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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

gleichen in allem und jedem ihrer erhabenen Mutter, der Wüste. Mit ihr erglühen sie um die Mittagszeit, mit ihr erblühen sie zur Zeit der Nacht. Sobald die Sonne sich neigt, spinnt ihre Dichtergabe goldene Träume noch im Wachen aus. Der Sänger preist wasserreiche Brunnen, Palmengruppen um sie her und dunkle Zelte unter ihnen; er grüßt ein braunes Mädchen in einem der Zelte, welches ihm den Gruß des Heiles spendet, rühmt ihre Schönheit, vergleicht ihre Augen mit denen der Gazelle, ihren Mund mit einer Rose, deren Blüthendüfte als Worte in der Muschel seines Ohres zu Perlen sich reihen, und verschmäht ihrethalben des Sultans erstgeborene Tochter. Seine Genossen aber mahnen ihn, noch höhere Sehnsucht zu empfinden, und richten deshalb fort und fort seine Gedanken auf den Propheten, „welcher unsere Sehnsucht, unser Verlangen stillt.“

Wer sie zu schildern vermöchte, die Nacht in der Wüste, ein Dichter müßte er sein von Gottes Gnaden! Wer wäre imstande, auch wenn er sie selbst erlebt, durchwacht, durchschwelgt, durchträumt hat, ihre Schönheit zu beschreiben! Nach des Tages Gluth ist sie die milde, vergeltende, versöhnende Spenderin unsagbaren Wohl- und Hochgefühls, die frieden- und freudenbringende Zeit. „Lëila“, die sternhelle Nacht der Wüste, Lëila ist dem Araber mit Recht der Inbegriff alles Hohen und Herrlichen. Lëila nennt er seine Tochter; mit den Worten „meine sternenhelle Nacht“ schmeichelt er kosend seiner Geliebten; „Lëila, o Lëila“ fügt er seinen Gedichten als klingenden Endreim bei. In nie geahnter Reinheit und Helle leuchten die Gestirne am dunklen Himmelsdome, das Licht der nächsten ist fähig, schwache Schatten auf hellen Grund zu werfen. Mit vollen Zügen athmet der Mensch die reine, frische, kühlende, erquickende Luft; mit Entzücken läßt er sein Auge von einer Sonne zur anderen schweifen. Mehr und mehr scheint das Licht der Sterne zu ihm sich herabzusenken; der Geist bricht die ihn an den Staub kettenden Fesseln und hält Zwiesprache mit anderen Welten. Kein Laut, kein Geräusch, nicht einmal das Zirpen einer Heuschrecke, unterbricht fernerhin sein Sinnen und Denken. Die Großartigkeit und Erhabenheit der Wüste wird ihm erst jetzt erkennbar, ihr unsäglicher Frieden zieht ein in sein Herz.

Nach leiblicher und geistiger Erquickung, wie die Nacht der Wüste sie bietet, trägt sich die Beschwerde des folgenden Tages leichter, so viele Ueberwindung es auch kosten mag, das stündlich mehr und mehr sich verschlechternde Wasser zu trinken. Wirkliche Ruhe, ungetrübtes Behagen bringt aber doch erst der Aufenthalt am Wüstenbrunnen. In der Oase, am Brunnen wird der Tag zum Feste, der Abend zur harmlos heiteren Feier, die Nacht zur wirklich erlabenden Ruhezeit. –

Zur Entstehung der Oase ist eine decken- oder thalartige Eintiefung der Gegend nothwendige Bedingung, weil ohne sprudelnden Quell, mindestens ohne künstliche Brunnen ein reicheres Pflanzenleben undenkbar ist und Wasser in der Wüste einzig und allein im Hochgebirge oder in den tiefsten Niederungen gefunden wird. Wie in so mancher anderen Hinsicht das Meer des Sandes dem wogenden Weltmeere gegenübersteht, so sind auch seine Inseln Gegenstücke der Eilande der Wasserwüste. Das Wasser tritt entweder als Quelle zu Tage oder findet sich doch in geringer Tiefe unter der Oberfläche. Sein Reichthum wie seine Beschaffenheit bedingen das Gepräge der Oase. In den wenigsten Niederungen quillt reines, kühles Wasser hervor. Die meisten Quellen sind salzig, eisen- oder schwefelhaltig, sehr häufig auch warm und deshalb vielleicht großentheils heilkräftig, keineswegs aber immer trinkbar oder der Fruchtbarkeit förderlich. Frisches Rasengrün ruft wohl keine einzige hervor. Aber nur unter besonders günstigen Umständen tritt das Wasser überhaupt zu Tage; in den meisten Fällen sickert es in Felsenspalten oder in gegrabenen Schachten tropfenweise zusammen und muß mindestens zeitweilig künstlich gehoben werden. Und auch da, wo es quillt, verrinnt es, wenn der Mensch nicht nachhilft, es sammelt und berechnend vertheilt, in der Regel wieder nach kurzem Laufe im Sande. Gleichwohl ruft es unter allen Umständen erfrischendes, in solcher Einöde doppelt willkommenes Leben wach.

