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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

würde? Wenn das die beiden anderen nicht sind, umso besser, aber nicht übelnehmen darfst Du mir, nach den Erfahrungen, die ich gemacht habe, wenn ich ihnen auf die Finger sehe, ja Du solltest mich darin unterstützen, anstatt mir jeden Tag Anweisung zu geben, wie ich mich ihnen gegenüber zu verhalten habe.“

„Leo!“ rief die Gräfin abermals entrüstet. „Du. Du wagst es, einen Richard Tromholt – –?“

„Nun ja,“ unterbrach er die vor Erregung Stockende, „einen Richard Tromholt, wenn Du darauf bestehst, daß ich ihn bei seinem Vornamen nenne, ihn so gut wie die anderen! Uebrigens weißt Du, daß Du in neuerer Zeit etwas oft von dem Direktor sprichst? Wenn ich überhaupt eifersüchtig werden könnte auf solche Leute – – –“ eine verächtliche Handbewegung schloß den Satz.

„Auf solche – Leute?“ – – Susanne hielt inne, das Blut, das ihr noch eben in die Wangen getreten war, wich jäh zurück. Sprach sie wirklich so oft und so warm von Tromholt, daß ihr Gatte solchen Verdacht auch nur im Scherz äußern konnte? Ja, er hatte recht, und mehr noch, als sie von ihm sprach, dachte sie in der letzten Zeit an ihn.

Nicht das Mitleid mit ihm, dessen Leben sie einst durch ihren Uebermuth gefährdet hatte, den sie verschmäht hatte, obwohl er sie liebte, nicht der Dank für das, was er für sie und die Ihrigen in unermüdlicher, aufopfernder Sorge gethan, nicht das allein war’s, was sie an ihn denken ließ, nein, halb unbewußt verglich sie ihn mit dem, um den sie ihn verschmäht, an seinem Charakter, seiner Persönlichkeit sogar maß sie die des eigenen Gatten.

Jener war ein Mann, ein Mann im edelsten Sinne des Wortes, und was war Utzlar? Der Schleier, der ihr Auge, ihre Sinne einst verhüllt und ihr Utzlar in seiner weltmännischen Sicherheit als einen Mann nach ihrem Geschmack hatte erscheinen lassen, war längst gefallen. Aus dem vornehmen Kavalier hatte sich nur zu bald der hochmütige Aristokrat, der blasierte Genußmensch, der die Arbeit als Nebensache ansah, ja in manchen Augenblicken sogar der rohe Egoist herausgeschält. Sie hatte sich von ihm geliebt geglaubt, und mehr und mehr kam sie zu der beschämenden Erkenntniß, daß sie ein Opfer der Berechnung geworden war. Sie kämpfte gegen diese Erkenntniß mit ihrem ganzen Stolz, sie wollte es nicht zugeben, suchte sich selbst darüber hinwegzutäuschen, und da stand immer wieder er vor ihr, er, Richard Tromholt!

„Bist Du fertig?“ fragte der Graf. „Ist der Traum zu Ende?“

„Zu Ende – ja, ich glaube –.“ Sie sprach es fast tonlos vor sich hin.

„Du bist ja ganz tragisch, Sannchen,“ spottete Utzlar, „es muß wohl ein schwerer Traum gewesen sein. Pah, Träume sind Schäume, und die Wirklichkeit hat recht.“ Und indem er die Cigarette wegwarf, auf sie zutrat und den Arm um ihre Hüfte schlang, fuhr er in schmeichelndem Ton fort: „Komm, setz Dich zu mir und laß uns plaudern! Oder wollen wir ausfahren? Du siehst, ich bin zu allem bereit.“

„Leo,“ flüsterte sie, „Leo, ich möchte fort von hier!“

„Ja wohin denn, Kind? An die Riviera, nach Monte Carlo, da denk’ ich mir’s jetzt auch lustiger als hier. Aber was willst Du, unsere Kasse gestattet’s nicht, Dein unvergleichlicher Direktor giebt uns kein Geld dazu.“

„Nicht dorthin,“ sagte sie abwehrend. „Fort, an einen anderen Ort, wo Du eine Stellung, eine Thätigkeit findest, die Deinen Anlagen entspricht.“

„Ja, Närrchen, was soll ich denn anfangen anderswo? Einem Utzlar taugt nicht jedes Geschäft. Hier sitzen wir ja ganz bequem. Geh, laß doch die Grillen!“

„Es ist mehr als eine Grille, Leo,“ erwiderte sie, „ich fühle es, mein Lebensglück hängt davon ab, daß Du wieder ein Amt, eine Stellung, eine feste Thätigkeit findest. Der Müßiggang hier zerstört unser Glück.“

„Der Teufel auch, wo denn?“ rief Utzlar, dessen Geduld zu Ende ging.

