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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

muß, daß er die Gründe, die mich dazu bewogen, bei aller Vorurtheilslosigkeit, die sonst sein Wesen kennzeichnet, kaum richtig würdigen wird. Es war ein Gefühl der Scham, des Trotzes, das mich hinderte, ihn, gerade ihn in die grausamen Enttäuschungen einzuweihen, die diese Ehe mir bereitet hat. Und doch hätte ich es thun sollen, thun müssen, es bedrückt mich, daß ich es unterließ.“

Sie schwieg in einer Art von schmerzlicher Verwirrung, und es entstand eine peinliche Pause.

„Ich begreife, Frau Gräfin,“ hub Snarre endlich an.

„Sie sagten?“ unterbrach ihn Susanne hastig, wie aus einem Traum erwachend.

„Daß es für Sie peinlich ist, einem Mann von so hochachtbarer Gesinnung, wie es Herr Tromholt ist, Grund zu einem Mißverständniß gegeben zu haben, und doch glaube ich, daß er sicherlich über jede kleinliche Auffassung Ihrer Handlungsweise erhaben ist. Tromholt ist ein Mann, der alles begreift und mit seiner edlen Seele auch alles verzeiht.“

„Ja, er ist ein seltener Mann,“ fiel Susanne mit fast stürmischer Wärme ein, dann aber legte sie die Hand über die Augen und fuhr schwermüthig sinnend fort. „Und doch, Herr Graf, giebt es etwas, das auch er nicht begreifen wird, wie – wie ich es selbst kaum begreife – –“

Susanne machte eine Bewegung, als ob sie einen Gedanken zu verscheuchen strebe, und sprach dann in ruhigem Tone weiter:

„Doch zu etwas anderem! Ich sehe, daß ich mich in Kiel werde einzurichten haben, obschon mir nach dem Vorgefallenen nichts schwerer sein kann, als dorthin zurückzukehren. Das ist’s ja auch was mich neben allem Uebrigen so sehr bedrückt. Ich werde keine Heimath mehr haben – –“

Susanne brach abermals ab und starrte vor sich hin.

„Und das Haus Ihres Freundes,“ wagte Snarre, dem der Augenblick für seine Werbung günstig schien, zu sagen, „das Haus, das Ihnen eine Zuflucht bot, die es Ihnen heute und immer bietet: dieses mein Haus – und das Ihrige, wenn Sie so wollen – vermöchte es nicht, Ihnen die Heimath zu ersetzen?“

Er suchte bei seinen Worten ihr Auge, sie aber sah ihn groß an und erwiderte mit ruhigem Ernst und einer Bestimmtheit, die ihn verwirrte: „Ich schwieg schon vorher, Graf Snarre, als Sie von einer Entbehrung sprachen, die Sie erleiden würden, wenn ich fortginge. Auch jetzt möchte ich lieber einer Antwort ausweichen. Sie wissen, daß ich Ihnen für Ihre Güte, namentlich für das zarte Wie Ihrer freundschaftlichen Hilfe von ganzem Herzen dankbar bin, und daß ich nicht zu den Naturen gehöre, die Menschen nur benutzen und sie nach Laune wieder abschütteln. Aber ich bitte, beschweren Sie mein Gemüth nicht durch neue Erregungen. Ich ergreife die Hand des Freundes,“ – Susanne betonte das Wort – „und möchte sie halten dürfen fürs Leben!“

Sie streckte ihm ihre Rechte entgegen und erbat durch ihre Blicke, was sonst noch ihr Mund sprechen wollte. Und da beugte sich der Mann mit fast demüthiger Unterwerfung herab, berührte leise mit seinen Lippen ihre Hand und verließ langsamen Schrittes das Gemach.


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„Wer ist da?“ klang’s schroff aus Richard Tromholts Munde.

„Peter Elbe aus Trollheide!“ erwiderte die alte Marieken schüchtern und zog sich zurück.

Nun trat der alte Mann mit dem langen Haar und der Jacke mit den silbernen Knöpfen in Richards Arbeitszimmer. Er sagte nichts, er verbeugte sich und blieb an der Thür stehen wie ein lebloses Bild.

„Was ist? Gutes oder Böses auf Trollheide? Es giebt genug von dem letzteren hier!“ stieß Tromholt heraus und winkte dem Alten, sich niederzulassen.

„Nein, – nichts in Geschäften, Herr!“ gab der Alte mit zitternder Stimme zurück. „Ich komme in persönlichen Angelegenheiten. Dieser Tage war ich in Mückern –“

Er stockte.

„Nun, laßt hören, Peter Elbe!“ gab Tromholt milder zurück und lehnte sich tiefer in den Stuhl. Ein kleiner Vogel zwitscherte in seinem Bauer; auf den Fensterbänken lag der Sonnenschein, und etwas Friedliches war ausgebreitet in dem Raum, in welchem der Mann mit dem sorgenvollen Herzen saß.

„Herr – Herr –“ kam es bebend aus des Alten Munde. „Wo ist meine Tochter Ingeborg? Mein altes Herz ist mürbe. Ich bin am Ende!“

Nun ahnte Tromholt alles, was geschehen war. Er erhob sich langsam, stellte sich vor seinen Untergebenen hin, legte die Hände auf seine Schultern und sah ihn mit traurigen Blicken an. „Glaubt Ihr an Gott, Peter Elbe?“ fragte er weich.

