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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

des Raubritters, und der Burgvogt ließ sie ein in dem Wahne, es seien seines eigenen Herrn heimkehrende Leute.

Jahrhunderte lang lagen dann Mauertrümmer und Felsen, ein wirres Labyrinth, durcheinander, selten von einem kühnen menschlichen Fuße besucht, aber lange Zeit hindurch Wohnung von Füchsen und Luchsen. Nur ein Tag im Jahre war’s, der die Wunsiedler massenweise herauflockte, und eine Stelle, die sie besonders anzog und vereinte. Dieser Tag war der in die Mitte des Juli fallende St. Margarethentag, und diese Stätte eine riesige Granitplatte, die Bühne für ein seltsames Volksvergnügen, dessen wir heute gedenken müssen, da wieder dramatische Bilder durch die Luisenburg dahinziehen. Auf jener Granitplatte wurden nämlich lateinische, von Lehrern des Wunsiedler Lyceums verfaßte Schauspiele durch Schüler der Anstalt aufgeführt. Die Stadtkammer verwilligte Geld, es wurden Hütten gebaut; auch saß das nur wunsiedelisch Deutsch verstehende Publikum auf den zerstreuten Granitblöcken umher und stärkte die von ihren lateinischen Anstrengungen sich erholenden Schauspieler mit Wurst, Schinken und Bier. Zuletzt belustigte man sich fichtelgebirgisch auf eigene Faust, so daß der klassisch begonnene Tag schließlich doch noch zum richtigen Volksfeste ausschlug. Noch 1764 wurde der St. Margarethentag auf die angegebene Weise gefeiert. Sonst aber blieb es einsam und leer an der Stätte; es war dort nicht recht geheuer nach dem Glauben des Volkes, und so blieb man lieber weg. – Dies wurde anders am Ende des vorigen Jahrhunderts. Eine Gesellschaft wackerer Wunsiedler Bürger, an deren Spitze der von hohem Gemeinsinn erfüllte Stadtphysikus Schmidt stand, machte es sich zur Aufgabe, die Wunderwelt des Berges zu erschließen und heiterer lebensfroher Geselligkeit zu übergeben. Die unwirthliche Felsenwildniß wurde durch diese Männer, wie Goethe sagt, „spazierbar und im einzelnen beschaulich gemacht“, und dankbar feierten nun am 20. Juli die Enkel den hundertsten Jahrestag der Erschließung der „Luxburg“, wie man damals noch den Berg benannte. – Wie kam aber diese schauerlich großartige Felsenwildniß der Luxburg zu ihrem friedlich schönen Namen „Luisenburg“? – Es war in den Junitagen des Jahres 1805, da weilte in dem nahen Alexandersbad der König Friedrich Wilhelm III. und seine von allen Deutschen hochverehrte Gemahlin Luise. Die Königin Luise stand damals, 29 Jahre alt, in der höchsten Blüthe ihrer majestätischen milden Schönheit, deren Zauber kein Herz in ihrer Nähe sich entziehen konnte. Es ist Thatsache, daß selbst alte Leute aus dem Volke bei ihrem Anblick vor Entzücken weinten und jedermann ihr eine fast abgöttische Verehrung zollte, die durchaus nichts Gemachtes an sich hatte, sondern der nothwendige Herzenszoll an ihre mit sanfter Würde verbundene hohe Schönheit war. Jener Aufenthalt in Alexandersbad waren Tage hohen Genusses für die Königin, vielleicht die glücklichsten ihres Lebens, der Silberblick desselben, hinter welchem die Nacht düster aufstieg. Es war das Jahr vor der Schlacht bei Jena und Auerstädt, in der die Macht des preußischen Staates unter den Tritten des korsischen Eroberers zusammenbrach. Und der Königin Luise war es nicht mehr beschieden, den neuen Tag, der auf die Nacht folgte, noch zu erleben.

