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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Welken am Saume und längs der Nerven und nehmen sich von fern wie rothe, violette und scheckige Blüthen aus. Das Farbenspiel in der Alpenregion wird noch dadurch wesentlich gehoben, daß es an breiten Flächen mit dunklen Tönen nicht fehlte. Die Zahl der immergrünen Gewächse ist dort eine verhältnißmäßig große, und insbesondere erhalten mehrere jener Arten, welche bestandbildend auftreten, ihr grünes Laub unter der lange dauernden winterlichen Schneedecke bis in die Vegetationsperiode des nächsten Jahres. Die Bestände aus Legföhren, die Gestrüppe der Alpenrosen, die Gruppen der schwarzfrüchtigen Rauschbeere und die schimmernden Teppiche aus der immergrünen Bärentraube bringen mit ihren dunkelgrünen Farben eine gewisse Ruhe in das bunte Gewirr.“

Das reizende Schauspiel der Verfärbung des sommergrünen Laubes in der alpinen Region erstreckt sich in der Regel nur auf 14 Tage. Dann lösen sich die bunten Blätter von den Zweigen und Zweiglein ab, und bald breitet sich eine dichte, bleibende Schneelage über das Hochgebirge aus. „Die Kämme, Halden und Mulden, auf welchen kurz vorher noch feuriges Roth und helles Gelb zwischen den dunklen Legföhren und Alpenrosen aufflammte, heben sich jetzt mit blendendem Weiß vom winterlichen Himmel ab.“

Den Tropen fehlt die Pracht der Laubverfärbung. Der Herbst dauert dort überhaupt nur eine kurze Zeit. Auf die Regenzeit folgt in raschem Uebergang der sengende Winter und die meisten laubwerfenden Bäume verfärben sich nicht, ihre Blätter fallen noch grün von den Zweigen.

Wenn uns der Anblick der herbstlich geschmückten Wälder und Berglandschaften mit Entzücken und Bewunderung erfüllt, so ruft der gleichzeitig auftretende Laubfall wehmüthige Stimmungen in unserer Seele hervor.

„Ein Herbsttag gießt über uns das Verständniß des Scheidens aus,“ sagt Roßmäßler, aber er fügt gleich hinzu: „das Scheiden ist eine erschütternde Stärkung für das sittliche Gemüth.“ Das Bild des Vergehens, welches uns der Herbst darbietet, ist schon darum nicht trostlos, weil wir in ihm den Knospenbilder, den Vater des kommenden Lenzes erblicken. So singt auch Homer:

„Muthiger Tydeussohn, was fragst Du nach meinem Geschlechte?
Folgen sich doch, wie die Blätter am Baum, die Menschengeschlechter:
Welkende streut auf die Erde der Wind und andere neue
Bildet der knospende Wald im wiedergeborenen Frühling.
Ebenso wächst ein Menschengeschlecht und das andere schwindet.“

Unter allen Eindrücken, die der Wechsel der Jahreszeiten hervorruft, ist der des Herbstes, des Laubfalles, der Laubverfärbung, sicher der nachhhaltigste, und dem Wanderer durch Berg und Thal bietet gerade der Herbst die schönsten Natürgenüsse. Das wissen viele und schieben ihre Reise klug über die heiße Sommerzeit hinaus.

Wenige, welche dann die Pracht des Herbstes genießen, wissen sich jedoch von den inneren Vorgängen in den Pflanzen, welche sie verursachen, Rechenschaft abzulegen. Und doch ist die Kenntniß der Ursachen der Verfärbung des Laubes dazu angethan, dem wechselvollen Bilde, das vor unseren Augen sich entfaltet, einen besonderen Reiz zu verleihen.

Der Haushalt einer Pflanze ist nach weisen wirthschaftlichen Regeln eingerichtet. Unnöthige Ausgaben werden in ihm vermieden. Wenn darum an die Pflanzen beim Abschluß der Vegetationsperiode die Nothwendigkeit herantritt, ihr Laub abzuwerfen, so sucht sie alles Brauchbare aus den Blättern zu retten. Es tritt alsdann von den Blättern eine Massenauswanderung der brauchbaren Stoffe nach den Zweigen und Wurzeln ein, wo sie bis zum Wiedererwachen der Pflanze aufbewahrt werden. Außer den Eiweißstoffen, den Kohlehydraten wandert auch der grüne Farbstoff, das Chlorophyll, aus und an seiner Stelle bleiben nur kleine gelbe Körnchen in den Blattzellen zurück. Diese bewirken alsdann die Gelbfärbung des Herbstlaubes.

In vielen Fällen aber muß diese Massenauswanderung der brauchbaren Stoffe vor den Sonnenstrahlen geschützt werden. Viele Pflanzen bilden zu diesem Zwecke einen Farbstoff, der von den Forschern Anthokyan (Blumenblau) genannt wird. Das Anthokyan ist blau, aber durch Säuren wird es roth und bei geringen Beimengungen von Säuren violett. Während der Auswanderung der Stoffe im Herbst wird nun in den Blättern gewisser Pflanzen das Anthokyan als schützende Decke ausgebreitet und schimmert je nach der Zusammensetzung der Blattsäfte in blauer, rother und violetter Farbe; dazu gesellen sich die übriggebliebenen gelben Körnchen, die Rückstände des ausgewanderten Chlorophylls, die, wenn sie in größeren Mengen vorhanden sind, mit dem Anthokyan Orangefarbe geben.

Fällt schließlich ein welkes Blatt zu Boden, so sind in ihm keine werthvollen Stoffe mehr vorhanden, die Pflanze hat nur ein todtes Gerüst abgeworfen.

