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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

wurden damit nicht erzielt. Sobald man nämlich ein Mittel, das sich bei den Züchtungsversuchen, den sogenannten Kulturen, als die Tuberkelbacillen im Wachsthum hemmend oder zerstörend erwiesen hatte, bei Thierversuchen in Anwendung brachte, versagte es entweder in seiner Wirkung vollständig oder tödtete mit den Mikrobien zugleich das Versuchsthier.

Auf diesem Wege war nach der überwiegenden Ansicht der Aerzte dem Parasiten der Lungenschwindsucht und damit dieser Krankheit selbst nicht beizukommen, man versuchte es daher, wenn auch einzelne Forscher auf dem einmal beschrittenen Wege weiter wandelten, mit einem andern Verfahren. Vermochte man nicht unmittelbar dem Bacillus zu Leibe zu gehen, so konnte man doch hoffen, auf mittelbarem Wege ihn erfolgreich zu bekämpfen, dem so schwer durch die schreckliche Krankheit heimgesuchten Menschengeschlechte ersprießliche Dienste zu leisten. Dies ließ sich auf zweierlei Weise bewerkstelligen, einmal durch Vorbeugemittel gegen die Weiterverbreitung der Krankheit und sodann durch Stärkung, Kräftigung des Körpers in seinem Kampfe mit dem tückischen Feinde.

Der Erreichung des ersteren Zieles widmete sich besonders Cornet, welcher durch außerordentlich scharfe und mühsame Untersuchungen nachwies, daß der Auswurf der Phthisiker, der Lungenschwindsüchtigen, einer der vornehmlichsten Ansteckungsträger sei. Nicht allein, daß er durch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten in der ärztlichen und in der Laienwelt die Anschauung von der Ansteckungsfähigkeit immer mehr zur Geltung brachte, er wirkte auch für die allgemeine Einführung eines geeigneten Vorbeugungsmittels. Dies besteht darin, daß die tuberkulösen Kranken dazu angehalten werden, ihren Auswurf stets nur in mit Wasser gefüllte oder auch, nach Verlassen der Wohnung, in besonders angegebene trockene Speinäpfe abzusondern und so Fußboden und Taschentücher, an denen die bacillenhaltigen Massen trocknen und von da aus pulverisirt sich der Athemluft beimischen können, rein zu halten.

Die Stärkung des ganzen Körpers als wichtigste Grundbedingung der Schwindsuchtsheilung hatte als erster, schon lange vor der Entdeckung der Tuberkelbacillen, der bekannte Leiter der Heilanstalt Görbersdorf, Brehmer, aufs nachdrücklichste betont und zur Grundlage seines therapeutischen Verfahrens gemacht. Doch drang er, da er seine praktischen Regeln mit einer Menge von der Wissenschaft nicht anerkannter theoretischer Ansichten verwob, nicht recht durch. Erst in der neueren Zeit, unter dem Einflusse der neu gewonnenen Anschauungen, schälte man den guten brauchbaren Kern aus der deckenden theoretischen Hülle heraus und folgte den von Brehmer gegebenen Anregungen. Besonders der berühmte Berliner Kliniker Ernst Leyden trat mit dem ganzen Gewichte seines Könnens und seiner Stellung für diese Seite der Schwindsuchtsheilung ein. Er war es auch, auf dessen Anregung hin in diesem Jahre die verschiedenen Berliner medizinischen Gesellschaften sich zur Absendung von Delegirten zu einer Kommission verstanden, deren Aufgabe es sein sollte, die nöthigen Schritte zur Erbauung von Heilanstalten für weniger bemittelte Tuberkulöse in der Nähe Berlins zu thun, Heilanstalten, in denen besonders der ganze Apparat einer vernunftgemäßen Hygieine und Ernährungsweise in den Dienst der Schwindsuchtsbehandlung gestellt werden sollte (vergl. „Gartenlaube“ 1890, S. 570). Anfang dieses Sommers trat die Kommission unter dem Vorsitze Leydens zum ersten Male zusammen, und als erster Punkt wurde darüber berathen, ob überhaupt solche „Heilstätten für Tuberkulöse“ errichtet werden sollten. Nachdem wir uns fast ausnahmslos in diesem Sinne ausgesprochen hatten, erhob sich Robert Koch und erklärte seine Zustimmung zu dem ganzen Plane, konnte sich aber mit der Bezeichnung der Anstalten als „Heilstätten“ nicht befreunden. Wir seien nicht imstande, so meinte er, die Tuberkulose zu heilen; wenn auch mal ab und zu derartige Fälle zur Heilung kämen, so wären diese mehr als Zufallsheilungen anzusehen denn als gewollte Erfolge einer systematischen Therapie. Man möge nicht durch solchen Namen in den Kranken Hoffnungen erwecken, die doch nicht erfüllbar seien.

