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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Fürsten zahlten ebenfalls entweder einmalige Beiträge oder Jahrgelder; reiche Franzosen gaben ihr Vermögen her, wie Calonne das seinige, das nach Millionen zählte. Außerdem wurde bei Fürsten, Bankiers und Privatleuten geborgt. Im Jahre 1792 verausgabten die Prinzen 25 300 000 Franken, wovon der Hofhalt und die Diplomatie 1 300 000, das Heer 19 Millionen beanspruchte; der Rest wurde durch die Kosten des Uebermittelns und Wechselns von Geldanweisungen und barem Gelde verschlungen. Die größere Hälfte dieser Summe war geliehen. Selbst die Herstellung von falschen Assignaten, welche die Prinzen als einen erlaubten Akt der Nothwehr gegen die Einziehung der Güter in Frankreich ansahen und eifrig betreiben ließen, half ihnen nicht auf. Im November 1792 wurde der Graf von Artois, der spätere König Karl X., zu Maestricht in Schuldhaft genommen. Die Schulden wurden erst nach der Rückkehr der Bourbonen auf den Thron und auch dann nicht vollständig bezahlt.

Das Emigrantenheer, das sich in der Stärke von 20 000 Mann um die Grafen und um den Prinzen von Condé am Rhein sammelte, erwies sich als wenig brauchbar. Es gab zu wenig kriegserfahrene Führer, zu wenig gemeine Soldaten, zu viele Offiziere und endlich zu viele Offiziersaspiranten, die, ohne Offizierstellen erhalten zu können, doch den Anspruch auf solche erhoben und sich nur murrend und krittelnd darein fügten, vorläufig Gemeine zu sein. Die jungen Edelleute prahlten und paradierten und freuten sich der Lorbeeren, die sie im Felde erringen würden; dabei wurden sie so unbotmäßig, daß binnen acht Monaten zweihundert von ihnen durch förmliche lettres de cachet, Verhaftsbriefe, wie man sie früher für die Bastille ausstellte, auf Ehrenbreitstein gefangen gesetzt wurden. Die Truppen wurden bei Beginn des Feldzuges im Sommer 1792 in drei Heereskörper getheilt, welche sich, geführt vom Prinzen von Condé, dem Herzog von Bourbon und den beiden Prinzen, den in Frankreich einrückenden österreichischen und preußischen Heeren anschlossen. Der Feldzug war nicht sehr rühmlich für diese deutschen und französischen Verbündeten, auch nicht für die von ihnen bekämpfte Armee Frankreichs, obwohl diese Siegerin blieb. Von den Emigranten kamen nur wenige ins Gefecht; wer von ihnen den französischen, seit dem September 1792 republikanischen Truppen in die Hände fiel, wurde erschossen.

Die Emigranten litten durch Mangel an Nahrung und Kleidung, durch Regengüsse und Nachtwachen, durch Anstrengungen und Krankheiten dermaßen, daß ihr Heer, als es, von den Republikanern verfolgt, nach ungeheuren Verlusten wieder nach Deutschland kam, dem nicht unähnlich sah, welches zwanzig Jahre später aus Rußland zurückkehrte. Von den deutschen Städtern und Bauern gehaßt und bedroht, tödteten manche Emigranten sich selbst. Die Truppenkörper lösten sich gegen Ende des Jahres 1792 auf. Einige Regimenter gingen in holländische Dienste. Condé behielt noch einige Tausende um sich, die erst in österreichische, dann in russische und endlich in englische Dienste traten und deren letzte Reste auf Malta und in Portugal für England stritten. Nur ein kleiner Bruchtheil dieser militärischen Emigration sah die Heimath wieder.

Das siegreiche Vordringen der republikanischen Heere vertrieb die Emigranten, welche sich in den deutschen Rheinlanden und in Belgien niedergelassen hatten, weiter in das mittlere und nördliche Deutschland und nach England, und die Mittellosen und Mittellosgewordenen unter ihnen, deren Zahl sich im Laufe der Jahre vermehrt hatte, schlugen sich durch, wie es eben ging. Viele sahen sich gezwungen, ihre letzten Habseligkeiten von Werth, wie goldene und silberne Geräthe, Juwelen und Spitzen, zu veräußern. Sie mußten noch froh sein, wenn die staatlichen und städtischen Behörden, die es mit den Machthabern in Frankreich nicht verderben wollten, oder die der Fremden überdrüssige einheimische Bevölkerung sie nicht von Ort zu Ort trieben. Wie schwer diese Verfolgungen, Entbehrungen und Demüthigungen von den am meisten davon betroffenen Familien des hohen Adels empfunden wurden, wird erst ganz verständlich, wenn man sich der Stellung erinnert, welche diese Familien im alten Frankreich einnahmen. Der hohe Adel hatte trotz des Erstarkens der ihn mehr und mehr einengenden französischen Königsmacht immer noch Vorrechte, die ihm wenigstens in Aeußerlichkeiten eine fürstliche Stellung gaben. Ein französischer Herzog dünkte sich einem deutschen Herzoge, etwa dem von Braunschweig, ein französischer Marquis einem deutschen Markgrafen, etwa dem von Baden, mindestens ebenbürtig, wenn nicht überlegen. Daß auf manchen französischen Adelsgütern die Bauern nachts die Froschteiche peitschen mußten, damit die Frösche den Schlaf der Herrschaft nicht störten, ist keine Fabel. Die hohe französische Gesellschaft galt auf dem Festlande als die erste und tonangebende, und in der Verfeinerung der Lebensgenüsse war sie vielleicht die anspruchsvollste und verwöhnteste. Kein Wunder, daß diese Gesellschaft den Gegensatz von Einst und Jetzt bitter schmerzlich empfand!

