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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Da kam der Morgen, wo Rolf nicht mehr um meine Füße geschlichen kam auf der Brücke. Mir wurde angst und weh – ich ließ das ganze Schiff untersuchen, ich tobte und drohte. Ein Schurke hatte ihn wohl getödtet, in das Meer geworfen – ja ich ahnte, wer es war. Ich hatte einen neuen Steward aufgenommen im letzten Hafen; Rolf haßte den Menschen vom ersten Tage an, und er täuschte sich nicht, ich ertappte den Mann bald auf verschiedenen Unehrlichkeiten – der war’s! Ich setzte eine Belohnung aus für den, der den Thäter ausfindig machen würde, ein Schiffsjunge verrieth ihn mir – ich war nahe dran, den Kerl meinem armen Rolf als Todtenopfer nachzusenden, auf die Bitte meiner Leute sperrte ich ihn nur in die Segelkammer. In der Nacht darauf rannte uns der Engländer in die Seite – wie ein Gespenst tauchte er plötzlich auf aus dem Dunkel – mir erstarrte das Blut – meine Hand, die das Steuer herumriß, war lahm, kraftlos – Rolf saß auf einer Speiche, zwei glühende Punkte waren auf mich gerichtet, centnerschwer schien das Rad und stemmte sich gegen meine Hand – ein furchtbares Krachen und Splittern, Sausen, Gurgeln! – Als ich mich vom Fall erhob, war das fremde Schiff verschwunden, die ‚Laura‘ aber neigte sich, ich hörte sie Wasser saugen. Ich sah zitternd nach dem Rade, Rolf war fort, ich drehte es bei, es lief leicht ohne Widerstand – Rolf hat es gehalten, er hatte Sehnsucht nach seinem Herrn!“

„Oder Ihr habt mit Eurem Rolf Euere Entschlossenheit, Eure Sicherheit verloren, Kapitän,“ meinte Frau Holde scharf.

„Und die Angst saß am Ende auf der Speiche, glotzte mich an und machte meine Hände schwach, meinen Sie, Frau Holde! Es ist wahr, man soll dem Zeug nicht nachhängen, es macht den bravsten Mann verwirrt – aber das sind Anlagen, über die man nicht hinauskann, und am Ende – was sagen Sie denn dazu, Herr Buiksloot,“ wandte er sich an den alten Richter, der immerfort mit dem Kopfe nickte; die kleine Thonpfeife lag erkaltet neben ihm, so eifrig hörte er zu.

„Als die große Springfluth war, die halb Oland fraß,“ begann er mit unsicherer Stimme, „da sah man die Nacht zuvor – die Fischer beschworen es aufs Sakrament, mein Schwager selbst war dabei – einen Reiter über die Dünen jagen von Langeneß her, als ob er übers Wasser käme; er ritt um die Kirche und hielt an vielen Häusern; es waren unerschrockene Männer, die Fischer, sie kamen vom Abendfang, sie folgten dem Reiter, obwohl sie wußten, daß es nicht mit rechten Dingen zuging – es gab kein Pferd auf Oland damals – doch sie konnten ihn nicht erreichen; nur wo er still gestanden hatte, war ein kleiner Wassertümpel; auch vor meinem Haus. Holgr, der Schwager, erzählte mir alles und drückte schwere Besorgniß aus; ich war damals jung und hatte ein junges, schönes Weib, ich lachte ihn aus und die andern, die Nacht war kalt, und da trinkt man gern eins mehr als nöthig – die nächste Nacht kam die Fluth, mein Haus fraß sie zuerst sammt meinem jungen Weib und meinem Kinde in der Wiege – seit der Zeit lache ich nicht mehr, auch über Lars Tönningens Rolf nicht!“

Die Musik schwieg, das junge Volk drängte sich um den Erzähler – da gab es was zu hören von diesen zwei alten Seewölfen. Die Mädchen schmiegten sich inniger an die Bursche, die das Gruseln schmunzelnd sich zu nutze machten und in losen Scherzen es zu vermehren suchten. Bald zuckte einer zusammen und starrte regungslos zum Fenster hinaus, als habe er auch einen Reiter oder etwas ähnliches Gespenstiges erblickt; bald deutete einer in irgend einen dunklen Winkel mit ängstlicher Gebärde, und als plötzlich die Thür aufging und ein neues Faß Flensburger hereingerollt wurde, schrie alles jäh auf, als ob Rolf, der Kater, sich hereinwälzte.

Am Erkertisch herrschte eine gedrückte Stimmung, die paßte dem alte Rungholt heute nicht.

„Mit Euern Gruselgeschichten an solchem Abend!“ brach er polternd los – „Holde, hol’ mal den vom Vetter am Rhein, der vertreibt alle bösen Geister!“

„Und verschaft Tönningen vielleicht einen neuen Kater!“ spottete Holde.

Der ‚vom Vetter am Rhein‘ kam; in den grünen Römern duftete und glänzte es.

