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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

die Ruhe und Besonnenheit, die einen Tromholt auszeichneten. Wir passen auch sonst nicht zusammen wir sind zu verschiedene Naturen, und ganz unumwunden gesprochen, wenn ich Besitzer von Limforden bleiben sollte, wäre unser Zusammensein doch nicht von Dauer. Ich habe Veranlassung, zu glauben, daß auch Herr von Alten mit mir nicht zufrieden ist und sich nach einer Veränderung sehnt. Will er seinen früheren Posten als Gutsinspektor wieder übernehmen, habe ich nichts dagegen. Als solcher paßt er, und unser Verhältniß wird dann auch wieder ein anderes, besseres.“

Tromholt hatte in deutlicher Bewegung den schwarzen Bart gestrichen; es regte sich in ihm bei der Liebe, die er für Alten empfand, etwas wie Unmuth gegen Snarre, der denselben in so schonungsloser Weise preisgab. Aber das war doch nur vorübergehend. Er mußte zugeben, daß Snarres Auseinandersetzungen eine anerkennenswerthe Aufrichtigkeit bekundeten, die dem Manne zur Ehre gereichte und der einmal bestehenden Sachlage durchaus angemessen war. Künstliche Verhältnisse soll man nicht aufrecht erhalten wollen, und daß Alten als Durchgänger sich nicht immer im Zaum zu halten verstand, das wußte Tromholt.

Er ging deshalb vorläufig nicht weiter auf den Gegenstand ein, sprach nur in höflicher Weise sein Bedauern aus, daß der Graf seine Voraussetzungen bezüglich Altens nicht bestätigt gefunden habe, und schloß mit dem Versprechen, daß er sich die Sache überlegen und darauf zurückkommen werde.

Snarre schien durchaus befriedigt, er war es stets, wenn er keinen Widerspruch fand; und seine Hochachtung vor Tromholt wuchs.

Am Schluß ihrer sich um Allgemeines drehenden Unterhaltung fragte Snarre nach Utzlar. „Fräulein Dina, mit der ich recht fleißig Briefe wechsle und die mir erst heute wieder geschrieben hat, weiß nichts von ihm. Haben Sie zufällig Kunde, wo er sich aufhält?“

„Ja,“ entgegnete Tromholt einfach. „Seit drei Monaten steht er bei mir in Diensten und macht sich – gut.“

„Graf Utzlar bei Ihnen in Diensten?“ Snarre riß die Augen weit auf und machte ein Gesicht, als ob er glaubte, Tromholt habe einen Scherz gemacht.

Ueber Tromholts Angesicht zog ein liebenswürdiges Lächeln.

„Ich begreife, Herr Graf,“ entgegnete er, „daß Sie sich darüber wundern. Ich muß gestehen, daß ich vor zwei Jahren jeden andern Gedanken hätte fassen können als den, dem Grafen Utzlar in solcher Weise die Hand zu reichen. Aber vor der Noth schweigt selbst die Empörung. Er war in einer furchtbaren Lage, und zuletzt ohne seine Schuld. Nachdem er – wie das bei einem so ungewöhnlich leichtsinnigen Menschen wie Utzlar vorherzusehen war – das ihm von der Familie Ericius ausgezahlte Vermögen verthan hatte, suchte er zu arbeiten. Er mußte! Seine gewissenlosen Pläne, sich lediglich durch eine reiche Frau wieder emporzurichten und sich ein arbeitsloses Genußleben zu verschaffen, waren mißlungen. Die Gesellschaft bleibt sich doch mitunter noch treu, man wies ihm ziemlich allgemein die Thür. Nachdem er als Agent bei einer Versicherungsgesellschaft Stellung gefunden hatte, erkrankte er und verlor diesen Posten wieder. Später war er in einem Reitinstitut in Hamburg beschäftigt, und hier lernte er einen sehr verkommenen und völlig erwerbslosen Menschen kennen, der ihm den Vorschlag machte, mit ihm nach Kopenhagen zu gehen und daselbst ein ebensolches Institut zu gründen. Allein das Unternehmen scheiterte an dem Mangel genügender Betriebsmittel. Als die Dinge schief zu gehen anfingen, machte der ‚gute Freund‘ noch rasch alles vorhandene Material zu Geld, suchte mit der gemeinsamen Kasse das Weite und ließ den Kompagnon in einem kläglichen Zustand zurück. Da suchte dieser mich auf und bat, von allem und jeglichem entblößt, um Unterstützung. Ich habe kaum etwas ähnliches von Elend und Jammer gesehen. Tagelang konnte ich den Anblick nicht vergessen. Da schwieg alles andere in mir, und selbst auf die Gefahr hin, von der Ericiusschen Familie wegen dieses Schrittes falsch beurtheilt zu werden, gab ich ihm Arbeit und Verdienst.“

„Tromholt!“ rief Snarre aufspringend und die Hand seines Gastes ergreifend, „Sie sind ein herrlicher, ein großartiger Mensch! Ich bewundere, ich beneide Sie. Ach, was gäb’ ich darum, Ihnen gleichen zu können!“

Er sprach die Wahrheit. Wie klein kam sich der glänzende Aristokrat in diesem Augenblick neben dem schlichten, bürgerlichen, alle Lobsprüche bescheiden ablehnenden Mann vor, der einzig in treuer Pflichterfüllung gegen sich und andere das Glück fand, das Graf Snarre vergebens in den Zerstreuungen der Welt suchte! Wie arm war er gegen ihn!

