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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

In ihr ist nichts mehr von Schreck und von Aufregung.

Er ist bei ihr, er hält ihre Hände fest in den seinen, er sieht sie unverwandt an, sie sind beide allein in der schönen, wonnigen Maienwelt … es sollte so sein!

Jetzt besinnt sich Delmont, läßt ihre Hände sinken, zieht den Hut. „Sie müssen mir verzeihen, ich bin zu glücklich, Sie zu sehen, wie ein holdes Wunder hier erscheinen zu sehen! Ich habe eine böse Nacht gehabt!“

„Ich auch!“ fällt sie ein, als spräche sie etwas Selbstverständliches. Seine Augen leuchten auf.

„Sie auch? Sehen Sie, Annie, ich hatte Angst, ich wußte es ja, konnte es denken, daß Sie zahlreiche Bewerber finden würden, aber ein so seltener Mann wie Conventius –“

„Ja, er ist ein seltener Mann!“ Sie giebt das zu mit strahlendem Blick und steht hoch aufgerichtet da unb sieht ihm in die Augen, ohne mit den Wimpern zu zucken.

„Ich hatte mir eingebildet, damals schon in der Kirche, als wir zwei allein waren unter den vielen, hätten Sie mich verstanden, und neulich in der Gemäldeausstellung gleichfalls, obgleich ich dort nicht sprach, nicht sprechen konnte! Ich hatte gehofft, Sie verstünden mich ohne weitere Worte, als ich Ihnen zuletzt sagte, ich würde kommen.“

„Sie hatten ein Recht, das zu denken!“

„Aber als ich nun kam und Sie nicht allein fand, da kam der Zweifel, die Angst, das Mißtrauen. Ich mag nichts beschönigen, nichts verbergen, Sie sollen mich sehen, wie ich bin! Keine weiche, liebenswürdige Natur, nein! Voll Selbstbewußtsein und Trotz und nagender Eifersucht! Ich habe meine Hand nicht ausstrecken wollen nach Ihnen, habe mir versagt, wonach meine Seele hungerte, denn ich hatte einen ernsten schwerwiegenden Grund dafür! Es half mir nichts! Alles, was ich in meinem düsteren Leben entbehrt habe an Jugend, an Glück, an Sonnenschein, das steht verlockend vor mir und zieht mich hinüber – Annie – mein Herz, mein Entzücken!“

Er hatte mit bebenden, verlangenden Händen sein Glück an sich gerissen und hielt es nun fest an seinem wildhämmernden Herzen. Mit demselben strahlenden, zuversichtlichen Blick sah Annie auch jetzt noch zu ihm empor, bis er sich neigte und die wunderschönen Augen küßte, damit sie es nicht sehen sollten, wie er mit den Thränen kämpfte.

Es blieb lange still. Wankende Goldlichter irrten über die beiden hin durch die kleinen grünen Blätter, über welche der Wind hinstrich. Noch erzeugte er nicht das majestätische Brausen, das wie Meeresbranden in den voll belaubten Wipfeln klingt. Ein heimlicher Flüsterton war’s nur, wie wenn die Natur es noch nicht wagt, laut zu reden, gleich den beiden Herzen, die auch noch kein Wort fanden für ihr großes Glück.

Unter ein paar knorrigen, noch spärlich belaubten Eichen stand eine niedrige Steinbank. Zu der führte Delmont seine junge Braut, aber er nahm nicht Platz an ihrer Seite. Ihr zu Füßen kniete er nieder ins weiche Moos und legte ihre weiche Hand auf seine Stirn, über seine Augen, preßte sie an seine heißen Lippen. Eine seltsame Demuth war über den stolzen, eigenwilligen Mann gekommen, es war, als überwältigte ihn sein Glück, und als Annie schüchtern zu reden begann, hörte er ihr stumm zu, und endlich sagte er mit einer von innerer Bewegung gänzlich umflorten Stimme:

„Du mußt verzeihen, ich kann noch nichts ordnen, nichts denken. Ich – und Glück! Ich hab’ mir’s versagen wollen, versagen müssen – nun hab’ ich mir selbst mein Wort gebrochen, bin treulos geworden gegen mein eigenes Ich! Es ist alles in mir aus den Fugen – wer immer im Dunkeln war … wie soll den die Sonne nicht blenden? Laß mich hier still so liegen; wie soll ich Dir sagen, wie es mir ums Herz ist? Ein anderer soll für mich sprechen, ein Dichter! Vielleicht kennst Du es, was Rückert zum Schluß seines ‚Liebesfrühlings‘ sagt!“

Er legte sein Haupt auf ihre Kniee und schloß die Augen, während er sprach:

„Mir ist, nun ich dich habe,
     Als müßt’ ich sterben.
Was könnt’ ich, das mich labe,
     Noch sonst erwerben?
Mir ist, nun ich dich habe,
     Ich sei gestorben.
Mir ist zum stillen Grabe
     Dein Herz erworben.“

Seine Stimme war tonlos geworden bei den letzten Worten – nun schwiegen sie beide, und um sie her war geheimnißvolles Frühlingsweben!




