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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


1823 hat aufrichten lassen. Es ist ein Gußstück aus dem Gußwerke Mariazell, fünfhundert Kilogramm schwer. Die Figur hat Ueberlebensgröße; das Kreuz ist von Lärchenholz. Vor diesem Kreuzbilde versammeln sich am Tage Johannis des Täufers die Vordernberger Knappen in der erwähnten maximilianische Bergtracht. Unterhalb der Kreuzhöhe, auf dem Waldhange der Ostseite des Berges, hallen die schrillen Pfiffe von Lokomotiven über das tief eingesenkte Thal hinweg. Bis in diese Höhe herauf reicht also die durch den Dampf gekennzeichnete Betriebsamkeit! Die vollgefüllten „Hunde“ der Erzförderbahn rollen auf den Schienen über die Höhe des Joches hinweg in das jenseitige Thal, wo in langer Reihe die Hochöfen von Vordernberg stehen. Es flammt und raucht, und die rothe Eisengluth quillt in die Gußbecken. So erfährt das Erz seine erste Verwandlung: das Roheisen wird ausgeschieden und nach den nahen Hüttenwerken gebracht, aus denen alsdann Fabrikate aller Art in die weite Welt wandern. Das Museum zu Eisenberg bewahrt Proben alter Eisenerzer Schmiedearbeit, deren künstlerisch zierliche Formen geradezu mustergültig genannt werden können.

Noch müssen wir einer Oertlichkeit gedenken. Hoch über den Abbauterassen erhebt sich zwischen rotbraunen Trümmerhügeln und einzelnen Fichten eine Plattform, welche „der Kaiserstich“ genannt wird. Hier pflegte Kaiser Maximilian I., wenn er in den umliegenden Hochbergen jagte, zur Rast sich einzufinden. Auf der Plattform des „Kaiserstichs“ stand bis vor kurzem die Eingangs erwähnte Säule mit der steinernen Urkunde, welche den Beginn des Bergbaues - wohl nach langer Unterbrechung während der Wirren der Völkerwanderung - im Jahre 712 vermeldet. Aus bergtechnischen Gründen musste kürzlich die Säule entfernt und an einem benachbarten Abhange untergebracht werden. Der „Kaiserstich“ erhält indeß nicht nur durch die menschliche Betriebsamkeit und die Erinnerung an einen edlen Fürsten seine Weihe; sie ist ihm auch durch die Stimme des Dichters gegeben. Denn auf der Säule, die bislang den Platz zierte, liest man die Klopstockschen Verse:

Hier steh´ ich,
Rund um mich ist alles Macht!
Und Wunder alles!
Mit tiefer Ehrfurcht schau’
Ich die Schöpfung an,
Denn du,
Namenloser, erschufest sie.




Blätter und Blüthen.

Albert Bürklin †. Am 8. Juli d. J. starb zu Karlsruhe der Oberingenieur a. D. Albert Bürklin, einer unserer bedeutendsten Volksschriftsteller; durch den weitverbreiteten „Kalender des Lahrer hinkenden Boten“ drangen seine Erzählungen und Schwänke, seine Jahresübersichten

Albert Bürklin.

der Weltbegebenheiten überallhin, wo die deutsche Zunge klingt. Von Bürklin ist ferner auch die Idee zur Gründung von sogenannten „Fechtschulen“, wie sie noch jetzt in Deutschland im Süden und im Norden bestehen, wenn auch nicht ausgegangen, so doch zuerst litterarisch vertreten worden - das Reichswaisenhaus in Lahr ist bekanntlich die erste Frucht dieser Idee und Bürklin also sein Mitbegründer. Baden, das engere Heimathland des Verstorbenen kannte ihn dann noch als vortrefflichen Eisenbahntechniker und als liberaler Abgeordneter seiner zweiten Kammer.

Bürklin, als Sohn des nachmaligen Geh. Finanzraths Christian Ludwig Bürklin am 1. April 1816 zu Offenburg in Baden geboren, begann seine litterarische Thätigkeit mit dem „Kanzleirath“, der 1856 erschien, fünf Auflagen erlebte und noch nach dreißig Jahren in einer neuen Bearbeitung Beifall fand. Der Kanzleirath ist eine dem Karlsruher Leben entnommene ständige Figur des Volksschriftstellers Bürklin geblieben: höchste bürgerliche Ehrenhaftigkeit, glühender Patriotismus, im ganzen durchaus moderne Denkungsart, dazu eine Dosis Spießbürgerlichkeit und Bedrücktheit, die sich aus der Vermögenslage des Wackeren herleitet, machen diesen Charakter zu einem außerordentlich liebenswürdigen und werden ihm für die Zukunft sogar eine Art kulturgeschichtlicher Bedeutung verleihen, denn er ist der Typus des ehrenhaften kleinen Beamtenthums.

Mit seiner im Jahre 1861 erschienenen größeren Erzählung „Toni und Madlein“ betrat dann Bürklin das Gebiet der Dorfgeschichte, auf welchem damals Berthold Auerbach und seine zahlreichen Nachahmer unumschränkt herrschten. Bürklin eiferte jedoch nicht Auerbach nach: er wollte für das Volk schreiben, nicht für die Gebildeten Stoffe aus dem Volksleben behandeln. Es sind meist die bekannten und oft benutzten Gestalten, die Bürklin seinen Lesern vorführt: das ländliche Liebespaar, er arm, sie reich, der starre Hofbauer, sein übermüthiger Sohn, der edle Schulmeister, der lügnerische Barbier, ein großmüthiger Holzhändler etc.; die Geschichte nimmt auch, von einem in Holland spielenden ziemlich eigenartigen Intermezzo abgesehen, den gewöhnlichen Verlauf; doch zeigt Bürklin eine so genaue Kenntniß der Volkseele und weiß den Volkston durchweg so gut zu treffen, daß sein Werk noch jetzt im eigentlichen Volke viel gelesen wird.