„Ja, Herr! Ich glaube an Gott, und ich glaube auch, daß er alles Böse straft. Mag der Mensch noch so geheime Wege einschlagen, es giebt einen hellen Tag, der bringt’s ans Licht.“

„Ihr seid ein alter Mann, ein braver Mann!“ sagte Tromholt. „Aber Ihr habt die Augen eines Blinden. Kommt, setzt Euch! Ich weiß, was Ihr wollt. Antwort soll Euch werden, ohne daß Ihr fragt. Ich will Euch die Beschämung ersparen.“

Und nachdem sich Peter Elbe, ohne daß diese Worte Eindruck auf ihn gemacht zu haben schienen, finsteren Blickes und seine Kappe in den Händen hin und herzerrend, niedergelassen hatte, sagte Tromholt: „Ihr kommt, um mit mir zu hadern! Euer Herz ist voll Zorn und Hitze, und am liebsten wäret Ihr wie ein unbesonnener Knabe mir an die Brust gesprungen, um Rechenschaft von mir zu fordern für das Schicksal Eures Kindes. Ihr hörtet auf die Stimme der Menge, die lästert und hetzt, und weil sie im Durchschnitt gemein ist, glaubt Ihr, alles sei Schmutz auf dieser Welt. Aber es giebt auch reine, ungetrübte Bäche mit hellem Wasser. Ihr fragt, wo Eure Tochter Ingeborg ist. Uebergabt Ihr mir Euer Kind, da Ihr Euch an mich wendet? Nein! Wie kommt Ihr also zu solcher Frage? Hört! Ihr redetet ihr zu, den Kapitän zu heirathen, obwohl Ihr wissen konntet, daß sie ihn nicht liebe; aber Ihr dachtet an Euch, nicht an sie. Weil’s Euch Wunsch war, sollte es für sie Gebot sein! Euch selbst trifft die Schuld an dem, was geschehen – nein, halt! Ich rede jetzt! Nachher könnt Ihr sprechen.

Im letzten Augenblick, da sie wußte, daß Larsen ein Schurke sei, entfloh sie. Sie fürchtete ihn und Euch. Sie fürchtete ihren Vater, hört Ihr, bei dem sie doch alles finden sollte, was ihr Herz trösten konnte. Sie ging nicht aufs Schiff. Sie kam in derselben Nacht auf Umwegen nach Limforden, fiel vor mir nieder und rief: ‚Schütze mich, hilf mir!‘ Ich sagte: ‚Wie viel Herzeleid bereitest Du Deinem alten Vater!‘ Da weinte sie bitterlich. Und doch verlangte sie, daß ihr Vater nichts erfahre! Sie fürchtete sich! Ich sag’s noch einmal!“

Und nun erzählte er dem Alten alles, was inzwischen mit seiner Tochter geschehen war bis auf den Tag, da er sie aus Larsens Händen befreit und im Hause der Frau Ericius untergebracht hatte.

„So, nun sprecht Ihr, Peter Elbe! Aber vorher noch eins! Das Mädchen hat sich unter meinen Schutz gestellt, und Anrechte auf sie habt Ihr so lange verwirkt, bis Ihr sagt: ‚Ja, Herr, ich trug auch Schuld. Und ich will’s wieder gutmachen!‘“

Der alte Elbe stand eine Zeit lang sprachlos und ließ das greise, zitternde Haupt auf die Brust sinken. Als er’s wieder erhob, standen schwere Thränen in seinen Augen, und schluchzend klang es aus seinem Mund: „Können Sie es mir vergessen, Herr Direktor?“

„Ja, ich kann’s, und noch mehr!“ erwiderte Tromholt milde, indem er ihm die Hand, nach der Elbe schüchtern getastet hatte, hinreichte. „Ich fühle und fühlte mit Euch, und wenn Ihr nicht selbst zu mir gekommen wäret, wäre ich zu Euch gekommen und hätte trotz Eurer Tochter Bitten und Verbot Euch alles gesagt. Nur die Arbeit, die Sorgen und Lasten hier ließen mich nicht dazu gelangen.“ –

Noch lange saßen die beiden Männer beisammen. Als sie sich trennten, war’s Nachmittag geworden. Dann hielt der Wagen vor der Thür, und Tromholt fuhr nach Snarre.

Draußen an der Grenze des Parks begegnete ihm Graf Utzlar, der eine Cigarre rauchte und mit seinem Stock auf die jungen Erlenbüsche hieb, die am Uferrande des Baches standen. Er wußte, wohin Tromholt fuhr, und grüßte, wenn auch ein wenig die Farbe wechselnd, wie ein wohlwollend aufgelegter Gebieter seinen Diener grüßt.

Bald waren sie sich aus den Augen entschwunden. Als Richard in Snarre anlangte, stand der Graf zufällig auf der Freitreppe vor der Thür und fütterte die Tauben. Sobald er des Gastes ansichtig wurde, trat er ihm höflich entgegen und geleitete ihn nach seinem Arbeitszimmer, das mit der anstoßenden Bibliothek die ganze rechte Seite des Schlosses von der Halle aus einnahm.

„Nun, was bringen Sie?“ fragte er gespannt, nachdem Tromholt sich niedergelassen und die ihm angebotene Cigarre abgelehnt hatte. „Ich bin außerordentlich begierig!“

Tromholt aber sagte: „Ich hoffte eigentlich, von Ihnen oder

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