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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ersten Hauch folgt wahrnehmbareres Wehen, gleich glühend, gleich ertödtend wie früher. Einzelne kurze Stöße brausen heulend dahin.

Jetzt ist es höchste Zeit, zu lagern. Dies zeigen auch die Kamele an. Keine Peitsche bringt sie vorwärts. Angsterfüllt legen sie sich nieder, strecken den Hals lang vor sich, drücken ihn auf den Sand und schließen die Augen. Ihre Treiber entlasten sie eiligst, erbauen rasch aus den Gepäckstücken einen Wall, häufen alle Schläuche übereinander, um die dem Winde preisgegebene Fläche zu verringern, decken auch noch etwa vorhandene Matten über sie, hüllen sich so dicht als möglich in ihre Kleider ein, feuchten den um das Haupt gewundenen Theil derselben an und suchen hinter dem Gepäck Zuflucht und Schutz. Dies alles geschieht mit Hast und Eile; denn der Sandsturm läßt nun nicht lange mehr auf sich warten.

Den einzelnen Stößen folgen anhaltendere; diese verschmelzen miteinander, und wenige Minuten später rast der Sturm einher. Es braust und tönt, pfeift und heult in den Lüften, rauscht und tobt in dem Sande des Bodens, knistert, knallt und kracht in dem Lager, wo die Bretter der Kisten zerplatzen. Die herrschende Schwüle nimmt fortwährend zu und steigert sich bis zur Unerträglichkeit, entzieht dem in Schweiß gebadeten Leibe die Feuchtigkeit, verursacht auch auf allen Schleimhäuten Risse, welche zu bluten beginnen, legt die nach Wasser lechzende Zunge wie ein Stück Blei in den Mund, beschleunigt den Pulsschlag und krampft das Herz zusammen, zerreißt endlich auch die Haut, in deren Ritzen der rasende Sturm sofort feinen Sand wirft, und schafft dadurch neue Qualen. Die Söhne der Wüste beten und ächzen, der Abendländer stöhnt und klagt.

In der Regel währt das ärgste Toben des Sandsturmes nicht lange: eine, zwei, drei Stunden nur, so wie bei uns zu Lande das Gewitter, dem er entspricht. Mit seinem Ermatten legt sich der Staub und klärt sich die Luft, tritt auch wohl eine Gegenströmung aus Norden auf; die Karawane ordnet sich wieder und zieht weiter. Währt der Samum aber einen halben oder ganzen Tag, so bringt er oft Tod und Verderben.

Von solchen Stürmen rühren die mumienhaften Leichen her, welche man an den Karawanenstraßen findet. Der Sturm, welcher die Unglücklichen getödtet hat, begräbt sie auch, indem er sie mit Sand überschüttet; letzterer entzieht dem Leichname so rasch alle Feuchtigkeit, daß er, anstatt zu verwesen, eindorrt und zur Mumie wird. Ueber sie wirft der eine Wind neuen Sand, von ihr entfernt ein anderer die bergende Decke. Dann streckt der Leichnam eine Hand, einen Fuß, sein Gesicht dem Reisenden entgegen, und einer der Kameltreiber folgt der Mahnung des Todten, tritt zu ihm heran, wirft wiederum Sand über ihn und zieht weiter mit den Worten: „Schlafe, Knecht Gottes, schlafe im Frieden!“

Solche Stürme sind es auch, welche in der Seele der Ueberlebenden Traumbilder der Fata Morgana wecken. So lange der Mensch mit voller, ungeschwächter Kraft und mit gesunden Sinnen seines Weges zieht, stellt sich ihm die Luftspiegelung wohl als eines der beachtenswerthesten Naturschauspiele, nimmermehr aber als Fata Morgana dar. Während der heißen Jahreszeit entsteht in der Wüste um die Mittagszeit, von neun Uhr vormittags bis drei Uhr nachmittags, tagtäglich das „Meer des Teufels“. Eine graue, seeartige, richtiger noch einer überschwemmten Gegend ähnelnde Fläche gestaltet sich auf jeder pflanzenlosen Ebene in einer gewissen Entfernung vor dem oder um den Reisenden, wogt und wallt, flimmert und schimmert, läßt alle thatsächlich vorhandenen Gegenstände sichtbar bleiben, erhebt sie aber scheinbar bis zur Höhe ihrer oberen Schicht und spiegelt sie nach unten wieder. In der Ferne dahinziehende Kamele oder Pferde erscheinen wie gemalte Engelein auf Wolken schwebend, und wenn man ihre Bewegungen unterscheiden kann, sieht es aus, als ob sie jedes ihrer Beine auf ein Dunstpolster setzten. Das ganze Wunder beruht auf dem Gesetze, daß ein Lichtstrahl, welcher durch ein ungleiches Mittel fällt, gebrochen wird, es muß daher geschehen, wenn die untersten Luftschichten durch Rückstrahlung des erhitzten Sandes ungleich ausgedehnt werden. Kein Araber verhüllt sich beim Anblick der Luftspiegelung sein Gesicht, wie einbildungsvolle Reisende ihren gläubigen Lesern vorgetäuscht haben; keiner legt selbst der von ihm gern gebrauchten Bezeichnung „Meer des Teufels“ einen tieferen Sinn unter. Wenn aber als Folgen eines Sandsturmes Angst, Entbehrung, Ermattung und Noth den Reisenden heimsuchen und schwächen und nunmehr die Luftspiegelung sich zeigt, dann kann sie Fata Morgana werden, indem die krankhaft gereizte Einbildungskraft solche Bilder sich gestaltet, welche mit dem heißesten Wunsche des Augenblicks, der Sehnsucht nach Wasser und Ruhe, im innigsten Einklange stehen. Auch mir, der ich die Luftspiegelung hundertmal beobachtet habe, ist sie einmal zur Fata Morgana geworden. Das geschah, als ich nach vierundzwanzigstündigem qualvollen Durste das „Meer des Teufels“ vor mir flimmern und glitzern sah. Da glaubte ich freilich auch, den heiligen Nilstrom und Boote mit geblähten Segeln, Palmenwälder und Haine, Gärten und Landhäuser vor mir zu sehen. Aber da, wo vor meinen krankhaften Sinnen ein Palmenwald grünte, sah mein gleich mir verschmachtender Gefährte Segelboote, und da, wo ich Gärten zu erkennen vermeinte, spiegelten sich seiner Seele traumhafte Wälder vor. Und alle Trugbilder verschwanden, sowie wir uns mit zufällig uns beschertem Wasser erquickt hatten, und nur der graue Nebelsee blieb immer noch sichtbar.