„Gleichviel wo, bei der Armee, und wenn das nicht sein kann, dann in Gottes Namen bei der Marine!“

Jetzt verlor Graf Utzlar alle Fassung, er stieß sie fast rauh zurück. „Also bei der Marine?“ brach er hervor, „damit ich Jahre lang auf der See herumfahre, während Du mit Deinem Direktor das Gut besorgst! Der Gedanke ist nicht übel, wahrhaftig nicht übel für eine junge Frau, die drei Monate verheirathet ist. Ein richtiger Operettengedanke, den ich der strengen Bürgertugend einer geborenen Ericius, einer Schwärmerin für die Arbeit, kaum zugetraut hätte. Darauf also läuft es hinaus, Dein schönes soziales Programm?“

Susanne war fassunglos, Thränen traten ihr in die Augen, Thränen der Scham und der Empörung. Da drang ein wilder Lärm vom Gutshof herauf, Menschen sprangen durcheinander, sie riefen nach Tromholt, nach dem Direktor, und „Feuer! Es brennt!“ scholl es dazwischen. Utzlar sprang empor und verließ eilends das Zimmer.

Es brannten draußen zwei Gebäude, Tromholts Wohnhaus und eines der großen Arbeitsanwesen. Auf Utzlars hastige Frage nach der Ursache ward ihm aus der Mitte der erregten Masse die Antwort, man vermuthe, es sei der rothe Peter Jeppe von Trollheide gewesen, der den Brand angestiftet habe.

Da es sich um zwei ziemlich weit auseinanderliegende Gebäude handelte, waren die für die Löschung zu treffenden Anstalten doppelt schwer zu bewerkstelligen, auch thaten die in den Brunnen gelegten Schläuche keine ausreichenden Dienste.

Als Leo auf Tromholt zutrat, der noch bleich von der Aufregung, aber mit größter Ruhe seine Anordnungen zur Rettung des Arbeitshauses traf, empfing er von diesem auf seine Fragen nur sehr kurze Antworten.

Ja, als dann gerade ein Balken im Dachstuhl sich löste, herabfiel und einen gefahrbringenden Feuerregen in die Höhe trieb, eilte Tromholt ohne Entschuldigung fort, um nach den in das Haus eingedrungenen Arbeitern zu sehen.

Die Folge war, daß Utzlar mit einem Ausdruck verbissenen Zornes in den Mienen zurücktrat. Er, er war doch der Herr auf Limforden, und Tromholt behandelte ihn wie irgend einen Beliebigen. Vernunft und Einsicht, die ihm sagen mußten, daß in einer solchen Lage Empfindlichkeit über die Vernachlässigung einer Form wahrlich nicht am Platze sei, daß es sich um die wichtigsten Dinge, um Rettung von Menschenleben und Eigenthum, handelte, kamen nicht zur Geltung. Des Mannes Gedanken richteten sich auch gar nicht auf das Unglück, sondern nur die Ueberlegung nahm von ihm Besitz, wie er Tromholts Platz einnehmen und womöglich dessen Anordnungen durchkreuzen könnte.

Als Alten, der mit Hilfe von Arbeitern einen Schlauch in den See gelegt hatte, eilend herangelaufen kam, rief ihn der Graf mit herrischer Stimme an. Er mußte seinen grenzenlosen Aerger und Unmuth an jemand auslassen, und dieser war ihm gerade der rechte.

„Es ist unglaublich, daß dergleichen vorkommen kann!“ hob er an. „Bei genügender Aufsicht in den Arbeiterhäusern erscheint es doch unmöglich, daß am hellen Tage ein Strolch sich einschleicht und einen Brand anstiftet!“ –

„Sie wollen gütigst Ihre Vorwürfe an die dafür verantworliche Person richten, Herr Graf! Ich bin Oberinspektor für die Gutsangelegenheiten; mit den Werken und Arbeitshäusern habe ich nichts zu thun. Die Aufsicht ruht übrigens in den denkbar besten Händen –

Ach, Tromholt, ein Wort! Können wir den Schlauch nun anlegen?“ wandte er sich dann an Richard, als dieser, das Gesicht entstellt von Ruß und Qualm, eben herantrat.

Das schlug nun dem Faß völlig den Boden aus.

„Ich muß bitten, daß Sie sich einer geziemenden Sprache befleißigen!“ knirschte Utzlar. „Das nur zunächst! Das Weitere werden Sie morgen hören!“ –

Damit wandte er sich ab, richtete seine Schritte nach dem Hause von Tromholt und ertheilte, um seinem Drange nach Autorität Luft zu machen, hier Anordnungen, die sich entweder von selbst verstanden oder als zwecklos erwiesen. –

„Was giebt es denn?“ fragte Tromholt und blickte Alten im höchsten Grade überrascht an. Die Muskeln in Altens Gesicht zuckten und seine Hände hatten sich unwillkürlich geballt. Er berichtete erregt, was geschehen war.

Als er geendigt hatte, schüttelte Tromholt mit einem Ausdrucke schmerzlichen Unwillens den Kopf. Nichts war so bezeichnend für Utzlars Charakter als dieser Vorgang.

Im weiteren Verlauf des Abends traf Hilfe vom Gutshof Snarre ein, auch der Graf erschien in einem Zweigespann und begab sich, nachdem er von Tromholt und Alten erfahren hatte, daß jegliche Gefahr vorüber sei, ins Schloß.

„Sagen Sie, ich bäte um Verzeihung, wenn ich so spät störe, aber ich möchte mich doch nach dem Befinden der Frau Gräfin

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