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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

besaßen, in welche zumeist der Hauptstrom der Schaulustigen sich ergoß. Zum eigentlichen Fest- oder sagen wir besser Schützenplatze gelangte man einige hundert Schritt weiter durch eine massige Hauptpforte, im Stile eines trutzigen mittelalterlichen Burgthores mit Thürmen und Zinnen, mit Fallgatter und Gitterfenstern gehalten, und im Einklange hierzu, wenigstens was den Unterbau anbelangt, stand im Mittelpunkte des Platzes der von demselben Erbauer, dem genialen, durch eigenartige Entwürfe rasch bekannt gewordenen Baumeister B. Sehring errichtete Gabentempel, der sich auf wuchtigem, als Wachtraum gedachtem, festungsartigem Mauerwerk erhob, von Hermen und Atlanten getragen, von langgedehnter Kuppel bedeckt, auf welcher eine schwebende anmuthige Fortuna thronte. Die Wände dieses von vier Musikpavillons umgebenen zierlichen Tempels waren von Glas, und hinter ihnen gleißte und glitzerte, flimmerte und funkelte es von den kostbarsten, aus edelsten Metallen und in schönsten Formen gefertigten Ehrenpreisen, Bowlen und Humpen, Römern und Bechern, Krügen und Pokalen, Vasen und Schalen; in ihrer Mitte stand der Ehrenpreis des Kaisers, eine herrliche silbergetriebene Kanne mit Diana und Hirschgeweih, auf einem Untersatze von rothem deutsch-afrikanischen Marmor.

Links von diesem Gabentempel, in welchem zweimal am Tage die Vertheilung der Preise erfolgte, dehnte sich die mächtige Festhalle aus, von der unsere Zeichnung ein anschauliches Bild giebt. Sie ist von Cremer und Wolffenstein in einer Längsfront von 150 und einer Tiefe von 50 Metern erbaut und bietet für sechstausend Personen Raum.

Am äußersten Ende des Platzes lag, an 250 Meter lang, die Schießhalle, welche 120 Stände enthielt, von denen jeder 12 Schützen Raum gewährte. Den Bestimmungen der deutschen Bundesschießen gemäß wurde nur freistehend aus freier Hand geschossen; umsichtige und strenge Vorschriften regelten den Verkehr in den Schießständen, um Unglücksfälle und „Mogeleien“, wie sie früher sich zuweilen ereignet hatten, zu verhüten. Dicht bei der Schießhalle erhob sich das Schießbureau, in welchem der Finanz-, Fest- und Schießausschuß ihr Heim besaßen.

Nach der Vogelwiese zu hatten die auf den Festplatz zugelassenen Brauereien, fünf an der Zahl, ihre Schankstätten aufgeschlagen; auf der Vogelwiese selbst mit ihren Jahrmarktsbelustigungen aller Art entfaltete sich während der Festwoche Tag für Tag das lustigste und ausgelassenste Leben. Bei schäumendem Maßkrug und perlendem Wein saßen die Vertreter der deutschen Stämme mit den fremden Gästen beisammen, alte Freundschaften wurden erneuert und neue geschlossen, neben dem Oberbayer in der Lodenjacke sah man den elegant gekleideten Deutsch-Amerikaner, neben dem Meraner Schützen den Italiener mit seinem Bersaglierihut, neben dem gemüthlich plauschenden Wiener den das Deutsche radebrechenden Holländer. Ein bewegender Zug der Brüderlichkeit und Zusammengehörigkeit ging durch all’ diese Scharen, aus deren Munde man immer wieder das Lob Berlins wie seiner Einwohnerschaft vernehmen konnte und wie wohl sich die Schützen in den Mauern der Reichshauptstadt fühlten. So darf man denn hoffen, daß sich das X. deutsche Bundesschießen würdig seinen Vorgängern angeschlossen hat und daß Berlins Gäste sich gern der Tage erinnern, die sie an der Spree erlebt haben, und auch gern wieder hierher ihre Schritte lenken werden. Sie sollen dasselbe herzliche Willkommen finden! Paul Lindenberg.     


Karawanen und Wüstenreisen.

Von Dr. A. E. Brehm.

      (Fortsetzung und Schluß.)


Vollkraft, Empfänglichkeit und Gefühl verlangt die Wüste von jedem Menschen, welcher sie erkennen, bis zu einem gewissen Grade in ihr heimisch werden will. Wer Reisebeschwerden, wie sie solche bereitet, nicht zu ertragen vermag, wer ihre Sonne fürchtet, vor ihrem Sande sich scheut, möge sie meiden. Der Tag in der Wüste ist auch bei reinem Himmel, bei ruhig heiterer Luft, ja selbst bei kühlendem Hauche aus Norden, eine schwere Zeit. Fast plötzlich, beinah ohne Dämmerung, tritt er seine Herrschaft an. Nur in der Nähe des Meeres oder großer, die Wüste durchströmender Flüsse säumt die Morgenröthe ihm zum Gruße den östlichen Himmelsrand mit Purpur ein; inmitten weiter Sandebenen tritt mit dem ersten Roth im Osten auch die Sonne hervor, Sie erhebt sich über der Sandebene wie eine Feuerkugel, welche nach allen Seiten hin ihre Hülle sprengen zu wollen scheint. Mit ihrem Erscheinen ist die Morgenfrische dahin. Unmittelbar nach ihrem Aufgange flimmern Himmel und Erde in Lichtüberfülle; eine unbeschreibliche Gluth strömt von der Sonne aus und prallt vom Sande zurück. Jede Stunde mehr steigert Licht und Gluth, und gegen beide giebt es kein Ausweichen, kein Entrinnen.

