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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Nein, es ist kein Wunder, aber zur Steuer der Wahrheit muß es gesagt werden, der "Zahnacker" ist auch nicht allein schuld daran. Es ging nämlich so zu:


Der Umzug des Pfeiferkönigs in Rappoltsweiler.
Zeichnung von Felix Schmidt.


Als die Kreuzzüge zu Ende waren und die Ueberlebenden allmählich an ihre heimischen Sitze zurückkehrten, da blieb aus der Masse der Kreuzfahrer schließlich eine Schar unruhiger Gesellen übrig, die nach den wildbewegten Kriegsfahrten den Uebergang zu einer friedlichen, seßhaften Lebensweise nicht mehr fanden oder finden wollten. Sie vermehrten unverhältnißmäßig die Masse der „fahrenden Leute“, und ihr Treiben artete bald so sehr aus, daß sie eine förmliche Landplage bildeten und schließlich von der Kirche in den Bann gethan wurden – bei den Anschauungen des Mittelalters die äußerste Strafe, die einen Bösewicht treffen konnte. Rechtlos waren sie schon an sich nach dem Schwaben- und dem Sachsenspiegel; wurden sie von jemand beleidigt und gab der Richter ihnen recht, so durften sie doch nur den Schatten, welchen der Körper ihres Widersachers an die Wand warf, nicht diesen selbst schlagen. Der Bann der Kirche aber schloß sie vollends aus jeder menschlichen Gemeinschaft aus und bedrohte ihre Seele noch nach dem Tode mit den fürchterlichsten Höllenqualen.

Indessen fehlte es doch auch unter dieser gesetzlosen Bande nicht an besseren Elementen, die den Sinn für das Schöne und Gute nicht verloren hatten und die noch einen Schimmer von den Ueberlieferungen aus alter Zeit festhielten, da die fahrenden Sänger unter die besten Träger der edlen Minnepoesie gezählt hatten. Solche ehrenwerthe Vertreter des Standes litten natürlich schwer unter der allgemeinen Verachtung und sie suchten Abhilfe zu schaffen. Das gelang ihnen, als sie sich, einem Zuge ihrer Zeit folgend und unterstützt von dem musikliebenden Kaiser Karl IV., zu einer Bruderschaft, einer Art Zunft zusammenschlossen. Solche Bruderschaften, wie sie z. B. auch die Schäfer, die Ziegelschläger, die Kesselschmiede bildeten, erhielten dann Königsschutz und eigene Gerichtsbarkeit, indem sie irgend einem Großen des Reichs zu Lehen gegeben wurden, der ihr oberster Schutz- und Gerichtsherr wurde. Auch die fahrenden Musiker des Elsasses schlossen einen Bund dieser Art und stellten sich unter die Hut eines reichen und kunstsinnigen Herrn aus ihrem Gau; so erhielten etwa um das Jahr 1390 die Rappoltsteiner das „Königreich der Spielleute“, das ihnen vom Reichsoberhaupte bestätigt und verbrieft wurde, und Rappoltsweiler, die Stadt der Rappoltsteiner, wurde der Sitz des Pfeifertages.

Die Hauptaufgabe der Pfeiferbruderschaft war nach dem Gesagten die, das tief gesunkene Ansehen der fahrenden Spielleute wieder zu heben; die Herren von Rappoltstein sorgten auch redlich dafür, indem sie durch strenge Satzungen und strenges Gericht Unwürdige zu verdrängen oder fernzuhalten sich angelegen sein ließen – was dann seinerseits wieder die Folge hatte, daß die Kirche ihren Bann aufhob: die Pfeifer wurden an Ostern zum Abendmahl zugelassen, nur sollten sie sich vierzehn Tage vor und vierzehn Tage nach dem Genuß des Sakraments ihres „possenhaften Thuns“ enthalten. Es war der Dank der Bruderschaft, daß sie die heilige „Madonna von Dusenbach“ zu ihrer Schutzpatronin erkor, eine Huldigung, die zugleich der Kirche und den weltlichen Schirmherren galt, denn die nur eine kleine Wegstrecke von Rappoltsweiler entfernte Kapelle mit dem wunderthätigen Marienbilde im Dusenbachthale war eine Stiftung der Rappoltsteiner.