Zum wirklich bedeutenden Volksschriftsteller wuchs Bürklin erst nach und nach empor, seitdem er mit dem im Verlag von J. H. Geiger (Moritz Schauenburg) in Lahr erscheinenden altbekannten „Kalender des hinkenden Boten“ in Verbindung getreten war. Das geschah im Jahre 1858, und an zwanzig Jahre hat der nun Verstorbene die Redaktion des Kalenders in der Hauptsache selbstständig geführt, selber zahlreiche Beiträge für ihn geschrieben und denen anderer Mitarbeiter vielfach seinen oder den dem Kalender angemessenen Charakter aufgeprägt. Der Werth von Bürklins Schöpfungen beruht zum großen Theil auch drauf, daß sie aus dem modernen Leben in seiner ganzen Breite herausgegriffen sind. Man kann fast sämmtliche geistige Bewegungen der jüngsten Tage in Bürklins Erzählungen wiedergespiegelt finden. Zu erster Linie war es ihm um die Festigung des Reichsgedankens im deutschen Vaterlande zu thun, um die Ausgleichung von Nord und Süd, und da hat er vielleicht mehr geleistet als mancher, der in der Oeffentlichkeit viel darum gepriesen wurde. Niemals hörte Bürklin auf, für Aufklärung und Menschlichkeit zu wirken, das engherzige Spießbürgerthum und die Dunkelmänner zu bekämpfen, echtes Volksthum aber, wo es nur anging, zu fördern und es zeigt sich bei ihm eine Vielseitigkeit des Interesses, die wirklich zu bewundern ist. Und damit hat er sich ein Anrecht auf dauerndes Gedächtnis erworben.

Adolf Bartels.


Der Einsturz der Karlsbrücke in Prag. (Zu dem Bilde S. 653.) Namenlos ist das Unglück und furchtbar sind die Verheerungen, welche die entfesselten Wasserfluthen über einen Theil unseres Vaterlandes hinweg verbreitet haben; aus Sachsen, Schlesien, vom Rhein und von der Donau sind Unglücksposten über Unglücksposten zu verzeichnen; reiche Gefilde sind in Wasserwüsten verwandelt, kleine Bergflüsse zu vernichtenden Strömen angeschwollen, in deren Fluthen Menschen und menschliches Eigenthum begraben wurden; in der Schweiz und in Böhmen ist das Unglück nicht minder groß. Prag, die alte Königsstadt hat unter der Ueberschwemmung der Moldau entsetzlich gelitten, ganze Stadtviertel standen unter Wasser, die Bewohner hungerten, man konnte ihnen kaum die nothwendigstens Lebensmittel zuführen, und die Noth hatte ihre äußerste Grenze erreicht, als die Wasser endlich zu fallen begannen. Zu den schweren Schädigungen an Leib und Gut seiner Einwohner hat Prag aber auch den Verlust eines seiner berühmtesten Baudenkmäler zu beklagen, welches durch seine historische Vergangenheit als Wahrzeichen der welterschütternden Ereignisse, die sich in der Moldaustadt abspielten, wie durch seine Schönheit einen Weltruf besaß: die Karlsbrücke fiel am 4. September der Wuth der Elemente zum Opfer.

Drei ihrer Bogen liegen in den trüben Fluthen, und die weltbekannte Statue des Ignatius von Loyola mit den sie umgebenden Türken, Moren und Indianern ist im Bette des Stromes begraben. Das Ziel Tausender frommer Pilger, die Statue des heiligen Nepomuk steht zwar noch, aber es ist fraglich, ob dieses uralte Wahrzeichen Prags gerettet werden kann.

Seit Jahrhunderten trotzte die Karlsbrücke dem Toben der Moldau, den Eisgängen und den vielen Hochfluthen, die aus gewaltigen Quadern erbauten Bogen schienen für die Ewigkeit geschaffen. 1357 war der Grundstein gelegt, 1432, 1496 und 1784 verursachten die Wasser der Moldau, im Bunde mit riesigen Eismassen, theilweise Schädigungen der Brücke, die jedoch bald wieder beseitigt werden konnten.

Zu einer Länge von fast 500 Metern überwölbte die 10 Meter breite Brücke den Fluß und bildete die Hauptverbindung zwischen der Kleinseite, dem Haddschin und der Altstadt. An ihren beiden Enden recken massive gothische Thürme sich als Brückenköpfe trotzig empor, in deren Gemäuer die Kämpfe, welche im alten Prag Jahrhunderte hindurch ihren Schauplatz fanden, unvertilgbare Spuren eingegraben haben.

Auf den Pfeilern erhoben sich 30 Heiligenstatuen, von denen wir die des Nepomuk und des Loyola bereits erwähnen. Die erstere wurde 1683 von Rauchmüller in Regensburg nach Prokows Modell gegossen, und eine Marmorplatte in der Nähe der Statue bezeichnet die Stelle, wo man dem Wahrer des Beichtgeheimnisses am 20. März 1393 in die Moldau warf, nachdem er die grausamsten Folterqualen erduldet hatte; der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_674.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)