Die Karawane ist mit dem ersten Sonnenstrahl aufgebrochen und zieht lautlos dahin. Weitaus schreiten die Lastkamele, federnden Ganges deren Treiber neben, hinter ihnen her; im vollen Trabe eilen die Reitkamele, ihren Kräften entsprechend angetrieben, an jenen vorüber und dem Reisezuge voraus. Vorwärts geht es mit ungeminderter Eile. Alle Knochen scheinen zu knacken unter den Stößen, welche die hastenden Reitthiere verursachen. Sengend brennt die Sonne hernieder, stechend dringt sie durch alle Kleider, so viele deren zum Schutze gegen sie auch übereinandergehäuft werden mögen. Unter der dichten Hülle rieselt der Schweiß über den ganzen Körper, unter der leichteren der Arme und Beine verdunstet er, sowie er auf die Haut tritt. Die Zunge klebt am Gaumen. „Wasser, Wasser, Wasser!“ ist der einzige Gedanke dessen, welcher solche Beschwerden noch nicht zu ertragen gelernt hat. Aber das Wasser ist anstatt in eisernen Behältern und Flaschen in den landesüblichen Schläuchen verfrachtet, Tage nach einander in der vollen Gluth und auf dem Rücken der Kamele befördert worden und daher mehr als lauwarm, übelriechend, dick, braun von Farbe und, weil durchdrungen von dem Leder- und Koloquinthentheergeschmack, auch übelschmeckend, ekelerregend. Solches Wasser gewährt keine Labung, sondern verursacht nur neue Beschwerden, selbst peinliche Leibschmerzen, macht daher die Begierde nach irgend einem Getränke nur noch brennender. Aber es läßt sich ebensowenig verbessern als ersetzen. Sein durchdringender Geschmack und Geruch spotten aller Versuche, es in Gestalt von Kaffee oder Thee, oder mit Wein oder Branntwein vermischt, zu genießen, unvermischter Wein oder Branntwein aber vermehren nur den brennenden Durst und die erdrückende Hitze. Der Zustand des Reisenden wird qualvoll, noch bevor die Sonne in Mittagshöhe steht, und die Qual nimmt in demselben Maße zu, in welchem das Wasser sich verschlechtert. Aber sie muß ertragen werden und wird ertragen. Wenn auch der Abendländer an Schlauchwasser sich nie gewöhnt: an die anfänglich unerträgliche Hitze gewöhnt er sich bald, an die Beschwerden des Rittes um so eher, je mehr er mit seinem Reitthiere zusammenwächst.

Gegen Mittag wird gerastet. Ist eine Niederung in der Nähe, so findet sich in ihr wohl eine schirmförmige Mimose, deren dünnes Blätterdach spärlichen Schatten bietet; erstreckt sich unabsehbar die sandige Fläche vor den Reitern, so bilden vier in den Sand gestoßene Lanzen und die zwischen ihnen ausgespannte Wolldecke ein dürftiges Schattendach. Aber glühend ist der Sand, welcher zum Lager werden muß, heiß und drückend die Luft, welche man athmet; Mattigkeit und Schlaffheit bemächtigen sich selbst der Eingeborenen, um wie viel mehr des Nordländers. Man ersehnt Ruhe, ohne sie zu finden, Erquickung, ohne sie zu genießen. Von dem überquellenden Lichte und der flimmernden Luft geblendet, schließt man die Augen; von der sengenden Hitze gequält, von dem brennenden Durste gepeinigt, wälzt man sich schlaflos auf seinem Lager. Bleiern schleichen die Stunden.

Der Lastzug schwankt langsam vorüber und entschwindet dem Auge in einem dunstigen Luftsee, auf dessen wogenden Wellenschichten die Kamele zu schweben scheinen. Noch immer verweilt man in derselben Lage, leidet man unter denselben Beschwerden. Die Sonne hat die Mittagshöhe längst überschritten; aber nach wie vor sendet sie ihre glühenden Strahlen mit gleicher Stärke hernieder. Endlich, in den Spätnachmittagsstunden, bricht man von neuem auf. Und wiederum ein Ritt, daß die rasche Bewegung einen beinah kühlenden Luftzug entgegenführt, bis die Lastkarawane wieder in Sicht kommt und bald darauf erreicht wird. Singend schreiten die Kamelführer hinter ihren Thieren einher. Einer von ihnen trägt das Lied vor; die übrigen schließen jeden einzelnen Vers mit regelmäßig wiederkehrendem Endreime.

Wenn man die Mühsal erwägt, welche ein Kameltreiber auf Wüstenreisen zu erleiden hat, wundert man sich freilich, daß man ihn singen hört. Vor Tagesanbruch belud er sein Lastthier, nachdem er mit ihm einige Handvoll gekochter Durrakörner, beider einzige Nahrung, getheilt hatte; während des ganzen langen Tages schritt er, ohne einen Bissen mehr zu genießen, höchstens an stinkendem Schlauchwasser zeitweilig sich erlabend, hinter seinem Thiere einher; die Sonne sengte seinen Scheitel, der glühende Sand verbrannte seine Sohlen, die heiße Luft trocknete seinen schweißtriefenden Leib; ihm blieb keine Zeit, zu ruhen, zu rasten; er mußte vielleicht noch einige seiner Thiere umladen, eines oder das andere, welches ihm durchgegangen war, wieder einfangen – und dennoch singt er jetzt seine Lieder. Das wirkt die Nacht der Wüste.

Wenn die Sonne zur Rüste geht, scheinen sich die Glieder dieser ausgedörrten Wüstenkinder neu zu frischen; denn auch sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_511.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2023)