Das „Meer des Teufels“ breitet sich wohl vor jedem Reisenden aus, welcher eine Wüstenstrecke der Nilländer durchzieht; nicht jeder aber erschaut eines der lebendigsten Bilder, welches die Wüste gestaltet. Am äußersten Rande des Gesichtskreises, vielleicht von der Luftspiegelung gehoben und duftig verschleiert, tauchen Reiter auf, welche windesschnelle Rosse zügeln, nähern sich rasch und brausen endlich, ihre bis dahin geschonten Reitthiere zu vollem Laufe antreibend, gegen die Karawane heran. Ich bin ihnen stets gern begegnet, den hageren, stilvoll gekleideten Männern; denn ich habe auch in ihnen und ihren Rossen die Einhelligkeit der Wüste und ihrer Kinder zu erkennen geglaubt. Als getreuer Sohn der Wüste ist er mir erschienen, der Beduine, als ihr und sein Spiegelbild das Roß, welches er reitet. Denn auch er ist ernst und furchtbar wie der Tag, freundlich und milde wie die Nacht der Wüste. Treu seinem gegebenen Worte, unverbrüchlich gehorsam dem Gesetze und der Sitte seines Stammes, würdevoll in seinem Auftreten, erhaben in seiner Ausdrucksweise, unübertroffen im Entsagen, Entbehren, empfänglich wie kaum ein anderer Mensch für Mannesthaten, Ruhm und Ehre, nicht minder für das goldene Märchennetz, in welches seine gestaltungsreiche Dichtergabe so wunderbar prächtige Bilder einzuweben, so lieblich duftige Blüthen einzuranken weiß, ist er doch auch wieder listig und verschlagen dem Feinde gegenüber, willenloser Sklave seiner Gewohnheiten, würdelos in seinem Verlangen, niedrig und gemein in seinem Fordern, gierig im Genießen, maßlos in seiner Grausamkeit, furchtbar in seiner Rache. Heute als adeliger Gastfreund, morgen als drohend heischender Bettler, jetzt als stolzer Räuber, und ein anderes Mal als erbärmlicher Dieb: kurz, wechselvoll und veränderlich wie die Wüste selber tritt er dem Fremden entgegen.

In allen Wüsten, welche, mindestens dem Namen nach, unter der Herrschaft des Khedive von Aegypten stehen, spielen die Beduinen heutzutage bei weitem nicht mehr die Rolle, welche sie dort in früheren Zeiten gespielt haben oder gegenwärtig noch in Arabien und in den Ländern Nordwestafrikas spielen. Zwischen ihnen und der ägyptischen Regierung sind bindende Verträge abgeschlossen worden, welche jene verpflichten, Karawanen unangefochten durch ihr Gebiet ziehen zu lassen. Raubanfälle inmitten der Wüste zählen daher zu den seltensten Ereignissen, und ein Zusammentreffen mit Beduinen erregt auch aus dem Grunde wenig Besorgnisse, als die Söhne der Wüste in der Regel die Besitzer der gemietheten Kamele sind; gleichwohl lieben es die an den alten Gewohnheiten hängenden wirklichen Herren der Wüste, wenigstens den Schein einer gewissen Oberherrlichkeit zu wahren, und es ist wohlgethan, vor Antritt der Wüstenreise freies Geleit von irgend einem angesehenen Häuptlinge zu fordern.

Je mehr man mit der Wüste vertraut wird, um so weniger empfindet man ihre Mühsalen und Beschwerden. Demungeachtet bringen doch erst die letzten Stunden der Wüstenreise die höchsten Wonnen. Wenn das erste Palmendorf des bebauten Landes, wenn das Silberband des heiligen Stromes wiederum vor dem Auge liegt, sind diese Stunden gekommen. Mit letzter Kraft streben die Kamele vorwärts, ihren ungeduldigen Reitern noch viel zu langsam. Da klingen diesen freundliche Grüße entgegen. Das Dorf am Nil ist erreicht. Aus allen Hütten hervor drängen sich, die Wanderer zu bewillkommnen, Männer und Frauen, Greise und Kinder. Jeder beeifert sich, hilfreiche Hand, labende Erquickung zu bieten. Zuerst spendet man Wasser, frisch im Strome geschöpftes, köstliches Wasser; dann bringt man herbei, was man gerade besitzt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_514.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)