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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Ich will Deinen Rath befolgen, Fritz! Gleich morgen will ich hingehen!“

„Du wirst sehr wohl daran thun! Setz’ nur voll ein mit Deiner ganzen Persönlichkeit – die Sache will’s!“

„Du hast recht, und ich danke Dir! Guten Abend!“

Die Vettern drückten einander mit einem bedeutungsvollen Blick fest die Hände. Unter der Thür stieß der Pfarrer auf die Hünengestalt des Rittmeisters Thor von Hammerstein, der mit einer Entschuldigung zurückprallte.

Der Ulanenlieutenant war aufgestanden, zog den neuen Gast ohne weiteres über die Schwelle und rief dem Davongehenden ein frisches: „Glückzu!“ nach.

„Warum wünschtest Du Deinem Vetter Glück?“ fragte Thor, während er gemächlich seinen Säbel loskoppelte.

Fritz faßte ihn bei den Schultern und starrte ihm mit vielem Ernst ins Gesicht.

„Dich nannt’ ich thör’ger Reiner.
 ‚Fal Parsi, –‘
Dich, reinen Thoren, ‚Parsifal!‘
 So rief, da er –“

„Wenn Du doch einmal Deinen Unsinn lassen möchtest!“ knurrte der andere mürrisch und machte sich los. „Ich meine nur, dieser Vetter ist ohnehin ein Glückspilz: schön, reich, von gutem Namen, ausgezeichnete Carrière vor sich – was soll man dem noch wünschen?“

„Nun – so beiläufig etwa! – eine passende Frau!“

„Frau! Das ist’s! Eben darum komme ich –“

„Wegen Reginalds zukünftiger Frau?“

„Narrheit! ’s handelt sich nicht um ihn! Ich – hast Du etwas Trinkbares?“

„Alten Sherry.“

„Meinetwegen! Gieb ihn her! Du nicht? Na – also –“ Thor goß sich sein Glas voll, trank es auf einen Zug leer und füllte es bedächtig von neuem. „Du bist ja da im Hause so rasch Liebkind geworden, bist auch ein netter Kerl, – also – hast Du etwa ernste Absichten?“

„Merkwürdig, wie sich heute die Menschen um meine Herzens-Angelegenheiten bemühen,“ dachte Fritz von Conventius; laut fragte er: „Absichten? Auf wen überhaupt?“

„Stell’ Dich nicht dumm an, – Du weißt ganz gut, wen ich meine,“ – Thor zeigte mit dem Daumen rückwärts über seine Schulter, als stände die betreffende Persönlichkeit hinter ihm – „Du weißt es ebenso bestimmt wie ich, daß ich Fräulein Gerold im Sinne habe!“

„Die ältere Schwester oder die jüngere?“

„Aber zum Donnerwetter!“ brach Thor los. „Kannst Du denn nicht vernünftig reden? Ich will wissen, ob Du da Dein Glück versuchen willst – auf eigene Hand?“

„Und wenn ich nun wollte?“

„Dann wär’s natürlich für mich aus – Du hättest mehr Aussicht, – bist von anderem Kaliber als ich, – gefällst den Weibern besser –“

„Na, Thor, lassen wir das! Wenn’s Dich trösten kann: ich will für eigene Rechnung dort nichts haben – Du brauchst mir darum noch nicht die Hand aus dem Gelenk zu reißen – aber, alter Kerl, ob’s Dir darum dort glückt ...“

„Du meinst, sie ist zu klug für mich, – übersieht mich, – was? Daran ist diese verrückte alte Schwester mit ihrem Gelehrtenkram schuld –“

„Erlaube ’mal, Parsifal, – die Schwester ist wirklich nichts weniger als verrückt!“

„Dann ist sie verdreht, das ist so ziemlich dasselbe! Könnte sie dies schöne Mädel nicht in Ruhe lassen? Muß sie sie mit Gewalt geistreich machen?“

„Geistreich machen läßt sich kein Mensch, mein Alter! Wenn das so ginge, – da möchte mancher kommen!“

„Na, ich meine all das Zeug von Philosophie und Kunstgeschichte und Naturwissenschaft, – ein Mädel, wie das eins ist, braucht das im Leben nicht, – das ist für die häßlichen, sitzengebliebenen –“

„Alte Litanei!“ unterbrach ihn der Lieutenant ungeduldig. „Das kennen wir schon! Meiner unmaßgeblichen Ansicht nach schadet es einer schönen Frau eigentlich nicht, wenn sie nebenbei auch noch klug ist und einen gebildeten Geist besitzt! Aber das alles beiseite, – nicht um mich handelt es sich hier, – und – und ich fürchte, es wird sich auch nicht um Dich handeln –“

„Warum nicht?“ Thor strich herausfordernd den rothen Schnurrbart. „Wenn man auch kein Adonis ist, – ein Ulanenrittmeister mit Vermögen und von altem Adel ist am Ende kein Pappenstiel –“