Wenige Wochen nach diesem viel besprochenen Vorfall trat in Berlin der X. internationale medizinische Kongreß zusammen. Den zweiten Vortrag in der ersten allgemeinen Sitzung am 4. August d. J. hielt Robert Koch: „Ueber die bakteriologische Forschung.“ Er gab in derselben in seiner knappen, klaren Redeweise einen geschichtlichen Ueberblick über die Entwicklung der noch jungen, kaum fünfzehn Jahre alten Wissenschaft der Bakteriologie und ging vornehmlich auf den Punkt ein, der für die Aerzte ja der wichtigste sein mußte, auf das Verhältniß der Mikroorganismen zu den Infectionskrankheiten. Zum Nachweise, daß solche Gebilde als Ursache einer Krankheit aufzufassen seien, verlangte Koch die Erfüllung folgender Bedingungen. 1. daß der Parasit in jedem einzelnen Falle der betreffenden Krankheit anzutreffen sei; 2. daß er bei keiner anderen Krankheit als zufälliger und nicht pathogener Schmarotzer vorkomme; 3. daß er, in Reinkulturen auf ein anderes Thier übergeimpft, imstande sei, von neuem die Krankheit zu erzeugen. Diesen Bedingungen werde bei einer Anzahl von Infectionskrankheiten, dem Milzbrand, der Tuberkulose, dem Erysipelas (Rose), dem Tetanus (Wundstarrkrampf) vollständig entsprochen, so daß deren parasitäre Natur nicht mehr in Frage stehe. Aber auch für eine Anzahl anderer Infectionskrankheiten, in denen nur die beiden ersten Bedingungen, diese indessen regelmäßig, ausnahmslos erfüllt würden, die Ueberimpfung dagegen noch nicht oder nur unvollkommen erreicht worden sei, müsse derselbe Zusammenhang angenommen werden. Hierher gehören besonders der Unterleibstyphus, die Diphtheritis und die asiatische Cholera. – Später auf die praktischen Erfolge der Bakteriologie übergehend, gestand Redner ein, daß wir bis jetzt noch keine unmittelbar wirkenden therapeutischen Mittel gegen die durch die Schmarotzer hervorgerufenen Krankheiten besäßen. Schon bald nach der Entdeckung der Tuberkelbacillen habe er angefangen, nach Mitteln zu suchen, die sich gegen die Tuberkulose therapeutisch verwerthen ließen, und im Laufe der Jahre eine große Anzahl von Substanzen darauf geprüft, welchen Einfluß sie auf die in Reinkulturen gezüchteten Tuberkelbacillen ausübten. Es habe sich ergeben, daß gar nicht wenige Stoffe imstande sind, schon in sehr geringer Menge das Wachsthum jener Mikrobien zu verhindern. Alle diese Substanzen blieben aber vollkommen wirkungslos, wenn sie an tuberkulösen Thieren versucht wurden. Trotz dieser Mißerfolge habe er sich von dem Suchen nach entwicklungshemmenden Mitteln nicht abschrecken lassen und habe schließlich Substanzen getroffen, welche nicht allein im Reagensglase, sondern auch im Thierkörper das Wachsthum der Tuberkelbacillen aufzuhalten vermochten. Diese Versuche, welche ihn bereits fast ein Jahr beschäftigten, seien noch nicht abgeschlossen, er könne über dieselben daher nur so viel mittheilen, daß Meerschweinchen, die bekanntlich für Tuberkulose außerordentlich empfänglich seien, wenn man sie der Wirkung einer solchen Substanz aussetze, auf eine Impfung mit tuberkulösem Gifte nicht mehr reagiren, und daß bei Meerschweinchen, welche schon in hohem Grade an allgemeiner Tuberkulose erkrankt seien, der Krankheitsprozeß vollkommen zum Stillstand gebracht werden könne, ohne daß der Körper von dem Mittel etwa anderweitig nachteilig beeinflußt würde.

Redner schließt mit folgenden Worten: „Sollten die im weiteren an diese Versuche sich knüpfenden Hoffnungen in Erfüllung gehen, und sollte es gelingen, zunächst bei einer bakteriellen Infektionskrankheit des mikroskopischen, aber bis dahin übermächtigen Feindes im menschlichen Körper selbst Herr zu werden, dann wird man auch, wie ich nicht zweifle, sehr bald bei anderen Krankheiten das gleiche erreichen. Es eröffnet sich damit ein vielverheißendes Arbeitsfeld mit Aufgaben, welche werth sind, den Gegenstand eines internationalen Wettstreites der edelsten Art zu bilden. Schon jetzt die Anregung zu diesen Versuchen nach dieser Richtung zu geben, war einzig und allein der Grund, daß ich, von meiner sonstigen Gewohnheit abweichend, über noch nicht abgeschlossene Versuche eine Mittheilung gemacht habe.“

Den Eindruck dieser Rede zu schildern, ist eine schwierige Aufgabe. Es war, als ob eine Bombe in die Versammlung eingeschlagen hätte, so erregt, ja verblüfft schauten alle Theilnehmer drein. Man hatte einen interessanten wissenschaftlichen Vortrag erwartet und stand nun auf einmal vor geheimnißvollen Eröffnungen und Andeutungen, welche Aussichten von unendlicher Tiefe und Weite eröffneten, Aussichten auf künftige Heilerfolge, wie sie die kühnsten Träume nicht hatten vorgaukeln können. Diese Rede Kochs war das Ereigniß des Tages, beherrschte die Gemüther während des ganzen Kongresses fast ausschließlich, ließ allen übrigen noch so hervorragenden Vorgängen der glänzenden Vereinigung nur ein untergeordnetes Interesse abgewinnen. Denn darüber war alle Welt sich klar, wenn ein so vorsichtiger Forscher wie Koch sich in der Weise mit einer gewissen Zuversichtlichkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_819.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2023)