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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

einem Zauberschlage, geht über die Toppen der deutschen Kriegsschiffe der Flaggenschmuck, die Kanonen des ganzen Geschwaders öffnen ihre Schlünde, ein Donnern und Dröhnen, als ob die Welt untergehen sollte! Es ist der Gruß der Flotte an ihren Kaiser, der auf der „Hohenzollern“ herandampft, gefolgt von der „Irene“, die den kaiserlichen Bruder, Prinz Heinrich, trägt, und von zwei Torpedobooten. Er nimmt die Flottenparade ab, dann umfährt auch die „Hohenzollern“ wie Tags zuvor die „Victoria“ die Insel, und endlich, eine Stunde nach jenem Geschützgruß, löst sich von der kaiserlichen Jacht ein von 12 Matrosen gerudertes Boot, es nähert sich der Landungsbrücke, alles nimmt seine Plätze ein und setzt sich in Positur, die Truppen präsentiren, Musiklänge, Hurrahrufe – der Kaiser hat die Brücke betreten und schreitet dem Lande zu.

Das Aufziehen der Kaiserstandarte auf Helgoland.
Zeichnung von H. Lüders.

Da wird ihm eine sinnige Huldigung. Aus der ihn umgebenden Menge der Empfangenden, der Beamten, die ihre Meldungen erstatten, der Helgoländer Bürger, die ihren neuen Landesherrn begrüßen, tritt auf einmal die anmuthige Gestalt eines Mädchens: es ist die Sprecherin der Helgoländer Jungfrauen, Fräulein Buse, und unter schlichten herzlichen Gedichtworten überreicht sie dem Kaiser ein kleines Wunderwerk aus Blumen – eine kunstvolle Nachbildung der Insel, ihrer Häuser, Thürme, Felder, des umgebenden Meeres etc. – alles aus Blumen. Sie bittet ihn, er möge auch dem kleinsten und jüngsten Theilchen seines Reichs Schutz und Gunst angedeihen lassen. Dankend reicht er ihr die Hand, und jetzt neue Hurrahrufe, neue Musikfanfaren und noch einmal dröhnender Geschützdonner – Kaiser Wilhelm II. hat den Fuß auf den neugewonnenen Boden Helgolands gesetzt!

Sofort geht’s hinauf nach dem Oberlande. Ein beinahe lebensgefährliches Gedränge entsteht, denn die Straßen von Helgoland sind eng und eine einzige Treppe führt vom Unterlande hinauf nach der Felsenplatte. Bei dem Leuchtthurme hat das Militär ein Viereck gebildet, umgeben von einer tausendköpfigen Menge, und alsbald beginnt der Gottesdienst unter freiem Himmel. Er ist die Einleitung und Vorbereitung zu dem feierlichsten Akte der Einverleibung, der Verlesung der kaiserlichen Proklamation an die Helgoländer. Der Kaiser begrüßt darin seine neuen Unterthanen, die „auf friedlichem Wege in das Verhältniß zum deutschen Vaterlande zurückgekehrt sind, auf welches die Geschichte, die Lage und die Verkehrsbedingungen der Insel hinweisen,“ und die „durch Gemeinschaft des Stammes, der Sprache, der Sitten und Interessen den deutschen Brüdern von jeher nahe gestanden haben.“ Er sichert ihnen und ihren Rechten seinen Schutz und seine Fürsorge zu, eine wohlwollende und umsichtige Verwaltung und möglichste Erleichterung des Uebergangs, indem das lebende Geschlecht von der Erfüllung der allgemeinen Wehrpflicht im Heer und in der Flotte befreit bleiben soll. „Mit Genugthuung,“ so schließt die Proklamation, „nehme ich Helgoland in den Kranz der deutschen Inseln wieder auf, welcher die vaterländische Küste umsäumt. Möge die Rückkehr zu Deutschland, die Theilnahme an seinem Ruhme, seiner Unabhängigkeit und Freiheit Euch und Euren Nachkommen zu stetem Segen gereichen! Das walte Gott!“

Als der Minister von Boetticher die Proklamation zu Ende gelesen hatte, da glaubte man, der ganze Akt sei nun vorüber. Aber nein! Noch einmal trat der Kaiser vor und hielt selbst noch die folgende Ansprache:

