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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

welches jetzt zum ersten Male die Massen des Volkes ergriff. In einem leidenschaftlichen Kampfe voll innerer Kraft und Wahrhaftigkeit wurden die schmählichen Fesseln der Fremdherrschaft gebrochen. In diesem heiligen Kampfe erwachte das Bewußtsein der nationalen und politischen Zusammengehörigkeit ganz Deutschlands zu einer Kraft und Stärke, die sich nie mehr völlig unterdrücken ließ.

Die Kämpfer aber, die zum heiligen Streite hinauszogen, meinten in demselben nicht bloß die Unabhängigkeit des engeren Vaterlandes von fremder Willkürherrschaft zu erringen, sondern auch die innere Selbständigkeit und staatliche Einheit des Gesammtvaterlandes. Indem sie ihr Alles, Gut und Blut, einsetzten für die gemeinsame Sache, glaubten sie, gestützt auf die Versprechungen der Fürsten, denen sie ihre Selbständigkeit wiedererringen halfen, sich ein Anrecht darauf erworben zu haben, an den staatlichen Angelegenheiten des geeinten Vaterlandes selbstthätigen Antheil zu nehmen. Hatte doch der große Kampf selbst gezeigt, was eine lebendige Theilnahme aller an den Geschicken des Vaterlandes vermöge. Niemals vielleicht im Verlaufe der ganzen Weltgeschichte war die Macht sittlicher Ideen in so greifbarer Gestalt zu Tage getreten, als in diesem heiligen Kriege. Mußten die, die ihn geführt hatten, nicht glauben, daß auch die Fürsten aus den Erfahrungen der Vergangenheit eine Lehre ziehen und einsehen würden, daß ein wahrhaft nationaler Staat in gewaltigen äußeren Gefahren nur bestehen könne, wenn er getragen sei von der lebendigen Theilnahme der Gesammtheit?

Die Gründer der Burschenschaft „Arminia auf dem Burgkeller“.
Nach einem der „Arminia“ gehörigen Bilde von C. Bräunlich.

Mit froher Zuversicht kehrten die Kämpfer in die Heimath zurück, hoffnungsvoll und gespannt harrten sie der Lösung der großen, die Zukunft des deutschen Volkes entscheidenden Frage, welche soeben auf dem Wiener Kongresse verhandelt wurde. Und welches war die Antwort auf jene Frage? Nur zu schnell ward es vergessen, daß die großen kriegerischen Erfolge der ungestümen Begeisterung verdankt wurden, mit der sich das ganze Volk wie Ein Mann erhoben hatte. In den Kreisen der hohen Diplomatie, in der Fürst Metternich die alles beherrschende Stellung einnahm, gewöhnte man sich sehr bald an eine spöttische Verkleinerung jener Volksbegeisterung. Nicht sie, die vielmehr nur geschadet habe, sondern der Gehorsam des Heeres gegen die angestammten Fürsten habe den großen Erfolg gezeitigt. Sehr bald erscholl das Metternichsche Wort von der „verruchten Idee einer deutschen Einheit“. Mit Recht ging ein Sturm der Entrüstung durch das ganze Volk, als das Ergebniß der Wiener Verhandlungen bekannt wurde. Hoch und niedrig, die Besten des Volkes, waren einig in dieser Empörung. Der alte Blücher fluchte und wetterte auf die „verfluchten Diplomaten“, die alles wieder verdorben hätten, was das gute deutsche Schwert geschaffen habe. Die Entrüstung der treuen Patrioten war nur zu berechtigt. „Man muß es gestehen,“ so urtheilt Heinrich von Sybel in seinem großen Geschichtswerke über die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., „niemals ist einem großen, mit frischem Siegeslorbeer gekrönten Volke eine kümmerlichere Unverfassung auferlegt worden, als es damals dem deutschen Volke durch die Bundesakte geschah. Die mächtigen Gedanken, welche Preußens Wiedergeburt und damit Deutschlands Befreiung vorbereitet hatten, waren hier in ihr Gegentheil verwandelt.“ Der nationale Einheitsgedanke, der soeben erst im Kampfe mit der Fremdherrschaft mit ursprünglicher Gewalt erwacht war, wurde von den deutschen, zunächst nur für ihre Gebiete und Rechte besorgten Fürsten zurückgewiesen, ja, wo er sich zeigte, verdächtigt und verfolgt. Aufgabe des deutschen Volkes mußte es sein, ihn zu bewahren und trotz aller Verfolgungen und Bedrückungen in faßbarer und durchführbarer Form den Nachkommen zu überliefern.

Diese schwierige und große Aufgabe, ohne deren Lösung die dereinstige Verwirklichung der nationalen Einheit selbst mit den größten Machtmitteln niemals gelungen wäre, ist es, der sich die deutsche Burschenschaft von Anbeginn an mit vollem Eifer und voller Begeisterung gewidmet, an deren Lösung sie unter den schwierigsten Verhältnissen, unter der drohendsten Gefährdung des persönlichen Daseins jedes einzelnen, in hervorragendster Weise mitgewirkt hat. Durch die Begründung der deutschen Burschenschaft wurde dem nationalen Gedanken in den Kreisen eine Stätte bereitet, die dereinst berufen sein sollten, als Lehrer, Geistliche,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_529.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2023)