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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Freunde von Roseggers Muse werden in dem fünfundzwanzigsten und sechsundzwanzigsten Band seiner „Ausgewählten Schriften“ (A. Hartlebens Verlag, Wien) viel Anmuthendes finden. Unter dem Titel „Der Schelm aus den Alpen“ sind allerlei Geschichten und Gestalten, Schwänke und Schnurren zusammengestellt, ernste und lustige Plaudereien, allerliebst ausgeschnittene Silhouetten von sonderbaren Käuzen aus den Alpendörfern, auch manches Traurige, Wunderliche und Wunderbare. Die Nutzanwendung vieler Geschichten ist indeß nicht bloß auf Dörfler, sondern auch auf civilisirte Menschenkinder berechnet. – Da wir einmal im Alpengebiete uns befinden, so sei hier noch die Mittheilung beigefügt, daß von der bekannten Ganghoferschen Hochlandsgeschichte „Der Herrgottschnitzer von Ammergau“ eine von Hugo Engl reizend illustrirte Ausgabe (bei A. Bonz u. Comp. in Stuttgart) erschienen ist.

Meistens heitere Geschichten führt uns Hugo Rosenthal-Bonin vor in seiner Sammlung „Der Student von Salamanca und andere Novellen“ (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt). Darunter befindet sich eine lustige Geschichte in Versen: „Die Fahrt nach Meersburg“, deren Held ein verliebter, sich das Haar färbender Jüngling ist. Das frische Erzählertalent Rosenthal-Bonins verleugnet sich auch in dieser Sammlung nicht. – Ihr reihen sich am besten die „Lustigen Geschichten“ von Hans Arnold an (Stuttgart, A. Bonz u. Comp.). Es sind die den Lesern der „Gartenlaube“ noch frisch in der Erinnerung lebenden Humoresken „Anvertraute Kinder“, „Eine kleine Vergnügungsreise“, „Schulschluß und Ferien“, „Roberts erste Liebe“; ein Geschichtchen, „Fritz auf dem Lande“, ist neu hinzugekommen.

Ernste und heitere Fälle aus dem Rechtsleben hat Hans Blum unter dem Titel „Aus geheimen Akten“ (Berlin, Gebrüder Paetel) herausgegeben. Es sind drei Geschichten, welche vom Verfasser selbst bei der Titelangabe schon genauer bestimmt werden. Die erste, „Der neue Staatsanwalt“, ist eine kleinstaatliche Geschichte aus großer Zeit; die zweite, „Das Medium des Michelangelo“ eine Erzählung aus der vierten Dimension; die dritte, „Der schneidige Anwalt“, eine Kriminalhumoreske. Hans Blums lebendige und gewandte Darstellungsweise ist ja auch den Lesern unseres Blattes bekannt, und hier bewegt er sich auf dem ihm so vertrauten Gebiete seines Lebensberufs.

Auch Oscar Justinus ist den Lesern unseres Blattes kein Fremdling. Seine neue Schrift, „In der Zehnmillionen-Stadt“ (Dresden, E. Piersons Verlag), ist ein Berliner Roman aus dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Da sind Eiffeltürme, telephonische Korrespondenzen, weibliche Regierungsassessoren, da ist Republik, Aufhebung der Ehe und alles mögliche Zukünftige in humoristischer Einkleidung zu finden.

Unter den Gedichtspenden des Weihnachtstisches erscheinen wohl als die interessanteste Gabe die neuen poetischen Uebersetzungen des Grafen Adolf Friedrich von Schack, die unter dem Titel „Orient und Occident“ (Stuttgart, J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger) erscheinen und von denen jetzt drei Bände vorliegen. Es sind Nachbildungen von meisterhafter Formvollendung, von einem Fluß und Guß, einer schimmernden Schönheit, wie man sie manchen deutschen Originaldichtungen wünschen möchte. Der erste Band bringt uns die persische Dichtung „Medschnun und Leila“, einen morgenländischen Liebesroman von Dschami: Romeo und Julie im östlichen Gewand, zwei Liebende, die zu Grunde gehen an der Feindschaft ihrer Familien und Stämme – das ist der Inhalt der Dichtung, welche eine ergreifende Gluth der Empfindung athmet. Der zweite Band bringt uns das Gedicht „Camoens“ von einem neueren portugiesischen Dichter J. B. Almeida-Garret (1799 bis 1854), der politischer Parteimann, Verfolgter und Verbannter und später Minister war. Manches aus seinem eigenen Leben hat der Dichter offenbar in sein Werk hineingeheimnißt, das in Bezug auf farbenprächtige Schilderung und oft schwermüthige Gedankenlyrik an Byron und Victor Hugo erinnert. Der dritte Band enthält „Raghuvansa“, ein indisches Gedicht von Kalidasa, dem auch im Abendland gefeierten Dichter der „Sakuntala“. Das Gedicht macht uns in kürzerer Fassung mit den wichtigsten Begebenheiten bekannt, welche den Hauptinhalt des umfangreichen alten Epos Ramayana bilden. Fremdartiger Blüthenduft schwebt über dem Ganzen und die Bilder zeichnen sich oft durch überraschende Neuheit aus.