„Was hören Sie von den Ericius?“ fragte der Graf plötzlich, und es war zweifelhaft, ob er mit dieser Frage die frühere Gedankenreihe verließ oder fortsetzte.

„Nichts, gar nichts, Herr Graf!“ erwiderte Tromholt fast barsch ablehnend, „ich habe keine unmittelbaren Beziehungen zu der Familie mehr, und auch von Alten habe ich keinerlei Nachricht über sie.“

Einen Augenblick sah der Graf Tromholt, dessen Augen sich unter seinem Blick senkten, scharf an, dann brach er das Thema, das jenem peinlich schien, ebenso unvermittelt, als er es begonnen hatte, wieder ab und fragte nach Larsens Schicksal. Auch von ihm wußte Tromholt nichts, seine Spur schien verloren, ohne Zweifel hatte er über dem Ocean ein sicheres Versteck gefunden, das ihn dem Arm der Gerechtigkeit für immer entzog. Noch eine halbe Stunde unterhielten sich die beiden Herren über allgemeinere Gegenstände, dann trennten sie sich für heute, nachdem Tromholt noch den Grafen für den andern Tag bei sich zu Tisch geladen und dieser die Einladung angenommen hatte.


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In dem nach dem Hafen liegenden Wohngemach der Familie Ericius saß acht Tage später Susanne um die Mittagszeit neben ihrer Mutter.

Die beiden Damen waren mit Handarbeiten beschäftigt, als Dina, einen Brief in der Hand bewegend, ins Zimmer stürmte. „Neuigkeiten!“ rief sie lustig, „das Allerneueste, und rathet nur, woher!“

Susanne war bei dem ungestümen Eintritt ihrer Schwester erschreckt zusammengefahren. Wie es jetzt oft geschah, waren ihre Gedanken weit abgeschweift von der zierlichen Spitzenarbeit, mit der sich ihre Hände mechanisch beschäftigten. Eine leichte Röthe flog über ihr bleiches Gesicht, während ihr Blick erwartungsvoll auf das Schreiben gerichtet war, das Dina mit geheimnißvoller Miene noch immer wie eine Fahne schwenkend emporhielt.

„Nun, woher denn?“ hub Frau Ericius an, „von Ingeborg Elbe – oder – von dem Grafen Snarre? Das sind ja die beiden Menschen, die Dich am lebhaftesten in Anspruch nehmen.“

„Von Ingeborg? – Nein! Die läßt, seit sie in Kopenhagen ist, selten etwas von sich hören! Auf zehn eingehende, ausführliche, höchst zärtliche Briefe von meiner Hand kommen kaum zwei von der ihrigen, aber –“

Hier entfaltete Dina ihren Brief und begann ihn den andern vorzulesen:

„Mein liebes verehrtes Fräulein!

Daß ich diesen Brief, an meinem Schreibtisch in Snarre sitzend, an Sie richte, wird zur Folge haben, daß eine Unmuthsfalte auf Ihrer schönen Stirn erscheint. Sie hatten ein Recht, zu erwarten, daß ich nach so langer Abwesenheit und bei unserm kameradschaftlichen Verhältniß zuerst Sie und die Ihrigen bei meiner Rückkehr begrüßen und auf dem Düsternbroker Weg vorsprechen würde. Aber kennen Sie den Wunsch, den Drang, das Beste sich bis zuletzt aufzusparen? So erklären Sie sich, ich bitte, abgesehen von einigen andern Gründen, mein Verhalten! Den ersten Brief aus Snarre jedoch empfangen Sie, und ich spreche die Wahrheit, wenn ich Ihnen sage, daß ich es kaum erwarten kann, mich wieder einmal anders als nur schriftlich von Ihnen necken und hänseln zu lassen. Sie erinnern sich, wie Sie mich verhöhnten, weil ich auf meiner Weltreise mich weder entschließen konnte, einen Elefanten, noch ein Dromedar zu besteigen. Ich füge hinzu, daß ich meinen Kopf darauf setzte, mich parisisch in Paris zu kleiden, daß ich, abgesehen von Ihnen und den Ihrigen, die Menschen im allgemeinen mittelmäßig erträglich und überhaupt das Dasein nicht sehr lebenswerth finde. Ich sende Ihnen zur Erhärtung meiner ersten Behauptung meine Photographie, und ich weiß, ohne zu sehen und zu hören, daß Sie alle Schalen Ihres Spottes über dieselbe ausgießen werden. Aber von Ihnen mag ich das! Nehmen Sie diese Erklärung, daß ich eine förmliche Sehnsucht danach habe, mich von Ihnen auslachen zu lassen. Wenn es der verehrten Familie Ericius genehm ist – und es würde mich das sehr glücklich machen – so erscheine ich in etwa acht Tagen und bringe Ihnen als Geschenk eine ausgestopfte Giraffe mit. Ich hoffe, daß Sie die Kleinigkeit annehmen und als Miniaturnippes auf Ihren Schreibtisch stellen werden. Immer in gleicher Verehrung und Bewunderung Ihrer

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