„Kameraden der Marine! Vier Tage sind es her, daß wir den denkwürdigen Tag der Schlacht von Wörth feierten, an dem unter meinem hochseligen Großvater von meinem Herrn Vater der feste Hammerschlag zur Errichtung des neuen Deutschen Reiches geführt wurde. Heute nach 20 Jahren verleibe ich diese Insel als das letzte Stück deutscher Erde dem deutschen Vaterlande wieder ein, ohne Kampf und ohne Blut. Das Eiland ist dazu berufen, wie ein Bollwerk zur See zu werden, den deutschen Fischern ein Schutz, ein Stützpunkt für meine Kriegsschiffe, ein Hort und Schutz für das deutsche Meer gegen jeden Feind, dem es einfallen sollte, auf demselben sich zu zeigen. Ich ergreife hiermit Besitz von diesem Lande, dessen Bewohner ich begrüßt habe, und befehle zum Zeichen dessen, daß meine Standarte und daneben die meiner Marine gehißt werde.“

Unter dem Salut der Inselbatterien und sämmtlicher Schiffe wird der Befehl des Kaisers vollzogen (siehe nebenstehende Abbildung).

Jetzt übergiebt eine Abordnung der Helgoländer dem Kaiser, gleichsam als Antwort auf dessen Proklamation, eine Huldigungs-Adresse; die Helgoländer „blicken in Freudigkeit der Zeit entgegen, welche mit der vom Kaiser ausgesprochenen feierlichen Besitzergreifung der Insel für sie anbricht“. „Die von Ew. Majestät kundgegebenen Verheißungen erfüllen uns mit den Gefühlen ehrfurchtsvollen Dankes und der unwandelbaren Zuversicht, daß es unter Ew. Majestät erhabener Regierung uns gelingen werde, durch Erfüllung des von uns hiermit abgelegten Gelöbnisses der Treue uns als Ew. Majestät gehorsame Unterthanen zu erweisen.“

Ein Vorbeimarsch der Truppen schließt endlich den festlichen Vorgang. Dann zerstreut sich das Volk, soweit das bei der räumlichen Ausdehnung der Insel möglich ist. Kaiser Wilhelm aber versammelt im Gouverneurshause eine auserlesene Gesellschaft, darunter auch die Vertreter der Helgoländer, die feierlichen Trinksprüche folgen sich rasch, denn des Kaisers Zeit ist gemessen. Ein Viertel vor fünf Uhr, ziemlich genau vier Stunden nach der Landung, dampfte die „Hohenzollern“ wieder ab, der große Tag des deutschen Helgolands ist vorüber. H. F.




Blätter und Blüthen.

Ein Jubiläum. Kein Morgenständchen und keine Tafelmusik, keine Abordnungen und keine Adressen, keine Festreden und Festartikel bezeichnen das Jubiläum, das wir im Sinne haben. Derjenige oder vielmehr diejenige, welche im Mittelpunkte aller dieser Huldigungen stehen müßte, hat längst die Augen geschlossen, und menschliche Ehren erreichen sie nicht mehr. Aber in der Stille soll der Gedenktag doch gefeiert werden mit ein paar Zeilen der „Gartenlaube“, und er soll nicht unvergessen bleiben in der großen Schar ihrer Leser; denn diese Leser sind in erster Linie berufen und befugt, mitzufeiern.

Es sind jetzt genau 25 Jahre her, seit E. Marlitt ihre erste Novelle in der „Gartenlaube“ veröffentlicht hat; es war die Nummer 36 des Jahrgangs 1865, in welcher „Die zwölf Apostel“ erschienen, denen dann sofort 1866 der große Roman folgte, welcher den Ruhm der Marlitt mit einem Schlage unerschütterlich begründete, die „Goldelse“.

Die Marlitt war nicht eigentlich von jener schnellschreibenden Fruchtbarkeit, die jetzt so häufig auch gute Talente nur allzu rasch erschöpft; neun größere Romane und vier kleinere Erzählungen sind in dem Zeitraum von 22 Jahren aus ihrer Feder geflossen. Sie bilden in der illustrirten Gesammtausgabe, die gegenwärtig erscheint und beinahe abgeschlossen vorliegt, 40 hübsche Bände; der neunte Band, „Das Eulenhaus“ enthaltend, ist in diesen Tagen ausgegeben worden; so trifft der unvollendet hinterlassene, von verständnisvoller Hand ergänzte Torso durch ein Spiel des Zufalls zusammen mit dem Gedenktag des Erstlingswerkes. =

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_610.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)