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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


stattgefunden haben, hat er kurz und trocken erklärt, sie möchten sich nicht weiter bemühen – er sei ebenso richtig und klar im Geist wie die Herren selbst, er habe damals genau gewußt und wisse auch jetzt, was er gethan habe und welche Folgen sein Verbrechen nach sich ziehe. Wirklich sind seine Antworten, insofern sie nur seine eigenen Angelegenheiten betrafen und seine Helfershelfer ganz aus dem Spiel ließen, von einer derartigen Folgerichtigkeit und Sicherheit gewesen, daß von irgend welcher Entschuldigung durch Krankheit nicht entfernt die Rede sein konnte.“

„Hat er keine Angehörigen, von deren Einfluß auf ihn etwas zu erwarten wäre?“

„Eine einzige Schwester, eben die, welche das Gnadengesuch für ihn eingereicht hat. Sie lebt in Ungarn, die Geschwister sind seit langen Jahren außer allem Zusammenhang, die Frau hat eine zahlreiche Familie, lebt in beschränkten Verhältnissen und ist nicht in der Lage, hierherzukommen, um ihren Bruder zu sehen. Sie traut sich überdies nicht den geringsten Einfluß auf ihn zu, auch hat er erklärt, sie keinesfalls wiedersehen zu wollen, es hätte gar keinen Sinn, sie kommen zu lassen.“

„Hat er die That aus Noth begangen?“

„Allem Anschein nach nicht aus persönlicher Noth gerade. Es ist den Richtern, so kurz und vorsichtig der Verbrecher auch in seinen Antworten war, zweifellos klar geworden, daß er Aufwieglern und Volksverderbern in die Hände gefallen und, vermöge seiner nicht wegzuleugnenden Begabung, seiner Bildung und eines gewissen zwingenden Einflusses seiner ganzen Persönlichkeit, ein höchst gefährliches Werkzeug dieser Leute geworden ist. Er besitzt nicht unbedeutende kaufmännische Kenntnisse, hat in jungen Jahren mehrfach in Comptoiren gearbeitet und stand nicht ganz ohne Mittel da, als er die That beging.“

„Wer war es denn, den er gemordet hat?“

„Eine sehr reiche, sehr hartherzige alte Dame, vom bösartigsten Geizteufel besessen, ein Wesen, das niemand liebte und dessen einziger Genuß darin bestand, Schätze zusammenzuscharren, wobei die Wahl der Mittel ihr ganz gleichgültig war. Sie hat Wucher der schlimmsten Art getrieben und ist mehrmals nahe daran gewesen, mit dem Strafgesetzbuch in allernächste Berührung zu kommen. Schönfeld behauptet, durch ihre Beseitigung eine gute That vollbracht und die Welt von einem Scheusal befreit zu haben. Es thäte ihm nur leid, ihr Geld nicht in Sicherheit gebracht und ‚vertheilt‘ zu haben, wie es seine Absicht gewesen wäre. Es scheint, daß seine Spießgesellen mit einem Theil des Raubes das Weite gesucht und ihn, der bei den Werthpapieren beschäftigt war, noch rechtzeitig gewarnt haben. Er war aber gerade dabei, eine Anzahl von Schuldverschreibungen, meist mittelloser Leute, die er aus dem feuerfesten Geldschrank hervorgeholt hatte, zu zerreißen, glaubte wohl auch die Gefahr nicht so nahe und verließ sich auf seine große Gewandtheit … es half ihm aber alles nichts, man faßte ihn, als er im Begriff war, aus einem Hinterfenster zu klettern – er feuerte noch zwei Schüsse aus seinem Revolver ab, verwundete einen der verfolgenden Polizisten schwer, den andern leicht und wurde nach einer verzweifelten Gegenwehr überwältigt und schwer gefesselt davongeführt.“

„Donnerwetter!“ Der Lieutenant schlug mit der Faust auf den Tisch, sprang auf und fing an, ganz erregt im Zimmer auf- und abzulaufen. „Wie der Kerl es noch verstanden hat, sich förmlich mit einem Nimbus von Heldenthum zu umgeben. Stiehlt nicht für sich selbst, sondern für andere! Mordet einen alten Geizdrachen, an dem die Welt keinen Pfifferling verliert. Zerreißt die Schuldscheine armer Leute, damit die nicht noch nachträglich in die Patsche gerathen! Will seine Gefährten um keinen Preis nennen! ’s liegt so was von Großartigkeit in all dem! Ja, zum Teufel – wenn diese Erzkanaille –“

„Wenn ich Dich bitten dürfte, Fritz! Wär’ Dir’s nicht möglich, etwas weniger zu fluchen?“

