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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Vernichtung der Einzelstaaten erreicht werden könne, machte man sich so wenig klar, daß diese „Unitarier“ sicher in Entrüstung gerathen wären, wenn man ihnen zugemuthet hätte, sich ihrem Ziele zunächst durch Entthronung ihrer Landesfürsten zu nähern. Aus dieser Unklarheit über den Weg zum Ziele wird man aber der studierenden Jugend gewiß keinen Vorwurf machen dürfen. Theilte sie dieselbe doch mit den gereiften Männern der Zeit, selbst mit denen, welche sich berufsmäßig mit politischen Fragen beschäftigten. Noch hielt die staatsrechtliche Lehre mit ganzer Schroffheit an dem starren Begriff der vollen landesherrlichen Hoheit fest. Danach konnte es nur einen Einheitsstaat oder einen rein völkerrechtlichen Bund der in voller Selbständigkeit verharrenden Einzelstaaten geben. Einen Staat über Staaten, einen zusammengesetzten Staat, kurz den Bundesstaat kannte man noch nicht, obwohl er, wenn auch in namenlos verrotteter und verworrener Gestalt, schon in den Formen des alten Reiches bestanden hatte. Eben diese Form aber hatte, ihre Fehler für ihr Wesen haltend, dereinst Samuel von Pufendorf für ein Monstrum erklärt!

Die Frage der Zukunft schien also zu lauten: Einheitsstaat oder Bund der vollkommen selbständig verbleibenden Einzelstaaten? Da der letztere mit dem erwachten Einheitsbewußtsein unvereinbar erschien, so war es erklärlich, daß die meisten Verehrer des nationalen Gedankens der Lehre vom Einheitsstaate anhingen. Was alsdann mit den Einzelstaaten werden solle, vollends gar, wie in dem Einheitsstaate der verhängnißvolle Dualismus zwischen Preußen und Oesterreich überwunden werden solle, diese Frage sich zu stellen, daran dachten die Begründer der deutschen Burschenschaft ebensowenig wie die sonstigen politischen Führer der Nation. Diese Frage zu beantworten, die Theorie des zusammengesetzten Bundesstaates gleichsam wieder zu entdecken, das war die Aufgabe des nächsten Geschlechts, die Aufgabe, welche mit der der Erziehung des Volkes zur Einheit zusammenfiel.

Einstweilen war es bei aller Unklarheit über die Wege zum Ziel doch schon von großer Bedeutung, daß dieses Ziel selbst nicht mehr bloß von einzelnen geahnt, sondern voll einer großen Vereinigung der Besten der deutschen Jugend klar und scharf aufgestellt war, daß diese Vereinigung danach strebte, in ernster wissenschaftlicher und sittlicher Selbstzucht sich zur Mitarbeit an der Erreichung dieses Zieles vorzubereiten. Denn daran kann doch heut kein Zweifel mehr sein: nicht in dem, was die Burschenschaft als Studentenverbindung selbsthandelnd leistete, liegt ihre eigentliche Bedeutung für die Geschichte des deutschen Volkes, sondern in dem erziehlichen Einfluß, den sie auf ihre Mitglieder ausübte, in dem Geiste, mit dem sie ihre Mitglieder in der Studentenzeit durchdrang und den diese mit hinübernahmen ins praktische Leben, in welchem sie die Ideen zu verwirklichen strebten, die sie in der Universitätszeit in sich aufgenommen hatten. Aus der Burschenschaft ist ein großer Theil der Männer hervorgegangen, die dann die Lehrer, Erzieher und Führer ihres Volkes auf dem Wege zur staatlichen Einheit geworden sind. In diesem Idealismus, mit dem die Burschenschaft den nationalen Gedanken hochhielt, hegte und pflegte, liegt ihr größtes, ihr unbestreitbares Verdienst.

Die Ideen der neuen Vereinigung fanden begeisterte Zustimmung und schnelle Verbreitung, nicht bloß in Jena, sondern auch an den andern deutschen Hochschulen, wo ihnen zum Theil schon durch die Bestrebungen des Turnvaters Jahn vorgearbeitet worden war. In Jena umfaßte die Burschenschaft sehr bald wirklich den größten Theil der Studentenschaft, die alten Landsmannschaften lösten sich, wie wir sahen auf: eine Zeit lang hat es in der That in Jena außer der Burschenschaft keine studentische Vereinigung gegeben. Die akademischen Behörden wie der hochherzige, national- und freigesinnte Großherzog Karl August, der große Freund Goethes, duldeten die Burschenschaft nicht nur, sondern sahen ihr Wachsen und Gedeihen besonders gern. Denn sehr bald machte sich der sittlich ideale Einfluß derselben auf das akademische Leben deutlich bemerkbar. Das gesellige Leben wurde zugleich edler und freier, das wissenschaftliche Streben der Studenten, ihre Ehrerbietung und Verehrung gegen ihre akademischen Lehrer wuchsen zusehends. Und Karl August wäre der letzte gewesen, der den nationale Gedanken, der in der Burschenschaft lebte, mit Mißtrauen betrachten oder gar hätte unterdrücken wollen, wie das sehr bald die anderen deutschen Regierungen, namentlich Metternich, von ihm verlangten. War er doch der erste unter den deutschen Fürsten, der seinem Volke das Versprechen einer freisinnigen Verfassung voll und ganz erfüllte!