Noch erwähnen wir ein hübsches keines Epos von Karl Schäfer, „Der Falkner von Rodenstein, ein Sang aus dem Odenwalde“ (Darmstadt, Verlag von G. v. Aigner). Das glückliche poetische Talent Karl Schäfers hat sich bereits mehrfach erprobt. Sind doch seine „Heiderosen“, eine Sammlung meist lyrischer Gedichte, bereits in dritter Auflage (Darmstadt, ebenda) erschienen!


Blätter und Blüthen.

Im Weihnachtsurlaub. (Zu dem Bilde S. 808 u. 809). Der „blonde Frieder“, eigentlich Friedrich Barth, seines Zeichens ältester von acht Geschwistern, derzeit Ulan im Thüringischen Ulanenregiment Nr. 6, ist sonst Besitzer eines glücklichen Phlegmas. Als er noch daheim den väterlichen Acker pflügte, war es nicht schwer, die Fassung zu bewahren, aber er verlor sie auch nicht, als die Rekrutendressur mit allen ihren Schrecken und Unteroffiziersflüchen über ihn hereinbrach. Wozu auch? Aufregung macht’s nicht besser: dieser Satz war die Grundlage von des blonden Frieders Lebensphilosophie, und sie war bis jetzt nicht ins Wanken gekommen.

Bis jetzt – dieses „jetzt“ bedeutet etwa den dritten Sonntag vor Weihnachten. Von da ab vollzog sich in dem blonden Frieder eine zunächst kaum merkliche, dann aber immer auffallendere Veränderung. Er hatte auf dem Umweg über den Wachtmeister herausgebracht, daß einem Weihnachtsurlaub des Ulanen Friedrich Barth mit Rücksicht auf dessen gute Führung in und außer Dienst ein Hinderniß von seiten des Herrn Rittmeisters nichts im Wege stehe. Und das fuhr dem guten Frieder nun doch eigenthümlich in die Knochen. Der Frieder war ein junger Mensch von 20 Jahren – also freute er sich auf den Urlaub an sich; er hatte auch ein gutes Herz – also freute er sich auf Eltern und Geschwister und auf den Genuß des heimathlichen Weihnachtsfestes! Aber das alles hätte sich doch auch mit Ruhe ertragen lassen, wenn man eine so reichliche Dosis von Gleichmuth besaß wie unser Ulan! Woher nun die prickelnde Ungeduld, die gefährliche Zerstreutheit, die eifrigen Studien auf dem in der Kantine hängenden Fahrplan? Du sollst den Schlüssel zu diesem Räthsel haben, verehrter Leser, – der „blonde Frieder“ war nämlich ein bißchen sehr stark – eitel!

Und nun ermesse man, welche Triumphe – von dieser seiner stärksten Seite aus betrachtet – dem neugebackenen Ulanen im heimatlichen Kreise bevorstanden! Man denke sich – immer vom Standpunkt des „blonden Frieders“ aus – das Erstaunen der Mutter, das Entzücken der Schwestern, den Stolz des Vaters, die Begeisterung des Bruders, wenn „unser Ulan“ in die Stube tritt, angethan mit der vollen Paradeuniform, sporenklirrend, säbelrasselnd, czapkabuschwehend – nein, Frieder kannte sich nicht mehr vor Verlangen, dies alles nicht mehr bloß sich auszumalen bei der Stallwache oder beim Gaulstriegeln, sondern auszukosten in voller, greifbarer, herrlicher Wirklichkeit.

