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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

liebenswürdigen Eigenschaften, auch mit der Bitte, mich den Ihrigen aufs angelegentlichste zu empfehlen, bin ich

Ihr ergebener Tycho Snarre.“

„Furchtbar nett und lustig! Nicht wahr, Mama? Was sagst Du, Susanne?“ rief Dina nach Schluß der Vorlesung.

Susanne, die wie ein schönes, bleiches Madonnenbild dasaß, nickte sanft.

„Ja, Dina, Graf Snarre ist ein moderner Mensch mit all den guten Eigenschaften und Fehlern, die einmal zu einem solchen gehören. In erster Linie hat er trotz aller seiner Standesvorurtheile, seiner Selbstliebe und einer gewissen Unfertigkeit, die ihm stets anhaften wird, doch einen guten, ritterlichen Zug, und dieser hilft ihm und denen, die auf seinen Umgang und Verkehr angewiesen sind, immer über alles fort. Ich freue mich, daß Du ihn zum Freund gewonnen hast, vielleicht, und ich wünsche es Dir von Herzen –“ hier veränderte sich Susannens Gesicht und nahm einen liebenswürdig neckischen Ausdruck an – „wird er Dir bald noch etwas anderes und mehr sein!“

„Aber Susanne,“ eiferte Dina, nun ganz von Purpur übergossen. „Wie kannst Du nur so reden! Wenn der Graf Dich hörte, sein Standesgefühl müßte sich entsetzlich gekränkt fühlen. Ein Graf Esbern-Snarre kann mindestens auf eine Gräfin, wenn nicht auf eine Prinzessin Anspruch erheben, und Du glaubst, er könnte sich zu einer so kleinen Person, wie es Fräulein Dina Ericius ist, mit anderen als rein freundschaftlichen Absichten herablassen? Was würden seine hohen Ahnen dazu sagen! Es gäbe ja eine förmliche Revolution in ihren Gräbern, bis sie sich alle umgedreht hätten! Und weißt Du denn, ob das genannte Fräulein Ericius überhaupt geneigt wäre, ihre goldene Freiheit für eine neunzackige Grafenkrone hinzngeben? O, da kennst Du diese junge Dame doch sehr schlecht, sie hat auch ihren Stolz, und sie wird ihre bürgerliche Freiheit vertheidigen bis zum letzten Blutstropfen.“

Frau Ericius und Susanne lächelten über Dinas Rede, und namentlich die erstere sah ihre Tochter mit einem freundlichen Blick an.

In Dina schien sich Susanne noch einmal verjüngt zu haben, aber Dina war weniger wählerisch, als ihre Schwester es gewesen war, und, wenn auch bei geringerer Tiefe, liebenswürdiger und lebensfroher. Wie ein Sonnenstrahl glitt sie durchs Haus. Trat etwas Unliebsames an sie heran, wurde sie rasch damit fertig; mit unnöthigem Grübeln und Kopfhängen gab sie sich nicht ab. Gegenwärtig ward sie besonders durch ihre stillen Hoffnungen belebt. Wenn sie auch wie alle Liebenden Zweifel hegte, ob Graf Snarre ihr gleiche Empfindungen entgegenbringe, so that dies doch ihrem Glücksgefühl keinen Abbruch. Täuschte sie sich, so blieb Zeit genug, sich dem Schmerz dieser Enttäuschung hinzugeben. –

Kaum nach Verlauf einer Woche traf der von ihr ersehnte Brief des Grafen ein. „Ich komme morgen an und werde mir erlauben, Ihnen bereits mittags meinen Besuch zu machen. Vergessen Sie nicht, recht liebenswürdig zu sein gegen Ihren u. s. w.“ So lautete sein Inhalt.




14.

Inzwischen hatten sich in Limforden recht unliebsame Dinge zugetragen.

Am Tage der Abreise des Grafen von Snarre saß Alten mit tief herabgebeugtem Haupt in dem einstigen Arbeitszimmer seines Schwagers Tromholt und starrte finsteren Blickes vor sich hin. Er unterbrach erst sein stummes Grübeln, als Bianca, die ein wenig an Körperfülle zugenommen hatte, aber fast noch schöner geworden war und an diesem Tage besonders anziehend aussah, das Gemach betrat.

„Nun, mein armer Freund,“ hub sie an und legte, mit theilnehmendem Blick auf ihn zutretend, ihre Rechte auf sein Haupt. „Frißt noch immer der Aerger in Dir? Ich bitte Dich, wirf die Erinnerung an das Geschehene von Dir! Laß uns unser Augenmerk auf die Zukunft richten!“

Alten hörte, was seine Frau sprach, aber zunächst erwiderte er nichts.

