisch ein schneeweißes Linnen, ordnete die Gaben, bog die Wachslichtchen um die Zweige des Weihnachtsbaumes und betrachtete wohlgefällig ihr Werk. – Da klopfte es.

„Komm herein!“

Der Bäckerlehrling trat ein, brachte in einem Schließkorbe die gebackenen Rosinenbrötchen und legte sie neben die Christgeschenke.

„Da, nimm, Weihnachtszeit – heil’ge Zeit –“ sagte Kathi und reichte ihm von den Aepfeln und Nüssen.

„Danke! Fröhliche Weihnachten!“ entgegnete der Knabe gewohnheitsmäßig und eilte wieder dem Dorfe zu.

„Fröhliche Weihnachten!“ stöhnte Henri, seinen Schmerz kaum noch beherrschend.

Es dunkelte ein wenig.

„Wo er nur bleibt?“ flüsterte Kathi.

Henri wandte das Gesicht ab und schwieg. Er wußte, daß reden hier umsonst sei.

„Er wird schon kommen!“ meinte die Frau und nahm wieder den Mantel von dem Nagel.

„So bleibe doch!“ bat ten Eißen.

„Bleiben? Bleiben?“ Kathi sah ihn so erstaunt an, als habe sie diese Worte nicht recht verstanden. Dabei legte sie den Mantel um, wickelte das Tuch wieder um den Kopf und winkte ihrem Manne geheimnißvoll mit dem Finger.

Der Fischer schüttelte verzweifelt mit dem Kopfe, entschloß sich aber doch, seinem Weibe zu folgen, welches hastigen Schrittes in dem tiefen weichen Sand zur Düne ging und deren Kamm erklomm.

Da stand die Frau wieder, wie schon so manches Mal, und schaute hinaus in das weite, brausende Meer, um ihren geliebten Jann zu erwarten. Und Henri harrte auch dieses Mal geduldig neben ihr aus.

Schäumend zischten die Wellen gegen die Dünen und leckten hinauf fast bis zu den Füßen der beiden, tosend brachen sich die Wasser und die Brandung heulte mit dem Sturme um die Wette.

Kathi hielt stand; in gespenstisch flatterndem Gewande, vom blassen Mondschein umflossen, so stand sie da und suchte mit ihrem Auge jede Wellentiefe zu ergründen, ob da nicht vielleicht ein Boot emporsteige, welches ihr Alles bringe.

„Horch – – Henri!“ rief sie plötzlich.

„Was willst Du, Kathi? Das ist der Sturm!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_846.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2023)