Seite:Die Gartenlaube (1890) 701.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


ab und hüllte das Kind hinein, das schon im Nachtkleidchen war; ihr Mann sah regungslos zu.

„Nun kommt!“ bat sie.

Wir gingen hinunter. Die Menge war hinter dem Armen dreingelaufen, der nach dem Rathhause geführt wurde; unsere Straße lag still und menschenleer.

Was mochte in dem Herzen des Mannes vorgehen, der da neben mir schritt? Elisabeth war voraus; so leichtfüßig ging sie durch den klaren Mondenschein, als trüge sie keine Bürde. Wir langten vor dem Hause an; er trat hinzu und öffnete seiner Frau die Thür. „In Gottes Namen denn!“ hörte ich ihn sagen.

(Fortsetzung folgt.)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Hugo Thimig,

der Truffaldino des Wiener Burgtheaters.

Kein Beruf scheint leichter als der des Komikers. Sowie sich die lustige Person auf der Bühne nur zeigt, kommt ihr die lachlustige Stimmung der Zuschauer aufmunternd entgegen. Und nicht umsonst trug der Spaßmacher fast aus aller Herren Ländern von altersher den Namen des Leibgerichtes der Bevölkerung mit sich fort: aus England stammte Jack Pudding, aus Frankreich Jean Potage, aus Italien Signor Maccaroni, aus den Niederlanden Pickelhering und Stockfisch, aus dem Reich Hans Wurst, aus der österreichischen Hauptstadt gelegentlich gar noch Hans-Pluntzen (Blutwurst) oder Hans-Carminadel (Carbonnade) – denn nichts mundet der Menge besser als Schwänke und Possen. Die Menschen wissen jedem Dank, der sie rechtschaffen aufheitert. Herzhafter, immer und überall wirksamer Humor wird nun freilich leichter gewünscht als zum besten gegeben; denn mit Ort und Zeit wandelt sich der Geschmack, verfeinern sich die Ansprüche der Hörer, und dauernder Erfolg wird auch im Dienst der heiteren Muse nur demjenigen zutheil, der es so ernst als möglich nimmt mit seiner fröhlichen Aufgabe. Das erkannte schon der erste große Wiener Hanswurst, Joseph Stranitzky, der, gut zwei Menschenalter vor der Begründnug des Burgtheaters durch Kaiser Joseph, der Reichshauptstadt – 1708 – ein stehendes deutsches Theater beschied und dabei die denkwürdige Losung ausgab: „Die Bühne soll so heilig sein wie der Altar und die Probe wie die Sakristei.“ Seine Lehre und sein Beispiel blieb unvergessen. Auf der Volksbühne wie auf dem Burgtheater behaupteten sich nur solche Humoristen in der Gunst der Wiener, die glückliche Naturanlagen in strenger Künstlerarbeit übten und immer erquicklicher entfalteten. Keiner der Trefflichen, die von Prehauser und Raimund bis auf Martinelli und Girardi als Volksschauspieler, von La Roche und Fichtner bis auf Baumeister und Gabillon als Hofschauspieler, Behagen und Frohsinn um sich verbreiteten, ist über Nacht geworden, was er war oder ist: jeder hat sich unverdrossen und mühsam Schritt für Schritt Geltung und Stellung erobern müssen.

Hugo Thimig als Truffaldino.
Nach einer Photographie von Otto Schmidt in Wien.

Nicht anders erging es einem Dresdener Kind, Hugo Thimig, der in verhältnißmäßig jungen Jahren die Herzen der Wiener gewann. Auch ihn schuf die Natur selbst zur „lustigen Person“: er versteht es, munter zu sein und munter zu machen. Allein seine schönsten Erfolge dankt er, vielleicht mehr noch als seiner angeborenen, unversieglichen Laune, rastlosem Fleiße, unablässigem Studium. So hat er sich aus bescheidenen Anfängen rasch zum würdigen Nachfolger von Beckmann und Meixner, aus einem Schüler des Burgtheaters zu einem Meister aufgeschwungen, dessen Namen neben den ersten der alten und neuen Garde in Ehren besteht. So viel auch ein freundliches Geschick für ihn gethan: sein Bestes vollbrachte doch nur die eigene, tapfer aufstrebende Kraft.