Der alte Rungholt erhob sich. Ihm zu Häupten schwankte der Segler noch vom Tanze. Mit seiner mächtigen Stimme gebot er Ruhe und sprach dann:

„Freunde! Hausgenossen! Man heirathet nicht alle Tage! Es ist ein Doppelfest, das wir heute feiern, ein großer, schwerer Tag für Christen Rungholt. Gott gebe seinen Segen! Dem Mann dort, Bill Lührsen aus Bremerhaven, meinem braven Steuermann, übergebe ich heute das Beste, was ich habe – meine beiden Lauren! Die blonde, lustig aufgetakelte hier, mein Herzenskind, und die alte, wieder glücklich geheilte, draußen im Hafen.“

„Grobian!“ murmelte Frau Holde.

„Du verstehst mich schon,“ unterbrach sie der Alte. „Bill Lührsen, nochmals, es ist mein Bestes, was ich Dir gebe. Halte es wohl in Ehren, steuere beide mit fester, liebender Hand, schenke der einen Dein ganzes Herz, der andern Deinen ganzen Verstand, halte beiden Mannestreue, sie verdienen es beide. Verlasse Dich auf keinen Rolf, auf kein graues Männchen – Lars, ich mein’s nicht übel – sondern nur auf Gott und Deine gesunden Sinne! Gute Fahrt mit beiden allewege, Hurrah!“

„Hurrah!“ dröhnte es im Chor gegen die Fenster. „Hurrah! Hurrah!“

Laura weinte rückhaltlos, Bill kämpfte mit der aufsteigenden Rührung, alles drängte sich herbei, die Gläser stießen zusammen, es war ein lustiges, harmonisches Klingen, und ein freudiger Duft stieg auf, vom Hafen herein tönten in schrillem Accord die Schiffssignale – da plötzlich – ein klangloser, gequetschter, häßlicher Ton wie ein kurzes Auflachen –

Jedermann hörte ihn, alles sah sich fragend an. Eigenthümlich, das fröhliche Gläsersingen war verklungen, nur der eine häßliche Ton saß jedermann im Ohre. Lars Tönningen hob sein Glas gegen das Licht und betrachtete es genau – jedermann that unwillkürlich das Gleiche – dann blickte er mit seinen scharfen, kleinen Mövenaugen auf das in Lauras Händen.

„Ein Sprung im Glase!“ sagte er, mit seinen Fingern es berührend, und sein Antlitz nahm denselben Ausdruck an wie vorhin, als er den Tod seines Rolfs erzählte.

Laura wechselte die Farbe, ihr rosiger Finger folgte dem Sprung, der durch den hellgrünen Römer sich zog.

„Ein böses Zeichen, heißt es, nicht wahr, Lars Tönningen?“

Dieser zog die dichten Augenbrauen bis unter das buschige Haar hinauf.

„Heißen thut es so; da erinnere ich mich –“

„Unsinn!“ fuhr der alte Rungholt dazwischen, „laß Deine Erinnerungen! Hast ein vortrefliches Schiff mit eisenfesten Rippen unter Deinen Füßen fast zerschellen sehen und wunderst Dich über einen Sprung im Glase – ja so, dort war ja der alte ersoffene Kater schuld und jetzt irgend ein anderer böser Geist, der nichts Besseres zu thun hat, als nagelneue Weingläser zu zerbrechen! Noch einmal, Kinder, Gott mit Euch – das vertragen sie nicht, die Lügengeister!“

Wieder klangen die Gläser und wieder der häßliche Ton.

Rungholt griff wüthend nach dem Glase Lauras, es in die Ecke zu schleudern; Bill fiel ihm in den Arm und nahm es zu sich.

Man machte sich lustig darüber, man machte den Vorschlag, alle Gläser zu zertrümmern, um den bösen Geist zu verwirren, doch die Stimmung war verdorben. Lars Tönningens Augenbrauen blieben dicht unter den Haaren stehen, er sprach kein Wort mehr. Claus, der Richter, warf auf Laura verstohlene Blicke, in denen es wie Mitleid aufleuchtete. Bill war ärgerlich erregt, er machte Laura leise Vorwürfe, daß sie nicht besser aufgepaßt habe.

Die Gläser waren das Hochzeitsgeschenk Claus’, des Richters; Bill hatte sie selbst ausgepackt und kein Fehl war daran gewesen. Laura meinte, sie habe ja kaum angetippt an die andern Gläser. Um Lars’ Mund zog sich herbes Lächeln bei dieser Aeußerung, er strich sich den grauen struppigen Bart und athmete tief auf.

Das Fest endete rascher, als man gedacht hatte, die Segenswünsche beim Abschied klangen alle so weinerlich, so furchtsam und wurden mit Leichenbittermienen gegeben.

Frau Holde endließ den Kapitän sehr ungnädig, ja, sie machte eine Bemerkung über verderblichen Aberglauben, der wohl schon manches Schiff und manchen Menschen habe untergehen lassen; dann setzte sie der Laura den Kopf zurecht, bei Bill, einem jungen Manne, hielt sie es wohl nicht für nöthig.

Allein oben in der blumengeschmückten Kammer sank Laura schluchzend an ihres Mannes Brust.

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