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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Der „Eiserne Berg“.

Von A. v. Schweiger-Lerchenfeld. Mit Zeichnungen von L. Benesch.

Unter allen nordischen Gottheiten hat keine die Einbildungskraft nachhaltiger erregt als Thor, der „Donnerer“ in den finsteren Wolken, welche über die schwarzbraune Heide jagen. Er war der gefürchtetste unter den Asen und überragte sie alle an Stärke. Die Verkörperung dieser Stärke waren der Kraftgürtel „Megingjarder“ und der Hammer „Mjölner“ - der Zermalmer. Mit diesem Hammer hatte Thor das Geschlecht der Riesen und deren König Thurm erschlagen. Der Mjölner war das Werk der schmiedekundigen Zwerge Brok und Sindri. Ein anderes Paar kunstfertiger Zwerge waren Durin und Dvalin, welche - wie in der Herwararsaga erzählt wird - dem König Smafurlami das Schwert „Tyrfing“ geschmiedet hatten Es führte nie einen falschen Hieb; so oft es gezückt wurde, mußte ein Menschenleben zu Grunde gehen.

So besteht seit den Zeiten des Aufdämmerns menschlicher Erinnerungen ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Eisen und der Stärke einerseits und zwischen dem Eisen und den Kobolden der Tiefe andererseits. Die Kunst der letzteren kam zunächst den Göttern zu gute, alsdann den Menschen; denn noch im Mittelalter glaubte das Volk, daß man für Eisenklumpen, welche man vor die Oeffnungen der Zwerglöcher legte, tags darauf herrlich geschmiedete Schwerter erhalte.

Die Ueberlieferungen von der Gewinnung der Metalle in deutschen Gauen in ältester und urältester Zeit beziehen sich in erster Linie auf die Alpen. In dem Hochzuge der Tauern, dem Grenzgebirge zwischen den Ländern Salzburg und Kärnten, und im steierischen Hochlande reicht jene Betriebsamkeit in eine Zeit zurück, welche weitab von allen geschichtlich feststehenden Kulturanfängen liegt. In den Tauern wurde Gold, im Hochlande der Steiermark Eisen gewonnen, beides bereits von den Kelten, welche eine große Vorliebe für den Bergbau hatten. Erben dieser Reichthümer wurden nachmals die Römer. Zu ihrer Zeit war neben dem steierischen „Erzberg“ noch eine zweite Oertlichkeit wegen ihrer Ausbeute an Eisen berühmt: Candalicae, das jetzige Hüttenberg in Kärnten. Zwischen diesen beiden Oertlichkeiten und der Donau einerseits, sowie zwischen ihnen und der Handelsstadt Aquileja am Nordende des Adriatischen Meeres andererseits zog die „Eisenstraße“, welche Julius Cäsar hatte anlegen lassen. Der Konsul Petronius rühmt die Messer aus norischem Eisen, und in einer der Oden des Horatius heißt es: „Quas neque Noricus deteret ensis“- „welche selbst das norische Schwert nicht schreckt“ ...

Es ist merkwürdig zu beobachten, wie der Menschen Thun an uralte Gepflogenheiten und Bezeichnungen sich festkettet. So nennt man noch immer den Weg, der von Hieflau im Thale der Enns über den Markt Eisenerz, am Erzberg vorüber, nach den frischen Thalgründen der Mur verläuft, „die Eisenstraße“. Die Bergbaulegenden, die Sagen und Märchen aber, von welchen der „Eiserne Berg“ im steierischen Hochlande umrankt ist, reichen über das Mittelalter nicht hinauf. Auch die geschichtliche Ueberlieferung, soweit sie urkundlich festgestellt ist, setzt den Betrieb der Eisenausbeute weit später an, als es den Thatsachen entspricht. Eine Inschrift einer steinernen Säule am Westhange des Erzberges verkündet: „Als man zählte Nach Christi Geburth 712, hat Man diesen Edlen Erzberg zu bauen angefangen.“

Es soll nun erzählt werden, was am steierischen Erzberg und in dessen Bereiche alles zu sehen ist. Die Schienen der „Rudolfbahn“, welche die wilde Durchklüftung des Ennsthales die man „das Gesäuse“ nennt, durchziehen, senden bei der Station Hieflau einen Flügel nach dem Hochgebirgskessel von Eisenerz. In Hieflau melden sich die ersten Anzeichen der Betriebsamkeit, welche weiter unten geschildert wird: Hochofenflammen und geschmolzenes Metall. Alsdann geht es in die Enge des Seitenthales hinein. Wo dieses zu einem Kessel sich erweitert, ist ein Wunder zu schauen. Ungeheuere Mauern von Felsmassen stehen im Umkreise, und mitten zwischen ihnen ragt, durch Seitenäste des Thales förmlich von seiner Umgebung losgelöst, ein Bergklotz auf. Er ist theils kahl, theils mit Fichten bestanden und stuft sich auf der Westseite in vielfachen künstlichen Terrassen ab. Ueber seinem Scheitel glühen die weißen Kalkgipfel in den Flammen der Sonne, in der Tiefe rauschen lebendige Wasser, das Auge erfreut sich am Farbenschmelz von allerlei Blumen, um das Ohr summen die geheimnißvollen Regungen einer unsichtbaren Thätigkeit.

Alte eisenerzenen Schmiedearbeiten im Museum zu Eisenerz.

Das ist der Erzberg. Er erhebt sich 1534 m über dem Meeresspiegel, etwa 780 m über die Thalsohle bei dem Marke Eisenerz. Der Fremde, welcher in diese Gegend ohne entsprechende Vorkenntnisse eintritt, weiß nicht, daß er es hier mit einem „eisernen Berge“ im wahren Wortsinne zu thun hat. Der Berg wird sozusagen vom Fuße bis zum Gipfel abgebaut. An der westlichen Seite und im unteren Theile des Gehänges, welches gänzlich entwaldet ist, wird auf zahlreichen übereinander sich abstufenden Terrassen das Erz wie in einem Steinbruche gewonnen. Es wird hier „Tagbau“ betrieben. Höher oben, in der Zone zwischen 1100 und 1500 m, erfolgt die Erzausbeute durch Grubenbetrieb. Die Erze sind Spatheisensteine, die fast 40 Prozent reines Metall enthalten. Von dem unerschöpflichen Reichthume an Erzen bekommt man den richtigen Begriff, wenn man erfährt, daß beispielsweise das sogenannte „Weingartnerlager“ auf der Westseite des Berges eine streichende Länge von 1000 m und eine Mächtigkeit von 150 m hat. Obwohl

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_670.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)