„Ach so! Das kommt davon, Regi, daß Du im gewöhnlichen Leben so gar nichts von einem Pfaffen, wollte sagen Prediger hast! – Nimm’s nicht übel, daß ich dazu aus vollem Herzen Gott sei Dank sage! Solche Leute, die mit der Miene von Heiligen unter uns profanem Volk herumwandeln, sind mir ein Greuel! Aber genug davon! Dieser Kerl, dieser Schönfeld! Und dies Galgenfrüchtchen sollst Du nun mit geistlichem Zuspruch erbauen?“

„Ich soll, und ich werde es – trotzdem er als einzige Bitte an den Direktor den Wunsch ausgesprochen hat, man möge ihn mit der Geistlichkeit verschonen!“

„Eine hübsche Aufgabe für Dich, Freund und Vetter! Ich möchte diesen Schönfeld, alias Heller, alias Deaks, wohl kennenlernen! Fast wollte ich, ich wäre an Deiner Stelle!“

Der Prediger mußte lächeln.

„Ob dabei etwas Vernünftiges herauskäme?“

„Weiß ich nicht! Himmlische Freuden würde ich ihm nicht in Aussicht stellen, vielmehr die ausgesuchtesten Qualen, die ein solcher niederträchtiger Satansbraten –“

„Fritz!“

„Ja, ja, ich mäßige mich schon, obgleich diese Sache eine gewisse Derbheit in der Bildersprache entschieden begünstigt. Nun sag’ mir nur noch: wie lange hat denn der Kerl noch zu leben?“

„Das wußte selbst der Direkor so genau nicht! Vielleicht zwei Monate – vielleicht auch drei!“

„Und wann wirst Du ihm Deinen ersten Antrittsbesuch abstatten, mein Lieber?“

„In künftiger Woche – er ist jetzt heiser, erkältet, und der Arzt behandelt ihn! ich will erst warten, bis er gesund ist.“

„Hm! Und Du kannst mich nicht dorthin mitnehmen – als – als sagen wir: als Deinen geistlichen Beistand?“

„Fritz, Fritz! Zu solch einem Posten fehlt Dir, fürchte ich, nicht mehr als alles!“

Der Lieutenant sah etwas unruhig aus.

„Nun – ich will Dir was sagen – ein Heiliger bin ich natürlich nicht … aber für einen so ganz hartgeklopften Sünder brauchst Du mich darum doch nicht zu halten. Ich hab’ Dir’s schon immer ’mal unter vier Augen sagen wollen – was brauchen denn schließlich die Kameraden zu wissen, wie man über solche Dinge denkt? Man braucht darum noch lange nicht … na, Du wirst’s ja wissen, Regi, wie ich’s so eigentlich meine!“

Und mit diesem unvollkommenen Glaubensbekenntniß schüttelte Fritz von Conventius, der immer verlegener geworden war, seinem geistlichen Vetter heftig die Hand, drehte sich auf dem Absatz herum, pfiff nach Julchen und verließ mit raschen Schritten das Zimmer.

Reginald sah ihm eine kleine Weile nach und lächelte freundlich, dann nahm er sein Buch auf und vertiefte sich von neuem in seine Lektüre.

(Fortsetzung folgt.)




Sängertage in der Kaiserstadt Wien.
Mit Zeichnungen von T. Rybkowski.

Glänzend ist es verlaufen, das IV. deutsche Sänger-Bundesfest in Wien; es hat die Erwartungen der Wiener wie diejenigen der Gäste weit übertroffen. Vor allem ist die Theilnahme der fremden Sänger eine viel größere gewesen, als man vorausgesetzt hatte; denn man war auf etwa 10000 Gäste gerüstet, und es sind wohl mehr als 15000 deutsche Sangesbrüder gekommen. Die in dem Prater auf der sogenannten „Feuerwerkswiese“ erbaute Sängerfesthalle hatte einen Fassungsraum für 20000 Menschen; sie hätte aber doppelt so groß sein müssen, um alle Einlaßbegehrenden aufzunehmen.

Diese Sängerfesthalle, vom Architekten und Stadtzimmermeister Hermann Otte entworfen und errichtet, bildete den gelungensten Holzbau, den wir jemals zu sehen Gelegenheit hatten. Trotz der riesigen Spannweite – die Länge betrug 160 Meter, die Breite 56 Meter und die Mittelhöhe 23 Meter – konnte der Architekt doch auf Säulenstützen verzichten, so daß die Decke sich völlig frei und in schöner Bogenlinie über den ganzen Raum weg wölbte. Das Ganze erhielt dadurch trotz seiner gewaltigen Ausdehnung ein freundliches, luftiges, leichtes Gepräge. Glücklicherweise hatte der Baumeister in der Festhalle auch eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_620.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)