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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

alles wieder glatt und eben, wie sich’s gehört. Seitdem ist keine Woche vergangen, daß wir nicht alle vier einen Abend oben bei Wolfgang gemüthlich verplaudert hätten, und ich versichere auf Ehre: wenn ich früher in Marie verliebt war, so habe ich heute einen beinahe ehrfürchtigen Respekt vor ihr. Das ist die rechte Frau für Lothar, und das Herz geht einem auf, wenn man die beiden so im Stillen beobachtet. Sie ist aufgeblüht wie ein Röslein, und in Lothar werdet Ihr den alten Brummbären und Stubenhocker auch schwerlich wiedererkennen.“

Der General hustete und beschäftigte sich sehr angelegentlich mit seinem Teller. Cilly aber fragte anscheinend ganz unbefangen:

„Und Wolfgang? Du unterhältst jetzt also freundschaftlichen Verkehr mit ihm?“

„Gewiß! Ist ja trotz seiner demokratischen Schrullen ein prächtiges altes Haus, und es weiß ohnedies schon die ganze Welt, daß wir Vettern sind. Stößt sich aber niemand mehr daran, auch nicht unter den Kameraden! Halb Berlin hebt ihn wegen seiner Geschicklichkeit in den Himmel, und das Geld kann er nur so mit Scheffeln messen. Er hat mich übrigens beauftragt, meinen verehrten Eltern die schönsten Empfehlungen und meinem lieben Schwesterchen die herzlichsten Gruße auszurichten.“

Der General schwieg noch immer, aber er sah gar nicht so böse aus, daß man dies Schweigen hätte für ein schlimmes Zeichen nehmen müssen. Das Thema wurde dann nicht weiter berührt; aber als Engelbert am nächsten Tage von Eltern und Schwester in dem eleganten Landauer des Gutsherrn zur Bahnstation begleitet wurde, sagte der alte General plötzlich:

„In drei Wochen feiern wir ja den Geburtstag der Mama; wenn Du Deinen Bruder dazu mitbringen willst, Engelbert, so soll er mir herzlich willkommen sein.“

„Das ist ein Wort, Vater! Seit gestern liegt mir’s auf dem Herzen, ohne daß ich den Muth hatte, damit herauszuplatzen. Aber – eines muß ich doch auf jede Gefahr hin sagen: allein – allein kommt er nicht!“

„Nun, so soll er mit seiner Braut kommen! Ich denke, es ist Platz genug im Schlosse!“

Obwohl sie im offenen Wagen fuhren und obwohl rechts und links auf den Feldern die Tagelöhner an der Frühlingsbestellung waren, sprang Cilly doch aus den Polstern auf, um sich dem General an die Brust zu werfen.

„O Du Herzenspapa! – Aber ich wußte es ja, hier draußen würde sich alles finden!“

*  *  *

An dem nämlichen Tage empfing Wolfgang Brenckendorf ein Telegramm, welches nichts weiter enthielt, als das einzige Wörtchen: „Komm!“ – und wenn es auch nicht gerade der Schah von Persien war, den er im Stich lassen mußte, so nahmen es ihm doch einige seiner vornehmsten Kunden sehr übel, daß er sich genöthigt sah, in dringender und unaufschiebbarer Angelegenheit plötzlich eine Reise anzutreten.

Der Empfang, welchen er auf Groß-Hagenow fand, war zwar ein wenig steif und kühl, doch von verbindlichster Höflichkeit, und nach Beendigung der fast einstündigen Unterhaltung, welche der General in seinem Arbeitskabinett mit dem Besucher hatte, schien auch der Verkehrston ein wesentlich wärmerer geworden zu sein. Jedenfalls hatte Seine Excellenz nichts dagegen einzuwenden, daß Cilly ihrem Vetter ohne weitere Begleitung den Park und die Gewächshäuser zeigte, und als sich der Zahnarzt am Abend verabschiedete, sagte der Gutsherr von Groß-Hagenow beim letzten Händedruck:

„Was bleibt mir altem Manne anderes übrig, als mich besiegt zu geben! Auf frohes Wiedersehen denn, mein lieber Sohn!“ –

*  *  *

Während im festlich erleuchteten Speisesaale des Schlosses Groß-Hagenow die Gläser der Gäste aneinander klangen auf das Glück der beiden Brautpaare des Hauses Brenckendorf, trieb der laue Frühlingswind sein Spiel mit den jungen Grashalmen auf einem schmucklosen Grabe. Weder Kreuz nach Stein nannte den Namen desjenigen, welchen man vor Monaten da unten gebettet hatte. Nur ein schwarzes Stäbchen war am Kopfende des Hügels in die Erde gesteckt, und es trug neben einer Zahl die Buchstaben J. H. – Nichts war da, was die Erinnerung an den armen Studenten aus Galizien auch nur für eine kurze Spanne Zeit hätte wacherhalten können im Gedächtniß der Menschen; die Spur seines Daseins war vertilgt und ausgelöscht, als hätte er niemals unter den Lebenden gewandelt.

