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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ohne indessen einen Grund für diese plötzliche Beunruhigung angeben zu können. Doch war sie seitdem durch kein Zureden mehr zu bewegen gewesen, das Haus zu verlassen, und ihre durch furchterregende Vorstellungen gehobene Seelenangst kehrte wieder, sobald sie allein war.

Daß Larsen sich jetzt noch in der Gegend befinde, hielten die Gutsleute, soviel sie auch sonst dem gewaltthätigen Kapitän zutrauten, einstimmig für eine Unmöglichkeit. Der rothe Jeppe war von den Gendarmen bald nach dem Anschlag auf Ingeborg gefaßt worden, hatte erst alles geleugnet, dann aber sich als das unschuldige Opfer von Larsens Verführung hingestellt und dessen Versteck in Mückern dem Gericht verrathen. Dort wäre dieser auch zweifellos festgenommen worden, hätte nicht des alten Brausekopfs Elbe eigenmächtiges Eingreifen die Vorsicht der Gendarmerie durchkreuzt und Larsen in dem Augenblick aus der Schlinge befreit, als sie sich eben um seinen Hals zusammenzuziehen drohte. Nun hatte aber Larsen auch den Alten, aus dessen noch immer kräftigen Fäusten er sich durch einen Messerstich gelöst, auf dem Gewissen, und die Strafe, die auf diese That stand, war eine weit schwerere, als er sie für sein erstes Verbrechen zu gewärtigen hatte. Seine Spur war seitdem verloren; zwar hatten die Behörden Beschlag auf sein Schiff gelegt und sein Signalement nach den benachbarten Hafenplätzen, wo er etwa fremden Dienst hätte suchen können, gesandt, aber trotzdem zweifelte niemand daran, daß es dem geriebenen Fuchs doch noch gelungen sei, sich ein Loch offen zu halten, und daß er jetzt wohl schon weit draußen auf hoher See schwimme, um nicht so bald wieder in sein Vaterland zurückzukehren.

Ingeborgs Angst aber erklärte der Arzt für eine Folge der furchtbaren Nervenerregung, die sich ihrer in jener Nacht im Moor bemächtigt hatte. Nur mit der Zeit und unter dem Einfluß einer anderen Umgebung werde sie sich legen.

Wer aber in Ingeborgs Herz hätte sehen können, der wäre wohl zu anderen Schlüssen gekommen. Sie hatte einen guten Grund für ihre Angst, den sie jedoch, da sie von den jüngsten Ereignissen in Mückern nicht unterrichtet war, aus Besorgniß für ihren Vater den andern verschwieg. –

Larsens Leidenschaft für das Mädchen war durch das Mißlingen seiner Anschläge nur gesteigert, ja bis zur Raserei entfacht worden. Nachdem er einmal den Weg der Gewaltthat betreten hatte und, von den Gerichten verfolgt, als Geächteter herumirrte, bebte er auch vor dem Aeußersten nicht mehr zurück. Das Mädchen war sein Eigenthum, ihm von Jugend aus zugesprochen, daran klammerte er sich mit der ganzen Zähigkeit seines Charakters, und daß ein anderer ihm dieses Eigenthum rauben könnte, erhöhte ihm nur dessen Werth und erfüllte ihn mit namenlosem Ingrimm. Sein Schiff, sein Vermögen konnten sie ihm nehmen, aber sie nicht. Er mußte fliehen in ein anderes Land, einen andern Welttheil, ja, das wollte er, aber nicht ohne sie, nicht, wenn sie hier lebend zurückblieb. Daß ein anderer sie, sie einen anderen lieben könnte, der Gedanke hatte wie ein Blitzstrahl sein arbeitendes Gehirn erleuchtet. Lange hatte er über die erst kaum begriffenen Gründe ihrer Entfremdung von ihm nachgegrübelt; seine Untreue konnte ihr verrathen worden sein, wohl; aber dieser Umstand war in seinen Augen nicht bedeutend genug, um ihre plötzliche Flucht am Hochzeitstag zu erklären. Er vergegenwärtigte sich noch einmal die Ereignisse dieses Tages, und da erkannte er die Wahrheit. Waren denn nicht an jenem Morgen mit dem alten Elbe der Direktor von Limforden und dessen Schwester als unerwartete und ungebetene Gäste zu Mückern im Hause seiner Mutter eingetroffen, hatten sie nicht Blicke mit einander gewechselt, sonderbare Blicke, die er damals nicht verstand und auch nicht weiter beachtete, und hatte nicht während eines Gesprächs über das Seemannsleben, in das ihn, Larsen, der Direktor verflochten, Ingeborg ihre Flucht bewerkstelligt? – Ja, so war es, und das alles war ein abgekartetes Spiel zwischen ihnen gewesen, seine Wachsamkeit zu täuschen, ein Spiel, dem sogar der alte Elbe, der seines gegebenen Worts gern auf irgend eine Weise quitt geworden wäre, nicht fern stand. Auch über die Richtung ihrer Flucht hatten jene ihn getäuscht, zu Tromholt nach Trollheide war sie geflohen; natürlich, sie kannte ja den Weg dorthin oder nach Limforden, sie hatte ihn früher schon gemacht, früher – ja – und von daher kam ihre Entfremdung. Wie hatte er, Larsen, nur so blind sein können! Tromholt hatte sie ihm entrissen, Tromholt liebte das Mädchen, und sie liebte ihn lange schon. Er wollte sie heirathen, das gefiel natürlich dem alten Elbe, und weil es in Limforden, wo sie Wirthschafterin und Tromholt Direktor gewesen war, doch nicht wohl anging, deshalb hatte dieser jetzt den Posten angegeben und war ins Ausland, nach Kopenhagen, gereist. Auch das war nur eine Komödie, um ihn, Larsen, zu täuschen. Ingeborg wartete nur, bis jener kommen würde und sie hinüberholte als sein Weib. Nun glaubte er, alles zu durchschauen, aber lange genug war er das Opfer ihres Betrugs gewesen, ein grimmiger Haß erfüllte ihn gegen Tromholt und Elbe, selbst gegen Ingeborg, ein Haß, der seine Begierde nach ihrem Besitz nur noch heftiger anfachte.