In Hamburg, das wegen seiner Entlegenheit von den Kriegsschauplätzen eine mit Vorliebe aufgesuchte Zufluchtsstätte bot, sah man eine Gräfin von Neuilly einen Laden mit Modewaren, fertiger Wäsche und Parfümerien einrichten. Ein Marquis von Romans und eine Gräfin von Asfeld legten gemeinsam eine Weinhandlung an. Ein Herr von Milon übernahm die Küche in einem großen Gasthofe. Einige vertriebene Geistliche verkauften gedruckte Lieder und sangen sie auf den Straßen, auf die Mildthätigkeit der Zuhörer bauend. Zwei Edelleute, Ritter des Ludwigskreuzes, vermietheten sich als Hafenarbeiter. Eine Frau von Tessé, aus dem Hause Noailles, war noch bemittelt genug, um nicht weit von Hamburg eine große Milchwirthschaft einzurichten, ein Erwerbszweig, worin dann noch eine größere Zahl von ärmeren Schicksalsgefährten und -Gefährtinnen beschäftigt wurde. In Erlangen war ein Herr von Vieuxville Kommissionär, ein Herr von Mailly Buchdrucker, und ein Herr von Coigneux lernte die Schuhmacherei. In Bamberg hielt eine Marquise von Guillaume ein Kaffeehaus, und die Schönheit ihrer Tochter lockte zahlreiche Gäste an. In London sah man als bezahlte Komödianten Herren auftreten, die ihren Stammbaum bis zu den Kreuzzügen zurückführten. Eine Marquise von Chabannes hielt dort eine Kleinkinderschule, und eine Gräfin von Boisgelin gab Klavierstunden. Anderswo war eine Gräfin von Périgord Lehrerin, eine Marquise von Vivieu Näherin, eine Frau von Lamartinière Stopferin, eine Marquise von Jumilhac Wäscherin und eine Herzogin von Guiche Krankenwärterin. Fertigkeiten und Beschäftigungen, die als Liebhaberei in glücklicheren Tagen die Mußestunden ausgefüllt hatten, wurden jetzt, zur Meisterschaft ausgebildet, zu einer Erwerbsquelle. Die Damen fertigten und verkauften Stickereien, Putzwaren, Papparbeiten, Malereien und Haararbeiten. In einigen Städten erleichterten Vereinigungen der Ortsangehörigen den Verkauf dieser Handarbeiten, wie z. B. in London, wo überhaupt für die Emigranten viel geschah, ein großer Bazar dafür eingerichtet und mit erheblichem Gewinn verwaltet wurde. Hochadlige Herren waren Fechtlehrer, Tanzlehrer, Köche, Liqueurfabrikanten, Buchhalter oder Hausirer. Nicht immer waren die Beschäftigungen, denen die Emigranten sich hingaben, „eingestehbar“. Es gab einige Leute unter ihnen, die sich von Paris aus dafür gewinnen ließen, ihre Schicksalsgefährten zu beobachten und über sie zu berichten, also Spionendienste zu thun. Andere fertigten, dem Vorgange der Prinzen folgend, Assignaten, und von den Damen in London, Brüssel, Rom und Koblenz waren einige „Verkäuferinnen von Küssen“. Gingen manche Emigranten zu Grunde, blieben Streit und Mißmuth unter ihnen nicht aus, so konnte man doch noch häufiger beobachten, daß sie sich durch freundliches Zusammenhalten und Frohmuth ebenso sehr auszeichneten wie durch Genügsamkeit und Findigkeit. Die altfranzösische Lebenslust bewährte sich und behauptete ihr Recht; das eigene Leid suchte man hinwegzuscherzen und hinwegzuspotten, man klagte nicht, und die Leidenden suchte man zu erheitern.

Die Jakobiner in Paris empfanden es als eine Genugthuung, wenn sie den früheren Gutsunterthanen adliger Familien davon Nachricht geben konnten, daß die einst so anspruchsvolle Herrschaft zu gewöhnlichen und erniedrigenden Dienstleistungen gezwungen sei. Von vielen einst angesehenen Emigranten kannte man freilich den richtigen Namen nicht, und ihre Spur ging verloren; manche verheimlichten ihren Namen selbst vor ihren Landsleuten und führten einen angenommenen; zuweilen erfuhr man erst nach ihrem Tode, wer sie gewesen waren.



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