Schon im Elternhause sah er, wie viel man mit redlichem, stetigem Bemühen leisten könne. Sein Vater, ein gelernter Handschuhmacher, hatte in seiner wackeren Frau eine werkthätige Gefährtin gefunden; dank ihrer Emsigkeit und Sparsamkeit kamen die beiden allmählich aus den engsten Verhältnissen zu behaglichem Wohlstand. 1854 wurde Hugo Thimig als letztes von vier Geschwistern, ein Spätling, geboren. Eine sonnige Kindheit war dem Kleinen vergönnt; der Vater war ein kerniges Original, dessen gesellige Talente ihn zum willkommenen Gast in jedem Kreise machten; die Mutter, schüchtern und ceremoniell im Verkehr mit Fernerstehenden, war daheim mit allen „Humoren“ des Alten innig verwachsen. So hörte unser Künstler viel von Herzen lachen von Jugend an. Die Gesundheit des Kindes ließ zu wünschen übrig, und deshalb kam der kränkelnde Kleine zu einem Landpfarrer, bei dem er von seinem zehnten bis dreizehnten Jahre blieb. Der fabulirende Sinn des Knaben, der sich schon hier mit einer Welt des Scheines umgab und die Söhne des Hauses und einige Mitpensionäre zu Darstellern seiner verwegenen Phantasien heranzog, fand wenig Verständniß bei dem braven Pastor, den ein unheilbares Uebel hart und zornig gemacht hatte. Dieser ersten Leidensschule folgte als zweite eine Lehrlingszeit in einem großen Dresdener Materialwarengeschäft. Ein unbestimmter Drang nach freier, künstlerischer Thätigkeit erfüllte das Gemüth des Jungen; nicht umsonst hörte er zu Hause von den großen Zeiten der Dresdener Bühne, von den Namen Burmeister, Pauly, Devrient und Dawison schwärmen; er schaute zu den Theaterleuten wie zu höher gearteten Geschöpten hinauf und lief oft im Sturmschritt durch wegabschneidende Quergäßchen, nur um von einem sicheren Posten aus die ganze nichtige Größe eines Dritten oder Vierten der Hofbühne heranwogen zu sehen. Den Gedanken, sich selbst dem Theater zuzuwenden, getraute sich der Knabe aber damals noch nicht zu fassen. Die Eltern empfanden indessen Mitleid mit seinen Berufsschmerzen: nach anderthalbjähriger Haft unter dem Schurzfell durfte er die Handelsschule besuchen. Und hier fand er in einem trefflichen, litterarisch wohlgebildeten Lehrer, Dr. Semmler, den Führer, der ihm eine neue Welt erschloß. Als kundiger Mentor las er mit seinen Zöglingen den „Zerbrochenen Krug“ von Kleist. Und wenn der junge Thimig da auch zum ersten Male durch eine Rollenbesetzung gekränkt wurde, weil ihm der Schreiber Licht und nicht der Dorfrichter Adam zugetheilt wurde: von Stund’ an war er entschlossen, Schauspieler zu werden. Die Eltern wurden, durch allerlei mimischen Schabernack seit seiner frühesten Kindheit ergötzt, von seiner Erklärung nicht allzusehr überrascht. Gleichwohl hielten sie ihm mit mildem Ernst die Gefahren des Standes, wie sie dem ehrenfesten Bürgerthum aus der Ferne sich darstellen, vor; zuguterletzt gaben sie dem geliebten Sohn aber mit gemischten Gefühlen der Besorgniß und des heimlichen Stolzes ihren Segen auf den neuen Weg und bewahrten ihn überdies fürsorglich vor allen Entbehrungen, die sonst wohl die Anfängerschaft mit sich bringt.

So trat er denn eines Tages klopfenden Herzens in das Studierzimmer seines Ideals, des Dresdener Charakterkomikers Ferdinand Dessoir, mit der Bitte, ihn als Schüler anzunehmen; dabei muß der ängstliche Novize nicht den Eindruck eines Himmelstürmers gemacht haben; als er aber versicherte, daß er die Unzulänglichkeit seiner Begabung wohl kenne und sich schon mit der Erreichung eines bescheidenen Künstlergrades begnügen wolle, donnerte ihm Dessoir die Worte entgegen: „Unsinn! Nur über Leichenhaufen umgespielter Kollegen führt der Weg beim Theater empor!“

„Nun gut,“ lautete die elegisch geseufzte Erwiderung, „dann also über Leichenhaufen!“

Dessoir fand an bem naiven Humor dieser Antwort so viel Gefallen wie späterhin an der Bildsamkeit seines neuen Jüngers.

„Ich kann Dich nur lehren, was Du auf der Bühne vermeiden, was Du dort thun sollst, kann Dich nur der liebe Gott lehren,“ meinte Dessoir eines Tages. Und mit dieser weisen Regel warf er den Schüler ins Wasser, um schwimmen zu lernen, d. h. er schenkte Thimig ein Paar alter Ritterstiefel, einen dito gestickten Kragen, sowie eine stolz wehende Straußenfeder und vertraute ihn der kleinen Wandertruppe des Direktors Schiemang an.

Am 15. Oktober 1872 spielte unser Künstler zum ersten Male in Bautzen auf einer wirklichen Bühne den Lancelot Gobbo im „Kaufmann von Venedig“. Und nun galt es ernstlich zu schwimmen, denn die Brandung des Repertoires warf ihn auf „Kunstreisen“ bis Ende April 1873, also in sechseinhalb Monaten in Bautzen, Kamenz, Zittau und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 701. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_701.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2023)