(Fortsetzung folgt.)




Markgröningen und der Schäferlauf.

Ein Volksfestbild von Paul Lang. Mit Zeichnungen von E. Leuenberger.

Es hat allhiesig gemeine Stadt Marggröningen vor andern und alleinig von uralt und urdenklichen Zeiten an das gnädigste Spezial-Privilegium, daß alle Schäfere dieses hochlöblichen Herzogthums alljährlich auf den Feyertag Bartholomäi allhier eine Zusammenkunft halten und dabei dem gewohnlichen Lauff abwarten, auch ihre Meister- und Leggelder gebührend entrichten müssen. Bei welchem Lauff Stadt wegen demjenigen Schäfer, der nach dem vorgesteckten Zihl den Hammel erstens erreichet, dieser ohnentgeltlich zukommt, denen Schäferinnen aber etlich Ehlen Barchet oder sonst etwas dafür zu verlauffen und ein Seckel zu vertanzen angeschaffet, sofort nachmals ein freyer Tanz auf offentlicher Gassen anzustellen erlaubt, und endlich noch denen ältesten Meistern etlich Duzend Nestel präsentiert werden … welch alles altem Herkommen gemäß Stadt wegen aus dem Burgermeister Amt bestritten wird.“

Also steht in dem „Saal- und Lagerbuch“ der Stadt Markgröningen, einem 583 Blätter umfassenden Schweinslederband, der von Johann Eberhard Paulus, einem Vorfahren des bekannten freisinnigen Theologen, 1751/54 „mit Fleiß zusammengetragen“ worden ist, auf Blatt 318 verzeichnet. Wenn ich aber den freundlichen Leser heute einlade, mit mir nach Markgröningen, dem uralten schwäbischen Landstädtchen, zu pilgern, so geschieht das nicht zu dem Zweck, daß wir miteinander in vergilbten Urkunden blättern, so treuherzig sie abgefaßt sein mögen, sondern wir wollen uns die Stadt selbst, wie sie heutzutage besteht, und ihr Fest, den „Schäferlauf“, wie er in der Gegenwart abgehalten wird, miteinander ansehen.

Wir steigen aus der Eisenbahnstation Asperg (zwischen Bietigheim und Ludwigsburg) aus. Den massig aufgebauten Hohenasperg mit seinem über Schubarts Kerkerzelle neu aufgeführten Wasserthurm lassen wir zur Rechten liegen und befinden uns, nachdem wir die Stadt Asperg durchschritten haben, in einer behaglichen, fruchtbaren, ziemlich ebenen Landschaft. Zur Rechten begleitet uns ein niedriger Höhenzug, der als westlicher Ausläufer des Aspergs allmählich sich abdacht, um dort, wo die fast bis auf die letzte Spur verwischten Trümmer der „Schlüsselburg“ liegen, noch einen steilen Vorsprung gegen das Glemsthal zu bilden.

Es ist frühmorgens im Spätsommer, am 24. August. Das Getreide ist eingeheimst, und neben dem Stoppelfeld, oder, um

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_560.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2022)