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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

noch zuweilen vergaß! – daß also diese Annahme unmöglich stimmen könne … was konnte es denn aber sein?

Bei einem leisen Klirren des Säbels fuhr der Pfarrer von seinem Sitz empor.

„Da bist Du ja! Du mußt mir schon verzeihen, Fritz, wenn ich hier herunterkam – Dein Bursch ließ mich ein – und mir’s bei Dir bequem machte. Du hättest freilich noch viel länger fort bleiben können – – wieviel Uhr haben wir denn? Und wie kommt es, daß Du nicht noch bei Deiner Braut geblieben bist? – Je nun, das ist gleichviel – mich freut es, daß Du da bist! Ich hielt es bei mir nicht aus – ich kann nicht allein sein mit meinen Gedanken, und wenn ich irgend ein Lokal gewußt hätte, wo ich ein paar Bekannte finden würde … wahrhaftig, ich wäre hingegangen, nur um andere Menschen zu sehen – Stimmen zu hören.“

„Dann muß es aber hart über Dich gekommen sein,“ zwang sich Fritz, zu scherzen, „wenn Du, der Heilsapostel und Seelenhirt von Sankt Lukas, Sehnsucht nach einem Kneiplokal verspürst!“

„Du hast recht – es ist hart über mich gekommen!“

Der Ton in diesen Worten und Reginalds Ausdruck dabei ließ den Offizier stutzen. Er trat nahe an den Vetter heran, legte ihm beide Hände auf die Schultern und sah ihm ernst ins Gesicht.

„Was hat’s denn gegeben, Regi? Kannst Du mir’s nicht sagen?“

„Nein, lieber Fritz, ich kann nicht!“

„Auch wenn ich Dir als Kavalier und Soldat mein Ehrenwort gebe, gegen jedermann zu schweigen?“

Reginald seufzte tief auf.

„Auch dann nicht!“

„Ist es ein Ehrenhandel, in den Du verstrickt bist?“

„Nein, Fritz! Ich weiß nicht – und sieh, das ist das Qualvolle für mich! – was Recht und Unrecht ist, ich weiß nicht, wo meine Verantwortung, wo meine Pflicht liegt!“

„Das wüßtest Du nicht? Du, die verkörperte Gewissenhaftigkeit?“

Fritz fühlte, wie unter seinen Händen die stolze, hohe Gestalt zusammenzuckte, und er sah, wie ein unsagbar leidvoller Ausdruck in Reginalds Augen kam.

„Gewissen! Eben das ist es! Ich kann es vor meinem Gewissen nicht verantworten, zu reden, und ebensowenig vermag ich es, zu schweigen … frag’ mich nicht weiter, Fritz, ich bitte Dich! Du hast mich ja immer liebgehabt und gut verstanden – thu’s auch heute! Hilf mir nur, den heutigen Abend und einen kleinen Theil der Nacht hinzubringen – vielleicht kann ich dann schlafen, und es ist mir morgen etwas leichter zu Sinn! Setz’ Dich her zu mir – so – und erzähle mir viel von Dir – von Deiner Braut – dem Dienst – den Kameraden – alles, was Dir nur einfällt – Du verstehst es ja, so hübsch zu plaudern!“

„Hm! Ja! Es plaudert sich auch ganz besonders hübsch, wenn man seinen besten Freund und Vetter mit solch’ einem Unglücksgesicht dicht vor sich sitzen hat, und er will nicht Farbe bekennen! Das soll kein Vorwurf für Dich sein, Regi – ich seh’s ja: Du kannst nicht sprechen, ’s ist nicht Deine Angelegenheit allein! Richtig? Na, also! Und ich werde Dich nicht mit Fragen quälen – bloß, wenn mein Geplauder nicht ganz so sorglos ausfällt wie sonst, mußt Du mir’s nicht verdenken! Was meinst Du denn, mein Alter, trinken wir am Ende etwas?“

Zu Fritzens ungemessenem inneren Staunen sagte Reginald ein hastiges „Ja.“

„Ich denke, ich muß das Fieber haben,“ setzte er hinzu, während der Ulan eilfertig ein paar Flaschen und Gläser herbeiholte, „ich habe einen wahren Brand in mir.“

Der Lieutenant wollte einen schlechten Witz machen, aber der Witz blieb ihm in der Kehle stecken, als er in Reginalds düster flammende Augen blickte.