„Gewiß nicht – aber solch’ ein Mädchenherz trifft zuweilen eine absonderliche Wahl! Da ist ein gewisser Professor Delmont, – ein Maler –“

„Ach, – der!“ Thor erhob sich und stieß mit einer gleichgültigen Gebärde seinen Stuhl zurück. „Solch ein Farbenreiber, – mit dem hat’s keine Gefahr, – da kann unsereiner es getrost drauf ankommen lassen! Hat er nicht ein Bild ausgestellt, – was war’s doch gleich?“

„‚Der Engel des Herrn‘ – vom Wiener Kunstverein für fünfzigtausend österreichische Gulden angekauft, – der Mann hat ein schönes Vermögen erworben und eine jährliche Durchschnitts-Einnahme von etwa dreißigtausend Mark!“

„Alle Wetter! Aber meinst Du denn, daß das bei einem Mädchen wie dies so schwer ins Gewicht fallen dürfte?“

„Wenn dies Mädchen die heute übliche windige Töchtererziehung erhalten hätte, dann dürfte ihr dieser Umstand von ungeheurer Wichtigkeit sein. Dank der Leitung einer Thekla Gerold aber, die ihrer Schwester etwas weitere Ziele und Gesichtspunkte gesteckt hat –“

„Aha, das soll auf mich gehen!“ murrte der Rittmeister. „Der Hieb sitzt! Lassen wir ihn sitzen, und hören wir weiter! Die junge Dame ist selbst sehr vermögend, – reich sogar, – was wird ihr denn da so ungeheuer imponieren?“

„Vielleicht der Mann selbst und sein Genie!“

„Hm!“ Thor drehte sich schwerfällig herum und langte nach seinem Säbel. „Und was räthst Du mir nun?“

„Geh’ hin, Bethörter, suche Dein Heil!“ sagte der Lieutenant pathetisch. „Und, was Du thun willst, thue bald! Und noch eins: mach’ Dich lieber zum voraus so auf – – auf dies und jenes gefaßt. Bei solchen Angelegenheiten ist’s allemal gut, gesattelt zu sein! Man kann doch nie wissen! Das Leben wird’s Dich gerade nicht kosten, wenn sie Dich ausschlägt, – hm?“

„Allzuviel Muth machst Du mir nicht, das muß wahr sein! Und ich hatte gedacht, … na, … einerlei, was ich gedacht hatte! – Adieu auch!“

Der lange Rittmeister klirrte zur Thür hinaus. Den jungen Lieutenant mußten die zwei Beichten erstaunlich angegriffen haben; er setzte sich wie ein schwermüder Mann vor seinen Arbeitstisch und sprach leise vor sich hin:

„Guter Kerl, der Thor, – aber ein Tapir! Auch einer von denen, die der unerschütterlichen Meinung sind, ein Kavalleriesäbel thäte es bei allen Weibern! Wird bald besser belehrt werden, – geht nicht dran zu Grunde, – kann schon was aushalten! Aber Regi! Vielleicht, daß sie doch – wer lernt bei den Mädels aus! Daß ich mich soviel drum kümmern muß, ob andere Leute ’ne Frau kriegen! Hab’ selbst nicht ’mal eine! – – Komm her, Julchen!“

Julchen fuhr aus ihrem Winkel empor, schmiegte sich an ihres Herrn Kniee und ließ sich von ihm den glatten Kopf streicheln.

„Sollen wir auch heirathen, was, Julchen? So eine nette, niedliche, blonde Frau, die uns gute Bissen giebt und uns liebevoll behandelt? Ich glaube, wir können es haben, Julchen, wenn wir es sehr gern wollen, – wir können es haben!“ – – –




8.

„Heute!“ sagte Annie Gerold vor sich hin, – „heute!“ – –

O hoffendes junges Menschenherz mit deinem stürmischen Schlagen! Sei nicht so ungeduldig, schilt nicht die schleichende Zeit! Sie geht vorwärts, jetzt wie alle Tage, – dem einen entschwindet sie bleischwer, langsam, den andern trägt sie wie auf Flügeln dahin! Auch für dich, frohes, glückliches Herz, kommt rasch die Stunde, da du auf das, was jetzt dein „Heute“ heißt, zurückblickst, wehmüthig, reuevoll, daß du es nicht verstanden hast, die Vorfreude recht zu genießen, sie, die oft die reinste Gabe ist von allem, was das Schicksal uns bietet! –

Thekla hatte einen bösen Nerventag, sie lag abgespannt in ihrem Sessel, die wachsweißen Hände gefaltet, zu elend, um die neuen philosophischen Schriften zu lesen, die der Buchhändler ihr geschickt hatte. Sie lagen unaufgeschnitten auf dem Tisch, der das unberührte Frühstück trug, und die matten Augen der Kranken sahen wehmüthig in den hellen Sonnenschein, der wie lichtes Gold auf allem lag. Und neben ihr Annie, ihr rastloses „Heute“ im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_714.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)