So konnte sich die Burschenschaft zunächst frei und ungehindert entwickeln, so konnte sie sich auf die andern Hochschulen verbreiten, so konnte schon zwei Jahre nach ihrer Gründung der Gedanke auftauchen, der erstrebten Einheit der gesammten Jugend der deutschen Hochschulen einen äußeren Ausdruck zu geben und so wenigstens an einem Punkte des deutschen Lebens die ideale Einheit zu verwirklichen. Es ist bekannt, daß das in dem vielberufenen und mit Unrecht verdächtigten großen Wartburgfeste, das von einem Zeitgenossen als „ein Silberblick deutscher Geschichte und als ein Blüthendurchbruch unserer Zeit“ bezeichnet wurde, geschah.

In der That war es ein Fest voll idealen und nationalen Schwunges, voll hingebender Begeisterung für das gemeinsame Vaterland, das hier auf der altehrwürdigen Burg gefeiert wurde. Mit voller Absicht hatte man gerade diesen Ort und gerade den 18. Oktober für die Feier ausgewählt. Erblickte man doch mit Recht in der Wartburg eine geheiligte Stätte großer nationaler Erinnerungen. Hatte doch hier dereinst zur Zeit der ersten Blüthe der deutschen Nationallitteratur der kunstsinnige Landgraf Hermann von Thüringen die Edelsten unld Besten der Dichter- und Sängerschar um sich vereinigt, hatte doch hier drei Jahrhunderte später der große Reformator eine Zufluchtsstätte gefunden, von dem die größte befreiende Geistesthat der neueren deutschen Geschichte ausgegangen ist. Hier wollten sich die Burschen der deutschen Hochschulen zusammenfinden, um die Erinnerung an jene befreiende Geistesthat feierlich zu begehen. Den 18. Oktober aber hatte man gewählt als Gedächtnißtag an die befreiende Völkerschlacht bei Leipzig, in der Deutschlands Stämme zum ersten Male seit langer Zeit zu einem großen Zweck vereinigt sich in deutlich ausgeprägtem Einheitsbewußtsein gefunden hatten.

So kamen sie denn in den Tagen vor dem 18. Oktober 1817 aus allen Theilen Deutschlands, besonders zahlreich natürlich aus demt nahe gelegenen Jena, zusammen, die frischen, begeisterten Burschen der deutschen Hochschulen, um ein echt vaterländisches Fest zu begehen. Metternich freilich und die von ihm beeinflußten reaktionären Regierungen, die jedes Streben nach nationaler Einigung mit finsterem Haß beobachteten, standen dem Feste voll Mißtrauen gegenüber; sie hatten eifrig versucht, den Großherzog Karl August zu einem Verbot desselben zu veranlassen.

Aber der hochherzige Fürst war weit entfernt davon, sich diesem Ansinnen zu fügen. Im Gegentheil, er gab nicht nur die erbetene Erlaubniß, er beauftragte die Behörden, der akademischen Jugend vertrauensvoll sämmtltche Räume der Wartburg zur Verfügung zu stellen, er ließ für das Festmahl seine Fischteiche öffnen und schenkte sogar zu dem geplanten Freudenfeuer Holz aus seinen Forsten und eine Summe Geldes zur Bestreitung der Kosten.

Und wahrlich, sie verdienten das Vertrauen, welches der edle Fürst ihnen schenkte! Das Fest verlief in voller Ordnung und durchaus würdig. Hochangesehene Lehrer der Jenenser Hochschule wie der Hofrath Fries und der große Naturforscher Oken waren mit herübergekommen, um an der Feier theilzunehmen. Der letztere hat in seiner Zeitschrift „Isis“ berichtet, daß alle Anwesenden durch das Erhebende und Großartige der Feier zu Thränen gerührt wurden. Am Morgen des 18. Oktober bewegte sich der stattliche Zug, die Studierenden der verschiedenen Hochschulen zu zwei und zwei ohne jede landsmannschaftliche Gliederung, von der Stadt hinauf zur allehrwürdigen Feste. Dort wurde im großen Wartburgsaale, nachdem die Versammelten den Choral „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ gesungen hatten, von dem mit dem Eisernen Kreuze geschmückten stud. theol. Riemann eine patriotische Festrede gehalten, die, voll vaterländischer Begeisterung, alle Anwesenden zu jubelndem Beifall hinriß. Darauf sprachen noch Oken und Fries anerkennende und ermunternde Worte zu der akademischen Jugend. Dann löste sich die Versammlung im Burghofe auf. Am Abend wurde auf dem der Wartburg gegenüberliegenden Wartenberge ein Freudenfeuer angezündet, um das sich die Festtheilnehmer in froher Jugendlust gruppirten. Hier war es dann, wo noch am späten Abend, nachdem die Jenenser Professoren und die Mitglieder des Festausschusses sich bereits entfernt haten, von einigen wenigen Festgenossen unter Führung des Berliner Studenten Maßmann in Erinnerung an die Verbrennung der päpstlichen Bannbulle durch Luther jenes von schäumendem Jugendübermuthe eingegebene Autodafé veranstaltet wurde, in welchem eine Reihe von politischen Schriften reaktionären Inhalts, darunter solche von Kotzebue, Schmalz und Kamptz,

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