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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Halbheft 17.   1890.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1890.      Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.


Ein Mann.

Roman von Hermann Heiberg.
(2. Fortsetzung.)

Auf der Treppe seines Schlosses Snarre stand in der Frühe Graf Tycho Esbern-Snarre und schaute hinab auf den Gutshof, von dem eben Arbeitswagen, Gutsknechte und Mägde sich in Bewegung setzten. Fast überall, wohin das Auge sich wandte, war Thätigkeit; Arbeitspferde mit widerstrebend schleppendem Gang wurden aus dem Stall gezogen, eine Heerde Schafe setzte sich eben, von einem Schäferhunde zu Paaren getrieben, in Bewegung, Kühe, die ein Hirtenbube mit lautem Peitschenknall lenkte, folgten. Brüllen und Meckern der Thiere durcheinander, Bewegung und Leben, bis alles der Ordnung sich gefügt hatte und zuletzt nur ein weißer Spitzhund, seinen Empfindungen durch absatzweises Bellen Ausdruck verleihend, mitten auf dem Hofe stehen blieb.

„Morten! Morten!“ rief der Graf, ins Schloß zurücktretend, und ein alter Mann mit kahlem, unbeweglichem Gesicht, aber trotz der strengen Züge mit freundlichen Augen und ehrerbietiger Miene trat in eine große, von der Frühsonne beschienene Halle, brachte auf einer silbernen Platte eine dampfende Kaffeekanne von demselben Metall und begab sich mit einem „Zu Befehl, Herr Graf!“ an den Frühstückstisch, an dem er die letzten Anordnungen traf.

Graf Snarre, ein Mann von zierlichem Wuchs mit einem blonden Henri quatre und einem sehr aristokratischen Aeußern, das auch in der Kleidung zum Ausdruck gelangte, nahm Platz und durchschnitt mit einer gewissen langsamen Umständlichkeit ein Stück Landbrot, ließ sich von Morten den heißen, feinen aromatischen Duft ausströmenden Kaffee einschenken und griff dann nach Eiern, die in einer goldverzierten Schüssel auf grobkörnigem Salz lagen. Während er die Schale eines derselben mit einem Löffel zerschlug, sagte er: „Was giebt’s Neues, Morten?“ – und „Nun, was giebt’s Neues, seitdem ich fort war?“ wiederholte er, als jener nicht gleich antwortete.

„Viel und wenig, Herr Graf!“ erwiderte Morten und drehte nach seiner Gewohnheit den Hals mit rascher Bewegung zur Seite. Es machte den Eindruck, als ob ihn ein schmerzliches Nervenzucken dazu veranlasse. Vielleicht war’s wirklich so.

„Gestern hörte ich, daß die neuen Herrschaften auf Limforden eingetroffen seien, Graf Utzlar mit seiner jungen Frau.“

„So! so! Und was sonst?“

„Ich wüßte nichts, Herr Graf.“

„Gut also, dann gehe! Vorher bringe mir aber noch Feldstock und Handschuhe und Cigarren aus der großen Kiste, die auf meinem Schreibtisch steht!“

Nach diesen Worten neigte Graf Snarre leicht den Kopf und griff nach der eben von einem anderen Diener gebrachten Zeitung, in die er sich vertiefte, während er den Rest des Frühstücks zu sich nahm.

Als Graf Snarre eine halbe Stunde später auf seinem gewohnten Morgenspaziergang eben das Weichbild des Gutshofes überschritten hatte, hörte er Pferdetrappeln und sah, als er das Auge erhob, Richard Tromholt vor sich.

Das Burschenschaftsdenkmal in Jena. Von Prof. Donndorf.
Nach einer Photographie von Hofphotograph C. Bräunlich in Jena.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_517.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)