Damals aber, in der Idylle von Alexandersbad, ahnte man noch nichts von solchem unsäglichen Unheil. Ein Freudentag reihte sich an den andern; die Hochgefeierte lebte in einem dauernden Wonnerausch. Alles, was Füße hatte, eilte in das grüne Thal der Waldquelle, eine Massenwanderung der preußisch-fränkischen Bevölkerung zum allgemeinen Freudenfeste. Die Königin sehen und ihr zujauchzen, galt den treuen Menschen für das höchste Glück. Greise und Greisinnen mußten herbeigeführt werden, um der hohen Frau einen zärtlichen Blick zuwerfen, ein Segenswort zurufen zu können; Mütter trugen ihre Kinder meilenweit, um ihnen die geliebte Landesmutter zu zeigen.

Die Moosgrube

Darf es uns Wunder nehmen, daß da die Schöpfer der neuen Anlagen in der Luxburg auf den Gedanken kamen, ihr schönes Kleinod mit dem geliebtesten Namen, den sie kannten, zu taufen? Und so geschah’s; als der Hof am 15. Juni dem schönen Fleck Erde einen Besuch abstattete, da trat ein Chor weißgekleideter Mädchen aus der am Wege gelegenen, jetzt „Klingershöhle“ benannten Grotte und vekündigte den königlichen Gästen, daß der Berg von nun an „Luisenburg“ heißen werde.

Doch nun zu der Gegenwart und ihrer festlichen Feier! Den Mittelpunkt derselben bildete ein von Reallehrer Ludwig Hacker verfaßtes Bergfestspiel „Die Losburg“ *[1]. Es läßt den Berg selbst seine Geschicke in großen Zügen erzählen. Der großartige Felsenschauplatz belebte sich mit dramatischen Bildern, durch die sich der einheitliche Gedanke hindurchzieht, daß der Fluch, der auf dem Berge infolge der dämonischen Macht des Goldes lastete, durch die reine Weiblichkeit einer hohen Frau wieder gesühnt wird. So wurde die Feier der Luisenburg-Eröffnung zugleich zu einer nationalen Huldigung für die hochverehrte Königin. Der Erfolg war ein unbestrittener, durchschlagender, und man darf den Lorbeerkranz, welcher dem Verfasser am Schlusse der Vorstellung überreicht wurde, als einen reich verdienten bezeichnen; hatte der Dichter doch auch das mühevolle Amt des Regisseurs auf seine Schultern genommen und nicht bloß alle Rollen den Mitspielenden persönlich einstudiert, sondern auch von seinem erhabenen Beobachtungsposten aus den Gang des ganzen Stückes geleitet!

Aber welch eine Bühne diente auch dem Spiele zum Schauplatz! Die herrlichste, die je eines Menschen Auge geschaut hat! Unter den rauschenden Aesten gewaltiger Tannen und Fichten harrt die Menge erwartungsvoll der Dinge, die da kommen sollen, vor sich den mächtigen Aufbau der moosbewachsenen Felsen, die, vier Stockwerk übereinander aufgethürmt, den „Max-Josephsplatz“ der Luisenburg umgeben. Eine weihevolle Stimmung liegt über dem Ganzen. Himmelstrebende Granitmassen bilden die Coulissen, geheimnißvolle Grotten und Schluchten entdeckt das spähende Auge mehr und mehr, und über all dem rankt sich soffitenartig das dunkelgrüne Gezweige der ehrwürdigen Bäume, das Tageslicht nur gedämpft hindurchlassend. Bricht sich aber ein heller Sonnenstrahl durch das Geäste Bahn, dann erscheint die Bühne in dem Zauber einer unvergleichlichen Verklärung.

Hornsignale und Kampfgetöse tönen vom Fuße des Berges


  1. * Das Festspiel ist auch im Druck erschienen (Wunsiedel, Buchdruckerei von Ad. Beer).
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_574.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2023)