Um den fließenden Quell hatte, lange bevor der Mensch erschien, um Besitz zu nehmen, eine grüne Pflanzenschar sich angesiedelt. Wer vermag es zu sagen, wie sie entstand? Vielleicht war es der Sandsturm, welcher Samen streute, die hart am Quell keimten, grünten, wuchsen, blühten und wiederum Samen trugen, und so über das ganze Thal sich verbreiteten. Von dem Menschen wurde es sicherlich nicht bepflanzt; denn die Mimosen, welche den Hauptbestandtheil der grünen Decke bilden, sieht man auch in bisher noch brunnenlosen Niederungen einzeln, zu zehn, zwanzig, zu einem kleinen Haine vereinigt. Sie allein schon sind hinreichend, um Leben wachzurufen in der Wüste: sie grünen, blühen und duften – und wie frisch, wie golden, wie balsamisch! In ihrem freundlichen Schatten ruht die Gazelle; aus ihren Wipfeln erklingen die Lieder der wenigen gefiederten Sänger der Wüste. Ihre saftigen Blätter inmitten der starren Kalkmassen, der schwarzen Granitkegel und des blendenden Sandes thun dem Auge wohl wie Maiengrün; ihre Müthen wie ihr Schatten erlaben die Seele. In größeren, wasserreichen Oasen hat der Mensch ihnen die Palme gesellt und damit der Wüstensiedelung neuen Zauber verliehen. Die Palme ist hier alles in allem: die Königin der Bäume, die den Menschen an den kleinen Fleck Erde fesselnde, die erhaltende Fruchtspenderin, die von der Sage umrankte, vom Liede umklungene Nährpflanze, der Baum des Lebens. Was wäre die Oase ohne Palme? Ein Zelt ohne Dach, ein Brunnen ohne Wasser, ein Gedicht ohne Worte! Ihre Früchte nähren den Wanderhirten oder seßhaften Siedler, befriedigen selbst den steuerheischenden Abgesandten seines Herrn und Gebieters; ihre Stämme, ihre Wedel, ihre schmalen Blätter liefern ihm Gebäude, Geräthe, Matten, Körbe, Säcke, Seile und Stricke. Im Sande der Wüste erst würdigt man ihren vollen Werth, ihre ganze Bedeutung; im Sande der Wüste wird sie zum verständlichen Sinnbilde der arabischen Dichtung, welche wie sie oft unfruchtbarem Boden entstammt, wie sie kräftig, immer sich gleichbleibend, emporwächst, der Höhe zustrebt und in ihr erst ihre süßen Früchte bringt.

Mimosen und Palmen sind die Charakterbäume aller Oasen, fehlen also auch denen nicht, welche so viele Quellen oder Brunnen besitzen, daß man Gärten und Felder anlegen konnte. Hier beschränken sie sich, gleichsam auf Vorposten gegen den andringenden Wüstensand gestellt, auf die äußere Umrandung der Wüsteninseln, wogegen das Innere der letzteren anspruchsvolleren, wasserbedürftigeren Pflanzen eingeräumt wurde. In der Nähe der Quellen oder am Brunnen breiten sich oft reizende Gärtchen aus, in denen man fast alle Fruchtarten Nordafrikas anbaut. Hier klettert die Rebe, glüht die Orange im dunklen Laube, öffnet die Granate ihren rosigen Mund, breitet die Banane ihre Wedelblätter, rankt die Melone durch die Gemüsebeete, vollenden Feigenkaktus und Oelbaum, vielleicht sogar Feigen-, Aprikosen- und Mandelbäume das Bild der Fruchtbarkeit. Weiter entfernt dehnen sich Felder aus, auf denen mindestens Kafferhirse, günstigen Falles Weizen, ja selbst Reis gebaut wird.

In so reichen Oasen hat der Mensch feste Wohnsitze gegründet, wogegen er in den ärmeren Niederungen nur zeitweiliger, mehr oder weniger regelmäßig erscheinender Gast sein darf. Das Dorf oder Städtchen der Oase ähnelt im wesentlichen dem des benachbarten Fruchtlandes, denn es hat wie dieses seine Moschee, seine Kaufhallen und Kaffeehäuser; die Menschen aber sind Kinder eines anderen Geistes als die Bauern oder Städtebewohner des Nil- oder Küstenlandes. Obwohl meist verschiedenen Stammes, haben sie doch einerlei Sitte und Gewohnheit angenommen. Die Wüste hat sie aus- und umgeprägt. Ihre hagere Gestalt, die scharfgeschnittenen Züge, die unter buschigen Brauen liegenden blitzenden Augen lassen auch sie sofort als Söhne der Wüste erkennen; ihre Sitten und Gewohnheiten bezeichnen sie noch schärfer als solche. Sie sind anspruchslos, strebsam und genügsam, gastfrei, offen, ehrlich und treu, aber auch selbstbewußt, reizbar und jähzornig, zu Raub und anderer Gewaltthat geneigt, ähnlich den Beduinen, obwohl sie diesen weder im Guten noch im Bösen gleichkommen. Eine in ihrem Wohnorte einziehende Karawane ist ihnen eine willkommene Erscheinung, der Reisende ihrer Ansicht nach aber zu Zoll und Abgabe verpflichtet.

Von solchen Oasen weit verschiedene Rastorte sind die Niederungen, in denen sich nur hier und da ein stets ersehnter Brunnen befindet. Die arabischen Wanderhirten, welche aus ihm schöpfen, sind zufrieden, wenn er ihnen und ihren Herden für einige Monate, oder auch nur Wochen, nothdürftig Trinkwasser gewährt; die hier rastende Karawane darf froh sein, wenn sie ihren Bedarf im Laufe einiger Tage deckt. Gewöhnlich ist der Brunnen ein tiefer Schacht, dessen Wände eher Wasser ausschwitzen als in rieselnden Adern zur Tiefe senden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_512.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)