„Ah, wie ich diesen hochmüthigen Aristokraten hasse!“ rief er dann plötzlich, sprang empor und maß mit aufgeregten Schritten das Zimmer. „Wie mir überhaupt die ganze Brut zuwider ist, obgleich ich – Gott sei’s geklagt – vermöge meiner Geburt zu ihr gehöre! Aber meine Voreltern erkannten das Merkmal des Adels in der Gesinnung. Vornehmes Denken und Handeln, Gerechtigkeit, Menschlichkeit war ihr Wahlspruch. Unter solchem Beispiel bin ich aufgewachsen. Diese Gesellschaft jedoch glaubt schon viel zu thun, wenn sie dem Bürgerlichen oder dem weniger gut gestellten Standesgenossen ein gezwungenes Lächeln schenkt. Nicht einen Augenblick kann ein solcher Mensch vergessen, daß er der hochgeborene Graf ist, nie kommt ihm auch nur der Gedanke, daß ein anderer ihm gleichwerthig oder gar mehr sein könnte als er. Ein ritterlicher Zug, sagst Du und sagen andere, soll in Snarre stecken? Ja, wenn man anbetend vor ihm im Staube liegt, wenn seiner Eitelkeit geschmeichelt wird, dann zeigt sich etwas Menschliches, Gutherziges in ihm; wenn sein schlauer Instinkt, nicht sein kleiner Verstand, es ihm räth, dann streut er Wohlthaten aus, aber nur – nur, um desto reichlicher zu ernten. Nein, nein, liebe Bianca, ein sehr gewöhnlicher Bursche ist er, fast ein Zwillingsbruder von Utzlar, nur stärker gefirnißt. Alles eine Sorte! Ich möchte mal sehen, wie er sich ausnähme, wenn er wie jener ein Habenichts wäre! Aber alle lassen sich von ihm blenden. Selbst Dein Bruder Richard –“

Hier unterbrach Bianca, die den Aufgeregten nicht durch Widerspruch hatte reizen wollen, ihren Mann und sagte milde: „Du irrst, Konrad! Richard sieht wohl des Grafen Schwächen, aber er rechnet mit ihnen, da er seiner eigenen gedenkt. Du aber übertreibst in Deinem Zorn. Snarre hat wirklich gute Eigenschaften, aber Ihr paßt einmal nicht für einander, und wo die Zuneigung fehlt, da nutzt es nichts, Pakte schließen zu wollen. Sei nicht böse, lieber Mann, aber Dein Benehmen war keineswegs besonnen, viel weniger weise. Snarre ist doch einmal Dein Vorgesetzter, und viel mehr hättest Du erreicht, wenn Du, statt so maßlos heftig zu werden, ruhig Deinen Standpunk erörtert hättest. Ich möchte den sehen, der solche Ausfälle gutwillig hinnähme und dessen Vorurtheilsfreiheit nicht durch solche Grobheiten getrübt würde. Du sagtest ihm fast dasselbe, was Du hier eben wie ein Feuer und Dampf ausspeiender Krater von Dir gestoßen hast. Ich bitte Dich, lieber Mann, konntest Du etwas anderes erwarten, als daß er Dir Deine Stellung kündigte? Ich gestehe, ich muß seine Mäßigung bewundern, die bewirke, daß er trotz seiner Empörung nicht mehr sagte als: ‚Sie wissen in Ihrem Zorne nicht, was Sie sprechen. Dem trage ich Rechnung und will mich als Entgegnung nur auf die Erklärung beschränken, daß ich unsern Vertrag als gelöst ansehe. Das Nähere wird Ihnen von Schloß Snarre aus zugefertigt werden!‘“

„Ja! Ja! Von Schloß Snarre aus zugefertigt werden!“ wiederholte Alten mit dunkelrothem Kopf, statt auf seiner Frau verständige Reden einzulenken. „Das ist ja eben jenes empörende Vonobenherab. O, es tut mir leid, daß ich ihm meine Ansicht nicht noch viel deutlicher gesagt habe!“

„Konrad, Konrad!?“ rief Bianca kopfschüttelnd. „Wenn ich Dich nicht kennte, wenn ich nicht wüßte, daß Du bei ruhigem Nachdenken stets gerecht und vorurtheilsfrei bist, ich könnte an Dir zweifeln. Was Du ihm ins Gesicht schleudertest, konnte jemand, der Ehrgefühl besitzt, nicht ruhig hinnehmen, und deshalb fand ich in des Grafen Haltung eine gewisse Hoheit. Er trug den Umständen Rechnung, er blieb dessen eingedenk, daß er Dich gereizt hatte, daß Du erregt warst, nicht wußtest, was Du sprachst – er nahm Rücksicht auf mich – kurz, er beherrschte sich, obgleich er vor Erregung bebte und Blässe sein Angesicht bedeckte. Sich beherrschen aber heißt, ein Mann sein. Darum ist Richard ein Mann, und Du wärest ihm in allem gleich, wenn Du Dich bezähmen gelernt hättest und Dich gewöhnen könntest, wie er die Dinge mit dem Auge des Philosophen anzusehen. Ich bitte Dich, zürne mir nicht, Konrad, daß ich so zu Dir rede. Es ist die Liebe, die aus mir spricht. Laß uns sinnen, wie wir jetzt unser Leben einrichten! Das erste wird sein, daß Du nach Kopenhagen reisest und mit Richard Dich beredest.“

Diesmal erwiderte Alten nichts. Er stellte sich ans Fenster und schaute stumm hinaus. Eben fuhren zahlreiche Wagen mit frisch geschnittenen Brettern und Bohlen vorüber. Sie kamen von den Dampfsägen und nahmen den Weg nach der Eisenbahnstation, damit ihr Inhalt von dort nach südlichen Plätzen verladen werde.

Alten beneidete in seiner gedrückten Seelenstimmung die Arbeiter um ihr Loos. Wenig Ansprüche erheben, wenig Bedürfnisse haben, hieß glücklich sein! Reue saß in seinem Herzen, schwere Sorgen reckten ihr Haupt empor, und alles, alles schien ihm schwarz und dunkel, jetzt und in der Zukunft. – –

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