Der Arm der irdischen Gerechtigkeit hatte ihn nicht mehr erreicht, um zu strafen, was er verschuldet. Er war vor einen Richter gerufen worden, von dem wir nicht wissen, wie schwer er die Sühne bemißt für unser Irren und Fehlen.

Das nur wissen wir, daß die kleinen Wiesenblumen auch über dem Haupte des Sünders blühen und daß die Nachtigall ihre sehnsüchtig süße Weise singt auch in dem Busch, der aus seinem Grabe sprießt.




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Volksheilstätten für Lungenkranke.

Von Dr. med. Karl Driver.

Unter allen Krankheiten der Menschheit, die verheerendsten Seuchen nicht ausgenommen, giebt es keine, an welcher jahraus jahrein so viele Menschen zu Grunde gehen, als die Lungenschwindsucht. Nun hat der berühmte „Bacillenvater“ Robert Koch in Berlin unumstößlich nachgewiesen, daß die alleinige Ursache dieser Krankheit der sogenannte Tuberkelbacillus ist, ein schlankes Stäbchen (bacillus = Stäbchen) von etwa fünf tausendstel (0,005) Millimeter Länge, so daß ein solches erst bei mindestens dreihundertfacher Vergrößerung in einem guten Mikroskope und gefärbt sichtbar zu werden anfängt.

Dieser Bacillus ist es, der die Lungenschwindsucht veranlaßt, in der Lunge des Kranken sich stark vermehrt und mit dem Auswurfe hinausbefördert wird. Und dieser Auswurf der Lungenkranken nun ist die hauptsächlichste Quelle der Gefahr für andere; denn wo dem Bacillus einige Wochen Ruhe zur Ansiedelung gelassen werden, wo er ferner ein geeignetes Nährmaterial für sich vorfindet, da richtet er große Verwüstungen an und ist äußerst schwer oder nie wieder zu vertreiben. Ich will hier nicht weiter auf Fragen eingehen, die endgültig noch nicht erledigt sind, so z. B. auf welche Weise der Auswurf ansteckend wirkt: ob dadurch, daß er vertrocknet, verstäubt und ‚eingeathmet‘ sich in den Lungen ansiedelt und die Schwindsucht hervorruft – eine Annahme, die durch ihre Einfachheit verlockend erscheint und von der Kochschen Schule auch zu der ihrigen gemacht worden ist, gegen die aber eine Menge schwerer Bedenken von gewichtiger Seite vorgebracht wird, – oder ob die Bacillen in trockenem oder feuchtem Zustande durch zufällige, wenn auch kleinste Wunden der Haut oder der Schleimhäute der Nase, des Mundes oder auf dem Wege der Lymphgefäße an den Ort gelangen, wo sie festen Fuß fassen – auf diese und andere Fragen ist hier nicht der Platz, näher einzugehen. Doch bleibt von der Beantwortung derselben die Thatsache unberührt, daß der bacillenhaltige Auswurf Lungenkranker der Hauptträger des Schwindsuchtsgiftes ist und deshalb unter allen Umständen so schnell und so gründlich wie möglich vernichtet werden muß. Nebenbei will ich nur noch darauf hinweisen, daß die Milch sowohl wie das Fleisch schwindsüchtiger (perlsüchtiger) Kühe, insbesondere erstere, wohl gar nicht so selten den Ausgangspunkt der menschlichen Schwindsucht bilden. Es ist nämlich nachgewiesen worden, daß die Milch von perlsüchtigem Rindvieh in 55 Prozent aller Fälle Schwindsuchtsbacillen enthielt. Wir sollen daraus die Lehre ziehen, nie rohe Milch zu genießen, sondern nur gekochte; längeres Kochen tödtet die Bacillen in der Milch unfehlbar, ohne den Nährwerth der letzteren herabzusetzen.

Alsbald nach der Entdeckung, daß die Lungenschwindsucht durch einen besonderen Spaltpilz hervorgerufen wird, glaubte eine Menge berühmter und unberühmter Aerzte, daß es nun das wichtigste sei, nach einem besonderen Heilmittel dagegen auf die Suche zu gehen, entweder um mit demselben die Bacillen im Innern des menschlichen Körpers unmittelbar zu tödten oder doch wenigstens die Gewebszellen oder die Gewebsflüssigkeit derartig zu verändern,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_570.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2022)