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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


nicht zu niedrig zu stellen, so daß nur solche, welchen es wirklich Ernst mit dem Studium ist, denselben zu entsprechen vermögen. Wird die Aufnahme gar zu leicht gemacht, so ist damit die Gefahr der Eindrängung unpassender Elemente gegeben, welche nur imstande sind, die Sache in Verruf zu bringen. Die schweizer Universitäten haben in dieser Beziehung sehr unangenehme Erfahrungen machen müssen, indem die gar zu leicht gewährte Immatrikulation von den weiblichen Mitgliedern eines fremdländischen politischen Auswandererthums, welche weder Befähigung noch Neigung für das Studium hatten, zur Erwerbung der Aufenthaltsbewilligung mißbraucht wurde. Die Ueberfluthung mit derartigen unpassenden Elementen brachte zwar keine unmittelbaren Nachtheile durch Störung der guten Zucht in den Unterrichtsstunden, aber sie wurde doch als eine dem akademischen Körper anhängende fremdartige Masse hemmend und lästig und brachte die wirklich studierenden Frauen in eine falsche Stellung. Namentlich hatte auch Zürich sehr unter diesen Verhältnissen zu leiden, so daß man es als Wohlthat empfand, als eine aus dem Heimathlande jener Auswanderer kommende Verfügung die schlimmen Elemente entfernte. Durch diese Erfahrung belehrt, hat man denn auch in Zürich die Aufnahmebedingungen verschärft, allerdings immer noch nicht in dem Grade, wie es in allseitigem Interesse zu wünschen wäre.




Norwegische Jagdskizze.
Von Eugen Friese. Mit Abbildungen von Gustav Wendling.


Der Renthierjäger Bjarne.

Ich besaß einen lieben Freund, einen ausgezeichneten Jäger, der mir oft von einer Jagd auf Renthiere sprach, die er dereinst auf einer Reise in Norwegen mitgemacht habe.

Von den Todten soll man nur Gutes reden! Aber – der Himmel verzeihe mir die Sünde! – der gute Alte hat mich furchtbar belogen. Er erzählte, wie er im Boote mit den norwegischen Jägern über den Fjord gefahren, wie sie am andern Ufer von den Genossen erwartet und mit fröhlichem Jagdrufe empfangen worden seien. Dann sei man nach kräftigem Imbiß und Trunk hinausgezogen zum fröhlichen Jagen, ganz wie bei uns. Nach kurzer Wanderung habe man das Jagdgebiet erreicht gehabt, die Schützen seien angestellt worden, und „das Treiben auf Renthiere“ habe begonnen. Wie das Auge des alten Freundes in jugendlichem Feuer leuchtete, – wie er die beiden Hände vor Eifer emporstreckte, so lang die Arme reichten, um sie, zu Fäusten geballt, donnernd auf die Tischplatte fallen zu lassen, die sich unter der Wucht derselben (oder unter der Wucht der Lüge?) zu biegen schien. Der Leser erlaube mir, ihn selbst sprechen zu lassen:

„Da stand ich nun in einer Einöde, gegen die unsere Tucheler Heide ein Wiener Café genannt werden kann. Kahle Granitwände rechts und links, und ich mitten drinnen wie in einer Schüssel, die nach den anderen Seiten, nach vor- und nach rückwärts, sanft ausläuft. Es war ein Engpaß, in den sie mich postirt hatten, ein gezwungener Wechsel von dem Hochfjeld nach den niedriger gelegenen Trakten; – durch diese hohle Gasse mußten sie kommen! Und sie kamen! – prasselnd, donnernd, ein Wald von unförmlichen Schaufelgeweihen. Der Granit schien unter ihren Hufen zu wanken, polternd stürzte Steingeröll von der Höhe mir entgegen, und dahinter gleich einer Eskadron, die zum Angriff vorgeht, die zottigen Hälse der Renthierheerde.

Ich hatte nur Zeit, mich an die Granitwand des Engpasses zu drücken, dann waren sie heran, nein, vorüber! – und ich hatte gefeuert – zweimal gefeuert, und zwar auf den stärksten Bock, den ich mir unter allen ausgewählt hatte. Vor Scham hätte ich in die Erde sinken mögen, er stürzte nicht unter dem Feuer. Was würden die Norweger zu dem ‚Tysker‘ sagen, der in seiner Heimath ein berühmter Jäger sein sollte?

Aber hier lagen Schnitthaare, dort Schweiß zu beiden Seiten der Flucht, und dann – Hauptmann, ich vergesse es im Leben nicht! – war der Bock keine fünfzig Schritte vom Anschuß zusammengebrochen!“ –

Das war der Augenblick, wo die wuchtigen Fäuste des alten Freundes zur Tischplatte niedersanken und ich in meinem Innern einen Schwur that, dereinst wie er einen Renthierbock zu strecken. Dann wurde zum Schluß als Bekräftigung des Ganzen, gewissermaßen als Beweismittel für die Wahrheit der Jagdgeschichte, das mächtige, noch nicht abgefegte Geweih gezeigt, und die verehrte Gattin meines Freundes knüpfte daran an, welche entsetzliche Mühe es gekostet habe, dasselbe unversehrt in die Heimath zu befördern. Da man es nämlich noch weich mitgenommen habe, so sei es für sämmtliche Mitreisende eine Qual gewesen, in seiner Nähe zu weilen, – es habe gar abscheulich gerochen. – –

Nun war ich selbst auf einer Reise in Norwegen, und ich konnte mich nicht mehr enthalten, meinem werthen Gastfreunde B., der mich so liebenswürdig aufgenommen hatte, die Geschichte des landsmännischen Nimrods zu erzählen. Freund B. lächelte etwas spöttisch, was sonst nicht seine Art war, sagte aber nichts, sondern meinte nur, ich würde das Vergnügen ja vielleicht noch aus eigener Anschauung kennenlernen.

Und so kam es auch. Eines Tages klopften wir an die Thüre der Behausung eines Renthierjägers, der uns als guter Führer auf einer Hochfjeldspürsche empfohlen war. Die Hütte lag in einer zerklüfteten Gebirgsschlucht, durch die der Gletscherbach tosend seine Wasser zu Thal schickte, in trauriger, vegetationsloser Umgebung – aus roh über einander geschichteten Baumstämmen gezimmert. An langen Bindfäden, die an den in die Holzwände getriebenen Pflöcken befestigt waren, hingen farblose, dünne Streifen Renthierfleisch und Fische, der Wintervorrat des Jägers, der ihm von der Sonne und der Luft gedörrt wurde. Ich dachte mit Genugtuung an unsere mitgenommenen Vorräthe, die uns instand setzten, diese schrecklichen, nordischen Genüsse entbehren zu können.

Längere Zeit schon hatten wir unsere Anwesenheit in oben erwähnter Weise kundgetan. ohne damit irgend ein Lebenszeichen im Hause wachzurufen, bis uns endlich ein schlürfender Schritt von dem windschiefen Stallgebäude her zum Umsehen veranlaßte.

Es war eine überaus traurige Figur, die sich uns nahte: die eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_656.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)