10.

„Wilhelm, was wollte der Herr Direktor von Dir? Doch nichts Unangenehmes vorgefallen?“

Frau Christine Remmler, eine zarte Gestalt im Anfang der vierziger Jahre, mit einem farblosen, gutmüthigen Gesicht, trug ihrem Mann eine kurze gestopfte Pfeife und einen Topf mit Kaffee an den Tisch; dazu sah sie ihm besorgt nach den Augen.

„Nein, nein, Tinchen! Kannst ruhig sein! Ich thu’ meine Pflicht, das wissen der Herr Direktor, daher kommen wir zwei auch nicht aneinander. Er hat mir bloß zu wissen gethan, daß heut für Nummer achtundfünfzig Blumen ankommen sollen.“

„Nummer achtundfünfzig? Das ist ja doch der Schönfeld?“

„Ja, der Schönfeld!“

„Und dem wollen sie Blumen aufs Zimmer stellen?“

„Ja, – Blumen!“

Die Frau schlug die Hände zusammen.

„Mann, ich bitt’ Dich. sitz’ nicht so da wie ein Oelgötz’ und laß’ Dir die Worte buchstabenweis’ aus dem Munde ziehen! Sag’ mir, was Du weißt! Hat er irgendwo eine Liebste?“

Remmler nahm einen Schluck Kaffee zu sich und that ein paar heftige Züge aus seinem Pfeifchen.

„Ihr Weiber, Ihr! Immer gleich Liebschaften! Nein, da kennst Du den Direktor schlecht, zu so was giebt der sich nicht her, wär’ auch gegen jedes Reglement! Die Liebste, die auf Nummer achtundfünfzig die Blumen schickt, das ist unser neuer Prediger, und aus guter Meinung thut er das! Er will nicht haben, daß die arme, verlorene Sünderseele so mir nichts dir nichts in die Hölle fährt, und darum wirbt er um sie, als wär’s wirklich seine Liebste. Ich hab’ ja auch schon Bücher von ihm hintragen müssen!“

„So? Davon hast Du mir aber nichts gesagt, Wilhelm!“

„Zu was soll ich Dir alles erzählen? Damit es die Webern und die Bartschin und die Winzern nach zehn Minuten erfahren?“

„Warum nicht gar die Bartschin! Nein, die Bartschin schon gar nicht, mit der hab’ ich mich Mittwoch erzürnt, und die Winzern ist ein Plappermaul!“

„Hm!“

„Was hat denn der Schönfeld gesagt, wie Du ihm die Bücher brachtest?“

„Der – und sagen! Und zu mir noch! An mich wendet der nicht viel, der hat’s mit der höheren Bildung, in dessen Augen bin ich doch bloß eine ganz ordinäre Kreatur. Ein Schließer beim Gefängniß und ein – wie sagen sie doch gleich? – ein Parteiführer! Ja, aber diesmal hat er doch was verlauten lassen, gefragt hat er, ob der Herr Prediger denn nicht wiederkäme!“

„Ach du liebe Zeit! Dann will er sich gewiß von seinen Sünden bekehren lassen!“

„Na, danach hat er mir gar nicht ausgesehen; ich will Dir’s sagen, was es bei ihm war: neugierig ist er! Wie ich neulich die Gefangenen im Hof ihren gewöhnlichen Gang machen ließ, – natürlich Nummer achtundfünfzig abgesondert von den anderen, als schwerer Raubmörder, – da hat er zufällig gehört, wie zwei zusammen über unseren neuen Herrn Pfarrer sprachen, daß er ein Adliger und mit seinem Vater und der ganzen vornehmen Verwandtschaft entzweit wär’, weil er hat geistlich werden wollen und nicht Offizier, bloß um deswillen, weil er den lieben Gott über alles setzt und ihm allein dienen will, und wie er so schön ist und gut und jedem Armen überreichlich giebt, und wie er mit seiner Rede den Leuten kann das Herz herumdrehen – und so allerhand noch von ihm – da hat Nummer achtundfünfzig den Kopf hingedreht und zugehorcht, das sah ich wohl, und nun möcht’ er gern den geistlichen Herrn wiedersehen – siehst Du wohl!“ –

Ein scharfer Glockenzug setzte Remmlers Rede ein Ziel; Frau Christine ging durch das große, saubere, zweifenstrige Zimmer in ihre kleine Küche und schloß die Thür auf.

Ein Dienstmann mit einem großen Tragkorbe trat ein und begann unverweilt auszupacken – Blumen, nichts als Blumen, eine ganze Flora, ein Stock immer schöner als der andere.

Frau Remmler schlug wieder die Hände zusammen.

„Nein, aber die Pracht! Mann, so komm’ doch und sieh!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_744.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)