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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

dem Minister der Korvettenkapitän Geißler, der künftig die militärische und die maritime, und der Geheimrath Wermuth, der die bürgerliche Verwaltung der Insel führen soll, und mit ihnen verschiedene andere höhere Beamte. Nach kurzer Begrüßung ging es sofort hinauf nach dem Oberlande, nach dem Garten des Gouverneurs, wo englische Matrosen die Ehrenwache hielten. Der englische Gouverneur verliest den Artikel des Vertrags, in welchem die Abtretung Helglands an Deutschland ausgesprochen ist. Staatssekretär von Boetticher übernimmt mit einer kurzen Ansprache die Insel in die deutsche Verwaltung – da, kaum hat er geendigt, wird neben der britischen Flagge die deutsche gehißt. Hochrufe und der Gesang „Deutschland, Deutschland über alles“ begrüßen sie, und beide Wimpel flattern einträchtig nebeneinander bis Sonnenuntergang; dann werden sie beide eingezogen, die englische, um nicht wieder emporzusteigen. Die Vertreter beider Staaten aber haben sich inzwischen im Konversationshause zum festlichen Mahle zusammengefunden, feierliche Tischreden geben der Bedeutung dieses friedlichen Besitzwechsels geziemenden Ausdruck und feiern die vertragschließenden Souveräne – dann aber verläßt der englische Gouverneur die Insel unter dem Donner der Geschütze von den beiderseitigen Kriegsschiffen, sein Amt auf Helgoland ist zu Ende.

Das war der amtliche Theil der Uebergabe. Am andern Morgen hat sich das Bild verändert. Noch in der Nacht ist ein stattliches deutsches Geschwader auf der Höhe von Helgoland eingetroffen. Als die Sonne emporsteigt, da umlagern acht Panzerschiffe und verschiedene andere große deutsche Kriegsfahrzeuge nebst der Torpedoflotte die Südseite der Insel. Ober- und Unterland haben über Nacht ein Festgewand von Kränzen und Fahnen angelegt, am Ausgang der Landungsbrücke ist an schlanken Flaggenmasten die riesige Willkomminschrift aufgehängt: „Helgoland grüßt Dich, Kaiser!“ Schon von Tagesanbruch an haben die Kriegsschiffe Mannschaften ausgeschifft, Abtheilung auf Abtheilung, die strammen, in ihrer kleidsamen Tracht so prächtig anzuschauenden Offiziere der Marinetruppen führen sie hinauf nach dem auf dem Oberlande befindlichen Paradeplatze; schließlich sind’s im ganzen an 3000 Mann, mehr als die Insel Einwohner hat. Immer lebhafter, bunter, fesselnder wird das Bild. Das Seebataillon mit seinem Musikcorps nimmt an der Landungsbrücke Aufstellung und bildet Spalier.

Die Uebergabe der Insel im Garten des Gouverneurs. Der Kaiser betritt Helgoland.

Eine neue Bewegung. Die Helgoländer Jungfrauen, die den Kaiser begrüßen wollen, nähern sich der Brücke. Es sind fünfzehn bildhübsche junge Mädchen in ihrer ebenso eigenartigen als kleidsamen Tracht. Den Kopf bedeckt eine bunte, perlengestickte, kleine Mütze nach Art der Altdeutschen Schaube, von dem Rande derselben fällt eine breite weiße Spitze über Stirne und Kopf, das Antlitz reizvoll umrahmend. Ein faltiger seidener Rock läßt hinten das grellrothe, mit gelber Borde eingefaßte Unterkleid frei. Ein helles buntfarbiges Tuch bedeckt die Schultern, an den aufgebauschten Aermeln spielen große silberne Anhängsel. Der Hals trägt einen silbernen Schmuck, einer breiten Brosche gleich, in der Herzen und kleine Fische durch eine Fülle filigranartig gehaltener Figuren zusammengefaßt sind, meist ehrwürdige Familienerbstücke von hundertjährigem Alter.

Es ist zehn Uhr geworden, ein schöner Sonntagmorgen lagert über der Insel und den Tausenden der Harrenden. Da plötzlich, wie mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_609.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)