„Das wollen wir schon kriegen, Dir wird zu helfen sein, Freundchen!“ äußerte er leichthin und goß den schweren, wie Oel fließenden spanischen Wein, den er sich nur für „große Gelegenheiten“ hielt, in die Gläser. „Gegen Deinen Zustand hilft am besten ein gesundes Räuschchen, und das holt man sich leicht, wenn man sich eine Weile an diese Sorte hält, und man pflegt sehr sanft und tief und traumlos danach zu schlummern, wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann. Wir haben ohnehin bei mir noch gar nicht meine Verlobung begossen. Prosit, lieber Sohn! Das ist ein Weinchen – – Aber sei so gut und thu’ ihm etwas mehr Ehre an und genieße seine Blume mit Verständniß! Man spült einen solchen Tropfen nicht so ohne weiteres hinunter, als wär’s Zuckerwasser!“

Reginald lächelte ein wenig, aber die Augen hielten nicht mit, sie bewahrten ihr düster glimmendes Feuer.

„Verzeih’, lieber Fritz! – Ist Dir’s so recht?“

Er setzte sein halbgeleertes Glas an die Lippen und trank es langsam, Tropfen für Tropfen, aus.

„Bravo! Für einen Laien in der Kunst des Weingenießens eine ganz achtbare Leistung! Schade um Deine schönen Anlagen, die unausgebildet bleiben werden! Hier hast Du ein frisches Glas! Auf meine kleine Braut!“

„Von Herzen! Und nun erzähl’ mir, Fritz, erzähle – – wo warst Du heute? Was hast Du getrieben?“

„O – heute?“ Fritz fühlte sich etwas unbehaglich. „Wie war’s denn gleich?“

„Willst Du es mir nicht sagen?“

„Noch schöner! Warum sollte ich wohl nicht? Es ist ja auch ein Unsinn – Du bist doch ein ganzer Mann – wirst schon mit der Sache fertig werden – und bekommst den Namen noch hundertmal aus aller Leute Mund zu hören: also – wir, meine Kleine, die Schwiegermama, Frau Weyland und ich, waren heute mit Annie Gerold zusammen in ihres Bräutigams, Professor Delmonts, Atelier – – nun, aber – Regi – siehst Du – ich bitte Dich – trinke nicht soviel von dem schweren Zeug – weiß Gott, ich geb’ Dir’s gern, aber Du bist es so gar nicht gewohnt – ich hätte eine leichtere Sorte heraussuchen sollen –“

Reginald hatte sein Glas auf einen Zug hinuntergegossen und es sich neu bis zum Rand gefüllt.

„Laß’ nur, Fritz! Ich würde Deinen Wein und Dir sehr dankbar sein, wenn Ihr mir Selbstvergessenheit verschaffen könntet … nur glaube ich nicht so recht daran! – Sprich doch nur, bitte, sprich! Wie fandest Du die beiden – sie – und – ihn? Sehr glücklich – nicht wahr?“

„Es scheint so! Er ist rasend verliebt in sie – und sie ist ja auch ein wunderschönes Geschöpf, dabei so einzig, so lieblich – holdselig,“ – dem Lieutenant begann sich die Zunge zu lösen – „und heute vollends, in einem venezianischen Brokatstoff und Perlenkäppchen war sie ein traumhaft entzückender Anblick. Und nicht bloß Anblick! Diese ungesuchte Natürlichkeit, dieser rasche Geist – die Anmuth ihres Wesens – Du weißt ja –“

„Ich weiß … jawohl!“

„Kurz, es ist einfache Pflicht und Schuldigkeit von dem Menschen, wenn er sie anbetet. Seine Bilder sind übrigens brillant, sein Atelier prachtvoll, und seine Weine lassen sich trinken – der ganze Mann hat mir heute besser gefallen, als ich das, ehrlich gesagt, für möglich hielt. Und sie? Nach allem, was ich beobachtet habe, muß sie ihn wohl über alles lieben! Trotz dessen ist irgend etwas an diesem von der Natur überreich bedachten Brautpaar, was mir nicht ganz zusagen will. Hat mich vielleicht Frau Weyland mit ihren Kassandra-Ideen angesteckt? Ich bin ein zu einfältiger Kerl, um recht sagen zu können, was es ist – ’s läßt sich auch mehr fühlen, als sagen … irgend ein Schatten liegt dazwischen – – bei ihm, dem Maler, meine ich – sie, die schöne Annie, ist ganz lauterer Sonnenschein! – Aber es mag ja alles dummes Zeug sein, was ich da zusammengedacht und -geredet habe – ich habe bis jetzt noch in meinem ganzen Leben von einer Ahnung keine Ahnung gehabt! Wollen wir noch eine zweite Flasche aufmachen, Regi?“

„Ganz gewiß! Thut es Dir leid um Deinen theuren Wein?“

„Nein!“ sagte der Ulan sehr ernst. „Es thut mir leid um meinen theuren Vetter!“

„Um den sei außer Sorge! Meinst Du, ich könnte zum Trinker werden? Ich möchte nur vergessen und dann schlafen können – ich sagte es Dir schon! Dein Wein ist gut und stark, und doch ist mir’s, als hätte ich bis jetzt nur Zuckerwasser getrunken!“

Fritz, der an Weintrinken Gewöhnte, schüttelte erstaunt den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 843. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_843.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)