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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

gewohnten sarkastischer Weise dem Schwager gegenüber Ausdruck zu geben. Nur die Sorge um die nächste Zukunft, die Gefahr, der Richard entgegenging, warf einen Schatten über dieses glückliche Zusammensein. Auch auf Tromholt wirkte der Aufenthalt im Altenschen Familienkreis überaus wohlthuend, der Zwist in seinem Innern beruhigte sich, und eine vertrauliche Aussprache mit Bianca, wobei er der Schwester von Ingeborgs Vermächtniß Kenntniß gab, brachte in ihm den Entschluß zur Reife, nun doch noch einmal im Ericiusschen Hause vorzusprechen, bevor er den schweren Gang antrat, der ihn vielleicht in ewige Nacht hüllte. Er wollte Susanne, zu der ihn sein Herz mit so heißer Sehnsucht hinzog, wenigstens noch einmal vor „des Lichtes ewigem Schwinden“ sehen.

Von Biancas und Altens Segenswünschen begleitet, reiste er einen Tag vor dem für die Operation festgesetzten nach Kiel ab.


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Im Ericiusschen Hause hatte sich inzwischen etwas zugetragen, von dem Tromholt keine Ahnung haben konnte. Während Dina bei der Beerdigung Ingeborgs in Kopenhagen weilte, war jener Brief, den Ingeborg für Dina hinterlassen und Tromholt nach Kiel abgesandt hatte, dort eingetrofen. Susanne, die, wie auch ihre Mutter, in einiger Besorgniß um Dina war, da diese allein ohne jeden Schutz die Reise unternommen hatte, und die nun begierig auf eine beruhigende, ihre glückliche Ankunft dort meldende Nachricht wartete, nahm diesen Brief dem Postboten aus der Hand und, überzeugt, daß es der so sehnlich erwartete sei, vielleicht auch in der Hoffnung, er werde etwas auf Tromholt Bezügliches enthalten, öffnete sie ihn, ohne näher auf die Adresse zu sehen.

Nun hatte Susanne zwar gleich nach dem Lesen der ersten Zeilen Ingeborgs Handschrift und damit ihren Irrthum erkannt, allein sie sah auch ihren eigenen Namen in Verbindung mit dem Tromholts des öfteren wiederkehren, und so, von einer seltsamen Unruhe und der Begierde, etwas von Tromholt zu erfahren, beherrscht, vergaß sie alle Bedenken über die Berechtigung ihres Thuns und las den für ihre Schwester bestimmten Brief.

Er war mit schwacher, zitternder Hand geschrieben und lautete:

„Meine geliebte Dina!

Wenn Du diese Zeilen erhältst, wird die, welche sie geschrieben hat, zu der ersehnten Ruhe eingegangen sein, die sie in diesem Leben nicht finden konnte; denn es ist mein Wille, daß dieser Brief erst, wenn ich die Augen für immer geschlossen habe, in Deine Hände gelangt. Ich fühle, daß der Augenblick nicht mehr fern ist, ich sehe ihm ohne Furcht und Schrecken entgegen, der Tod naht sich mir als ein Erlöser von schwerer Qual. Und doch möchte ich auch mit diesem Leben versöhnt in jenes andere, bessere hinübergehen. Wenn ich daher allen, die mir hier Böses gethan haben, von ganzem Herzen verzeihe, wie viel mehr muß mir daran liegen, denen, die mir Wohlthäter und Freunde waren, ein dankbares Gedächtniß zu hinterlassen!

Was ich hier Gutes genossen, das danke ich in erster Linie Herrn Richard Tromholt, in dessen Haus ich eine schützende Zuflucht gefunden habe und ein sanftes Sterbelager zu finden hoffe, ihm, dessen Liebe ich nicht werth war, und der mir doch sein reiches, großmüthiges Herz erschloß, wie ein Bruder für mich sorgte, – und sodann Dir, deren Freundschaft mir treu blieb bis ans Ende und mir so manche Stunde des Leidens gemildert hat.

Euch beide möchte ich so gern glücklich wissen, Tromholt und Dich. Du, Dina, hast ein reines, frohes Gemüth. Möchtest Du den Mann finden, der seine Schätze zu würdigen weiß und Dich so glücklich macht, wie Du’s verdienst, wie ich es wünsche! Und Du wirst ihn finden, ich weiß es, ich ahne es, Sterbende sind fernsichtig. –

Aber Tromholt? Er ist ein Mann der strengen Pflichterfüllung, eine edle, starke Natur, die, wo sie sich verkannt glaubt, sich entsagend auf sich selbst zurückzieht, ihre Qual gewaltsam beherrscht und das Glück, wenn es sich bietet, zu haschen versäumt. Was kann ich für ihn thun, ich, das schwache Weib, für ihn, den starken, zielbewußten Mann! Manche schlaflose Nacht hab’ ich darüber nachgedacht, vergebens, und erst der nahe Tod hat mir die rechte Antwort auf meine Frage gegeben. Ja, ich kann es, und es ist meine Pflicht, es zu thun, selbst wenn ich damit das Geheimniß, das mir die Freundschaft auferlegt, breche und damit einen Treubruch begehe gegen Dich. Ja, gegen Dich, Dina! Höre meine Beichte und verzeihe mir, wenn Du kannst, verzeih’ Deiner sterbenden Freundin, die Dich so sehr geliebt hat, Dich und – –. Doch höre:

Tromholt liebt Susanne seit dem Augenblick, da er sie zuerst sah, und keine noch so bittere Erfahrung, kein noch so starkes Weh, das sie ihm angethan, hat diese Liebe je zu verwischen, je auch nur abzuschwächen vermocht. Sein Herz gehört ihr, sehnt sich nur nach ihr und wird ihr gehören, so lange es schlägt. Ein Mann wie Tromholt kann nur einmal lieben! Bleibt diese Liebe unerwidert, wie er es von der seinen glaubt – denn der Schein, Dina, täuscht auch die Stärkste – so trägt er die Wunde immer in der Brust mit sich herum, und eben weil er die Blutung nach außen durch seinen starken Willen abdämmt, so verblutet sich sein Herz langsam nach innen! O, meine geliebte Dina, weißt Du, wie weh das thut? –

Ich weiß es, ich sah, wie er um sie litt. Ob er gleich seine Qual wie ein Held verbarg, ich sah sie und ich besaß das erlösende Wort, das diese Qual beschwört hatte, besaß es in Deinen Briefen, Dina, und durfte es nicht aussprechen. Ich durfte nicht, nein, aber auch mein eigenes Herz sträubte sich dagegen, es gab Augenblicke, wo ich, von schwerer Selbstsucht befangen, seine Liebe verwünschte und die, der er sie geweiht, darum beneidete, haßte. Diese Selbsterkenntniß liegt in der Todesstunde wie eine schwere Schuld auf meinem Gewissen. Dina, ich darf, ich kann sie nicht mit hinübernehmen ins Jenseits, wenn mir der ewige Richter dort vergeben soll.

Soll Tromholt sich noch länger in stummem Schmerze verzehre, da Susanne, wie Du mir schreibst, ihn wieder liebt, und – wie könnte es auch anders sein! – mit derselben ungestillten Sehnsucht nach ihm verlangt? Sollen sie beide für alle Zukunft unglücklich sein, weil ihnen diese Liebe gegenseitig ein Geheimniß ist? Nein, Dina, das kann, das darf nicht sein, das will der Himmel nicht, Du selbst mußt es begreifen, und mir ist es in diesen Schmerzenstagen zur unumstößlichen Gewißheit geworden. Wie eine Erleuchtung von oben, vor der jede irdische Verpflichtung weichen muß, kam es über mich, ihr will ich folgen, ihr allein, und wenn der Tod seine Hand nach mir ausreckt, dann will ich Tromholt Deine Briefe, die ihm das Geheimniß von Susannens Liebe enthüllen, als mein letztes Vermächtniß in die Hand legen.

Und nun, liebe Dina, hab’ ich mein Herz vor Dir ausgeschüttet, ich weiß, Du verzeihst mir.

Meine Kräfte schwinden, der Husten kehrt wieder, meine Hand vermag die Feder nicht länger zu halten, es ist das Letzte, was sie in diesem Leben geschrieben.

Leb’ wohl, Theure, Liebe, weine nicht um mich! Mir ist wohl! Seid glücklich, alle, alle, und gedenket zuweilen in Liebe

Eurer Ingeborg.“

Susanne hatte die Schlußworte dieses Briefes nicht mehr gelesen. Bei der Stelle über Dinas Briefe an Ingeborg, die das Geheimniß ihrer Liehe enthielten, war ihre anfängliche Ergriffenheit einem jähen Ausbruch der Scham und des alten Trotzes gewichen. Sie hielt sich von Dina für verrathen, vor Ingeborg und Tromholt gedemüthigt. Was Ingeborg von Tromholts Liebe zu ihr schrieb, hielt sie für nicht mehr als einen Zoll des Mitleids, ein Almosen, das sie nicht begehrt hatte. Ein unbändiger Zorn gegen Dina, Ingeborg, Tromholt, ja gegen sich selbst erfaßte sie, alle Reue und Sehnsucht war vergessen, sie war wieder ganz die alte, stolze, trotzige Susanne von damals, welche die Perle, die sich ihr darbot, mit Füßen trat und nach dem Kiesel griff.

Mitten in diese innere Erregung hinein kam Dinas Botschaft von ihrer Verlobung mit Snarre, von einem Brief des letzteren begleitet, der die Genehmigung der Familie für sein und Dinas Vorgehen in höflichster Form nachsuchte und dabei auch auf sein früheres Gespräch mit Susanne Bezug nahm. Frau Ericius war so erfreut über dieses nach dem jüngsten Zwischenfall kaum mehr erwartete Ereigniß, daß sie darüber die Zeichen nervöser Unruhe in dem Benehmen ihrer älteren Tochter völlig übersah. Auch vermochte sich Susanne in der ersten Zeit nach Dinas Rückkehr soweit zu beherrschen, daß sie dieser mit einer flüchtigen Entschuldigung Ingeborgs Brief übergab, ohne ihre Kenntniß des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_666.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)