Das Erglühen des Herbstwaldes ist somit kein Zeichen des Todeskampfes. Der Dichter mag darin den Tod erblicken, der Forscher weist vielmehr eine kraftvolle Aeußerung des Lebens nach. Dies erhöht unsere Freude an dem Anblick der herbstlichen Natur; in dem schönen Farbenglanz sehen wir nicht den Tod, sondern das sanfte Einschlummern. Diese Farbenpracht ist nicht das letzte Aufflammen einer verlöschenden Lampe, sondern das Abendroth im Pflanzenleben, aus welches bald der strahlende Morgen und der helle Tag, der Frühling und der Sommer folgen müssen. Das Anthokyan finden wir, wenn die Knospen im ersten Frühjahr springen, wieder. Die jungen Blättchen sind vielfach zuerst roth oder violett gefärbt, auch sie sind mit einer schützenden Decke gegen die zersetzende Kraft des Sonnenlichtes versehen. Erst wenn sie erstarken, entledigen sie sich derselben und prangen in frischem Grün. E. F.




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Die ersten Emigranten und ihre Schicksale.

Von Eduard Schulte.

Am 10. Juli 1789 erhielt der Kommandant von Valenciennes, Graf Eßterhazy, ein in französischen Diensten stehender Offizier aus einem bekannten ungarischen Hause und mit der französischen Königsfamilie persönlich befreundet, spät abends die Aufforderung, sich auf dem Postamt einzufinden. Als er dieser Weisung nachkam, traf er den eben aus Paris angelangten jüngsten Bruder des Königs, den Grafen von Artois, an, und Briefe von der Hand Ludwigs XVI. und Marie Antoinettens wiesen ihn an, Sorge zu tragen, daß der Graf, seine Söhne und seine Begleiter ungefährdet die Landesgrenze erreichen könnten. Wenige Tage vorher, am 14. Juli, hatte die Erstürmung der Pariser Bastille die Reihe der Gewaltthätigkeiten der Revolutionszeit eröffnet, und der König hatte seinem Bruder, der als Führer des hochmüthigen Hofadels in der Hauptstadt besonders verhaßt war, zu dessen eigener Sicherung den Befehl gegeben, das Land so lange zu verlassen, bis der Unwille gegen ihn sich gelegt habe. Am folgenden Tage kamen auch die Söhne des Grafen von Artois, der Herzog von Angoulême und der Herzog von Berry, in Valenciennes an. Mit ihnen und den Begleitern berieth sich der Graf, wohin er sich wenden solle, und er beschloß, sich zunächst nach Brüssel zu begeben. Eßterhazy versah die Reisenden mit einer berittenen Schutzwache und begleitete den Grafen von Artois bis zur Grenze. Dieser sagte gleichmüthig: „In drei Monaten kommen wir wieder.“

In Brüssel stellte sich Artois der Regentin der damals österreichischen Niederlande, des heutigen Belgiens, vor, der mit dem Herzoge von Sachsen-Teschen vermählten Erzherzogin Marie Christine. Diese befragte ihren Bruder, den Kaiser Joseph II., wie sie sich gegen die Fremden zu verhalten habe. Der Kaiser fürchtete Unzuträglichkeiten von dem Aufenthalte des Grafen und verlangte, daß er Brüssel verlasse. Der Graf reiste darauf in langsamen Tagereisen südwärts durch die Schweiz, und nachdem er sich vergewissert hatte, daß sein Schwiegervater, der König von Sardinien, ihn aufnehmen werde, ließ er sich in Turin nieder. Seine Gemahlin, seine beiden Söhne und einige Herren und Damen des hohen französischen Adels nahmen dort ebenfalls ihren Aufenthalt. Nach ihnen kamen viele andere Franzosen. Man führte drohende Reden gegen die Machthaber in Paris. Choiseul, der französische Gesandte in Turin, bemerkte mit Unruhe, daß die Franzosen sich gegenseitig aufregten und in Drohungen überboten. Ebenso wie der sardinische Hof fing er an, ihre Gegenwart als unbequem zu empfinden. Er meldete nach Paris, daß der Graf von Artois viele Berathungen mit seinem Haushofmeister habe, denn das Geld sei knapp; der Hofhalt des Grafen bestand aus zweiundachtzig Personen.

Mit dieser Wanderung des Grafen von Artois beginnt die französische Emigration, und des Grafen Beurtheilung der politischen Lage, sein Verhalten und seine Schicksale schon bis zu diesem Augenblicke sind für die Emigranten unter dem Hofadel gleichsam vorbildlich. Er und seine Freunde und Genossen meinten, man habe die Schreier in Paris und Versailles nicht rechtzeitig zur Ruhe verwiesen; es sei nothwendig, daß man das bald nachhole, damit der Aufenthalt in der Fremde sich nicht auf halbe Jahre erstrecke. Er und die Seinigen wurden zugleich lästige Gastfreunde, denn sie waren unruhig, anspruchsvoll und nur für eine kurze Reise mit Geld versehen, und ihre Haltung zu den Vorgängen in Frankreich mußte den Fürsten und Staatsmännern, in deren Ländern sie sich niederließen und die mit den Behörden des mächtigen Nachbarlandes keine Weiterungen haben wollten, unbehaglich und bedenklich sein.

Von der unbedingten und ausschließlichen Berechtigung der Königsmacht und der Adelsprivilegien, wie sie sich bis dahin entwickelt hatten, fest überzeugt, genußsüchtig, leichtlebig, oberflächlich, unbelehrbar, selbstbewußt und mißtrauisch, war der Graf von Artois das Oberhaupt und der vornehmste Vertreter jener Emigranten, die für Frankreich, für die königliche Sache und für sich selbst

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