Seite:Die Gartenlaube (1890) 605.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Rücksicht sogar beeilen, mit Ihrem i-Punkt fertig zu werden und ihm in die Unterwelt zu folgen. Wehe aber, wenn der Sensenmann Ihnen zurufen würde. ‚Keine Redensarten, vorwärts!’ Dann würden Sie noch im letzten Todeskampf sich emporrichten und mit hochmütig zugekniffenen Augen, gerümpfter Nase und schnarrender Stimme ihm entgegnen: ‚Sie scheinen zu vergessen, Herr, Herr - wie heißen Sie doch gleich, Sie mit der Rippenweste? - daß Sie die Ehre haben, mit Sr. Erlaucht, dem Grafen Esbern-Snarre auf Snarre zu sprechen. Ich muß sehr bitten!’ Und der Tod, sich besinnend würde unterthänigst die Knieknochen zusammenschlagen, sich verneigen und eine Entschuldigung stammeln – das heißt, wenn nach Ihrem Willen und Ihren Anschauungen ginge, Herr Graf!“

Snarre lachte laut auf und sah dem schelmisch plaudernden und ihn nicht unrichtig kennzeichnenden Mädchen wohlgefällig in die Augen. Er mochte ihre Art gar zu gern, und so sehr ihm Susannens Ernst gefallen hatte, so fand er das neckische Wesen dieses frischen Naturkindes doch viel anziehender.


(Fortsetzung folgt.)




Von den Leichenfeldern des Waldes.

Ein Bild aus dem Zerstörungsgebiet der „Nonne“.
Von Arthur Achleitner. Mit Zeichnungen von Fritz Bergen und A. Federer.


„… Den Bäumen nimmt der Herbst das Laub,
Der Tod im Walde tost …“ Lenau.

Die Liebe des Deutschen zum deutschen Walde ist mit ein Stück germanischer Stammesart, sie hat, so weit die deutsche Zunge klingt und Sangesbrüder wohnen, poetischen und klangreichen Ausdruck gefunden in dem herrlichen Liede „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben!“ Poeten und Tondichter preisen des deutschen Waldes Schönheit, sie pflanzen mit flammender Begeisterung in die junge Volksseele die Liebe zum göttergeweihten Hain, die mit dem Menschen wächst, groß wird und so lange währen wird, als es deutsche Wälder giebt.

Die Nonne.[1]
Zeichnung von A. Federer.

Leider ist eine Zeit des Jammers für den deutschen Wald herangebrochen, eine Zeit der Vernichtung stolzer Baumriesen auf Flächen, die das Auge kaum mehr abzuschätzen vermag. Wo Jahrhunderte hindurch über allen Gipfeln Ruh' gewesen, dröhnt dumpf der Abschlag, ein Massenmorden herrlicher Waldungen hat begonnen, bedungen und erzwungen durch die vernichtende Thätigkeit des Fichtenspinners, auch „Nonne“ genannt, des Schreckens aller Forstleute.

Wohl hat es Nonnenraupen und -schmetterlinge zu allen Zeiten gegeben, aber seit der Mitte der fünfziger Jahre war ein so entsetzliches Massenauftreten dieses Waldverwüsters nicht mehr zu verzeichnen. Damals litten die Waldungen Ostpreußens bis nach Rußland hinein schwer; jetzt, fünfunddreißig Jahre später, haben wir ein Nonnenjahr zu verzeichnen, das zunächst Bayerns Waldungen gräßliches Unheil zufügt. Die stolzen schönen Bestände an Fichten und Kiefern auf der oberbayerischen Hochebene vom „Bayerischen Meere“, dem Chiemsee, herauf bis an die schmucken Anlagen Münchens und die Forste und Wildparke in nächster Umgebung der bayerischen Hauptstadt, dann die Waldungen in Niederbayern, der Oberpfalz und Schwaben sind jäh von den Nonnen überfallen worden und dem Untergange geweiht. Ein Wehschrei ganzer Völkerstämme dringt durch die Lande, vom Lech und der bergfrischen Isar, von den tosenden Gebirgsflüssen und Sturzbächen des Hochlandes, aber auch schon zittert der Klageruf über die blaue Donau und vom Norden herab, vom meerumschlungenen Schleswig-Holstein, von Oldenburg und Schlesien kommt die Trauerkunde, daß auch die dortigen mächtigen Forsten der Vernichtung anheimgefallen sind.

Wer je dem geheimnißvollen Rauschen der wie im Traume flüsternden Bäume lauschte, die Wunderwelt des Bergwaldes die Majestät der mächtigen Forste auf sich wirken ließ und all die Größe und Schönheit in sich aufnahm, dem mußte sich das Herz zusammenkrampfen bei der Kunde, daß auf Meilen in der Runde der ganze sattgrüne Kiefern- und Fichtenbestand rettungslos verloren sei durch die Gefräßigkeit eines einzigen Waldverwüsters. Der Liebe für den deutschen Wald zunächst ist es zuzuschreiben, daß in den Weheruf sich sofort die bittersten Vorwürfe mischten,


  1. Unsere Abbildung führt die „Nonne“ vom Anfange ihres Daseins an in den verschiedenen Stufen ihrer Entwicklung vor. An dem Kiefernstamme sitzen die eben aus dem gemeinsamen Eineste geschlüpften Räupchen (a). Sie erscheinen zu Anfang des Mai, winzig kleine, schwarze Dingerchen, die nun nesterweise zwei bis drei Tage lang auf ein und demselben Flecke sitzen bleiben und im Frühjahrssonnenschein sehr rasch wachsen. Diese Raupenhäufchen nennt man „Spiegel“, ihre Vernichtung heißt in der Jägersprache das „Spiegeln“.
    Nach dieser ersten Ruhepause gleich beim Eintritt in die Welt kriechen die schon bedeutend größer gewordenen Raupen den Baum hinan und beginnen an dessen Nadeln ihre verderbliche Thätigkeit. Nach rasch aufeinander folgender mehrmaliger Häutung ist die nun ausgewachsene Raupe (b) bräunlichgrün, mit blauen und rothen Warzen, und trägt auf dem zweiten Ring einen schwarzen, hinten blau, seitlich weiß gesäumten Fleck. Anfang Juli steigt die Raupe wieder den Baum hernieder, sucht sich einen passenden Riß in der Rinde und verpuppt sich dort, sich mit losen Fäden befestigend (c). – Kurze drei Wochen, und der schöne Falter sprengt die Hülle und fliegt im Tageslicht. Der Nonnenschmetterling hat sehr hübsch gezeichnete, schwarzweiße Flügel und rosafarbigen, schwarzgeringelten Hinterleib. Das Weibchen (d1 und d2) ist bedeutend, um gut 11/2 cm größer als der männliche Falter (d3), welch letzterer sich durch seine schönen buschigen, doppelt gekämmten Fühler sofort kenntlich macht.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_605.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2022)