Die Rolle des Gerichtsherrn über die Pfeifer übten die Rappoltsteiner natürlich nicht in Person aus; sie übertrugen dieselbe an einem „Pfeiferkönig“, zumeist einen ihrer Hoftrompeter, der nun alljährlich am Feiertag Mariä Geburt zu Rappoltsweiler seinen Pfeifertag abhielt. Das war der Gerichts- und Festtag der „varenden Lüt“. Alle mußten sie kommen, die zur Bruderschaft gehören wollten. Wer „durch Leibs oder Herren Noth"“ verhindert war, der war gleichwohl gehalten , die „irten“ (Zehrung) zu bezahlen, „als wann er mit esse“. Und so kamen sie denn in hellen Haufen heran in den Tagen vor dem 8. September; an diesem selbst aber versammelten sich die Brüder, festlich geschmückt, vor der Pfeiferherberge, dem Gasthofe zur „Sonne“, einem Hause, das noch heute besteht und durch seinen schönen Erker die Aufmerksamkeit des Beschauers wachruft. Auf der Brust trugen sie das silberne „Vereinszeichen“" mit dem Bildniß der Madonna von Dusenbach, unter dem Arm ihr bestes „Spiel“ (Instrument). Dann ordnet sich der Zug: voran die Stadttrommelschläger, dann der „König“ mit dem Pfeifergerichte, aus Schultheis vier Meistern, dem Fähnrich, den Zwölfern und dem Weibel bestehend, endlich das übrige Volk. So geht's hinaus unter lieblichem Lärm – jeder Spielmann spielt irgend eines seiner Lieblingstücke – nach der Kapelle der Schutzpatronin, dann nach dem Schlosse des weltlichen Schirmherrn und zurück nach der Herberge in der Stadt, wo der „Zahnacker“ aus dem herrschaftlichen Keller in Strömen gespendet fließt – aber die Brüder müssen fest auf den Beinen und im Kopfe bleiben, denn nunmehr naht es, das Gericht, das schwere Strafen, oft bis zu hundert Gulden an Werth, verhängen kann und auf dem kein Frevel gegen die erlassene Ordnung, noch gegen die Ehre der Bruderschaft ungeahndet bleibt. Endlich aber löst sich der Ernst, und in dem „Herrengarten“ ergeht sich das lustige Volk bis in die frühen Morgenstunden bei Wettgesang, Tanz und allerlei toller Kurzweil.

Das war der Pfeifertag von ehedem. Er wurde gefeiert, auch als im 17. Jahrhundert die Grafschaft Rappoltsweiler die französische Oberherrlichkeit hatte anerkennen müssen und der stolze Name eines „roi des violons“, eines „Königs der Spielleute“, unter die Titel des Königs von Frankreich aufgenommen worden war. Er wurde auch noch gefeiert, als die große Revolution am Ende des vorigen Jahrhunderts mit den Zünften und manchem anderen Stuck Mittelalter auch die Pfeiferbruderschaft verschlungen hatte – jetzt freilich ohne feierlichem Gericht, nur noch als ein liebgewordenes Volksfest, als lustige „Kilbe“, zu der vergnügungssüchtiges Volk von weither herbeiströmte, ohne sich der geschichtlichen Bedeutung des Tages irgend bewußt zu sein. Der „Pfifferdaa“ ist heute noch eine volksthümliche Zeitbestimmung : „’s isch licht sachs Wucha zitter’m (seit dem) Pfifferdaa gsy“ kann man den Rappoltsweiler erzählen hören, und auf dem Rathhause des ehrsamen Städtchens gilt der Brauch, daß nach dem „Pfifferdaa“ abends Licht gemacht wird.

Schon in den vierziger Jahren wurde einmal der Versuch gemacht, den Pfeifertag durch Anregung geschichtlicher Erinnerung etwas in die Höhe zu bringen, ihn gleichsam zu veredeln; aber das Unternehmen mißfiel auf der Präfektur zu Kolmar, und so unterblieb die Sache. Erst im deutschen Elsaß sollte die Wiederbelebung der alten Sitte gelingen, dank der regen Thätigkeit der Rappoltsweiler Musikvereine und der Feuerwehr und dank der dramatischen Begabung des Rappoltsweiler Bürgers Dr. Ernst Jahn, der es verstand, ein Stück aus der Geschichte dieses Pfeifertages in die Form eines volksthümlichen Bühnenstücks zu kleiden und auf diese Weise, unterstützt von dem glücklichen musikalischen Talent eines anderen Landsmannes, H. M. Bloch, und von dem Kunstmaler Bosch aus Düsseldorf allem Volke von Stadt und Land eindringlich vor

Augen zu führen, wie es vor Zeiten gewesen. So feierte man in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 753. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_753.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2017)