Am Morgen des 22. Dezember lief der Ulan Friedrich Barth ernstlich Gefahr, wegen Nachlässigkeit im Dienst von der Liste der Weihnachtsurlauber gestrichen zu werden. Nur seiner seitherigen Wohlangeschriebenheit bei dem Eskadronschef hatte er es zu danken, daß er doch mitdurfte …

Und nun ist er da, der Augenblick, der langersehnte, köstliche Augenblick, und wir müssen gestehen – Friedrich Barth, Ulan im Thüringischen Ulanregiment Nr. 6, macht sich gut – sehr gut! Was ist aller Glanz des nach thüringischer Sitte von der Decke herabhängenden Christbaums, was ist aller Liebreiz einer ganzen hübschen Schwesternreihe gegen die Pracht, welche nur allein so eine Paradeulanka ausstrahlt! Ja, „blonder Frieder“, du bist schön, tadellos schön vom Kopf – was sag’ ich – vom schön geschwungenen Bogen des Roßhaarbusches bis zur äußersten Stiefelspitze; nur schade, daß du – ein bißchen sehr stark eitel bist! =     

Der Anklöpfelesel. (Mit Abbildung S. 813.) Einst wurde Schwaben von einer furchtbaren Pest heimgesucht. Jeder sperrte sein Haus ab und jeder fürchtete sich, von dem anderen angesteckt zu werden. Ganze Häuser, ganze Straßen und Orte starben aus, und niemand wagte, dem andern zu Hilfe zu kommen. Endlich ließ die Seuche nach, und wenige Gesundgebliebene gingen von Haus zu Haus und warfen Erbsen an die Fenster. Tönte dann von drinnen eine Antwort, so war noch Leben im Hause; wo nicht, so war alles ausgestorben. Später klopften sie dann an die Fensterläden, und ein „Vergelt’s Gott“ lohnte ihnen. Zum Andenken an diese Menschenfreunde feiert man angeblich alljährlich die Klöpflinstage, Klopfnächte, Anklopfete oder Boselnächte (von boslen = lärmen, toben). Unter diesem Namen versteht man die drei beziehentlich vier Adventsdonnerstage, deren letzter auch der Losenpfinztag, d. h. der Loosdonnerstag, heißt, und ganz Süddeutschland kennt sie.

Der Sagenforscher aber weiß eine bessere Deutung. Der Brauch hat nichts mit der Pest zu thun. Das Anklopfen an die Fensterläden ist der letzte Rest toller Umzüge, die dereinst üblich waren und die jedenfalls die Umzüge der Götter in der heiligen Zeit der Wintersonnenwende nachbilden sollten. An einigen Stellen haben sich dieselben auch wirklich noch erhalten. In der Umgegend von Meran besuchen sich an den Klöpfelabenden gute Bekannte und ergötzen sich wacker an Brot, Wurst, Wein und Obst. In Marienthal ziehen noch jetzt die Burschen herum und singen:

„Heut’ ist die heil’ge Klöpfelnacht,
Wo man Nudel und Küchel bacht,
Nudel heraus, Küchel heraus,
Oder wir schlagen ein Loch ins Haus!“

Das Prachtstück der Klöpflinsnächte aber ist der Anköpfelesel in Pillersee. Zwei kräftige Burschen nehmen ein Lattengerüst auf die Schultern; es ist durch eine Decke verhüllt und ein Sattel liegt darauf. Kopf und Oberkörper sind unsichtbar und nur die vier Beine des neuentstandenen Thieres kann man sehen, das durch einen aufgesteckten Eselskopf noch vervollständigt wird. Ein lustiger Reiter schwingt sich auf den Rücken des Esels; nebenher geht würdigen Schrittes der „Eigenthümer“ nebst dem Fuhrmann, und Zigeuner, Landstreicher, Hexen, Zillerthaler, Oelträger, Quacksalber und ein Thierarzt bilden sein Gefolge. Gemessen bewegt sich der Zug durch das Dorf. Hier und da wird dem Esel eine Krippe mit Wasser zum Saufen hingesetzt, aber stolzen Sinnes verschmäht er den Gänsewein.

Jetzt geht’s in die Bauernstuben. Kaum ist man in das Zimmer eingetreten, das dicht mit Zuschauern gefüllt ist, so wird der Esel krank, er fällt auf die Kniee und ist durch nichts zu bewegen, wieder aufzustehen. Wasser und Heu mag er nicht. Er „yat“ kläglich. Der Eigenthümer prügelt den Fuhrmann, weil dieser den Esel habe krank werden lassen, und der Fuhrmann wendet sich an den Quacksalber. Aber die Kuren verschlimmern nur die Krankheit: der Esel legt sich ganz hin und streckt alle Viere von sich. Jetzt greift der Thierarzt ein. Eine Wurst – und der Esel erholt sich zusehends. Eine Flasche Schnaps – und er ist bereits wieder auf den Knieen angelangt. Eine zweite Flasche, und er ist wieder ganz gesund, so daß er in seine beiden lebendigen Hälften getheilt an dem nun folgenden Mahle teilnehmen kann. Die dabei geführten Gespräche sind typisch und wiederholen sich jedes Jahr. Aber eins wechselt, und das sind die Scherze und Hänseleien, welche eingeflochten werden und an denen fast alle Anwesenden zu schlucken haben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_834.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2023)